Märkte wie der Saphan Lek-Markt (oben) oder der Talad Rot Fai-Markt (unten) in Bangkok sind Knotenpunkte einer informellen Ökonomie.

Foto: Mooshammer
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Egal, ob in New York oder Kenia, Supermärkte und Shopping- Malls sehen sich immer sehr ähnlich. Ganz im Gegensatz zu jenen informellen Märkten, die sich weltweit an den Rändern der Metropolen oder an Staatsgrenzen ansiedeln und eine beträchtlich lebhaftere und authentischere Szenerie des lokalen Lebens bieten. Solche (noch) nicht durch staatliche Regulierung in rechtliche und ästhetische Form gezwungene Orte des Kaufens und Verkaufens haben die unterschiedlichsten Gesichter und Entstehungsgeschichten. Und doch haben etwa der 7-km-Markt in Odessa oder die Straßenmärkte von Tijuana in Mexiko etwas gemeinsam, das über das Informelle und die Selbstorganisation hinausgeht: die internationale Vernetzung ihrer Akteure.

"Ein großer Teil der Billigwaren, die neben lokalen Produkten auf diesen Märkten verkauft werden, kommt aus China", weiß der Architekt Helge Mooshammer vom Institut für Kunst und Gestaltung der TU Wien, der sich seit Jahren mit den Folgen der Globalisierung für Wirtschaftsräume jenseits der staatlichen Kontrolle beschäftigt. "Diese Waren werden von den Händlern persönlich in China ausgesucht bzw. abgeholt." So entstand etwa in der chinesischen Stadt Yiwu ein riesiger, internationaler Handelsplatz für Billigprodukte von den berüchtigten Spielsachen bis zur Weihnachtsdeko. Ein neues Messegebäude mit über 60.000 Ständen, Hotels und Scharen von Dolmetschern bieten der internationalen Kundschaft alles, was für einen erfolgreichen Shopping-Trip nötig ist. Was hier eingekauft und zum Großteil auch produziert wird, findet man dann auf den Märkten von Casablanca bis Nairobi, von Buenos Aires bis Toronto.

Effekt politischer Umbrüche

Für sein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt "Andere Märkte" hat Mooshammer umfangreiche Informationen zu 75 dieser informellen Märkte in Asien, Amerika, Südosteuropa und der Mittelmeerregion zusammengetragen. "Als global verteilte Knoten einer informellen Ökonomie sind solche Märkte meist ein Effekt politischen Umbruchs, wirtschaftlicher Destabilisierung sowie neuer Arbeitssituationen und Migrationsbewegungen", erläutert der Forscher.

Zentrale Erkenntnis nach drei Jahren "Marktforschung" auf mehreren Kontinenten: "Informelle Märkte bilden den Rahmen für rund die Hälfte des weltweiten Wirtschaftens und stehen unter großem Druck vonseiten staatlicher Institutionen, die diese Handelsräume unter ihre Kontrolle bringen möchten." Dabei gehe es weniger um Steuern - meist liegen die Umsätze der Kleinhändler ohnehin unter der Steuergrenze - als um die Oberhoheit über einen riesigen Handelsraum und die damit verbundene Wertschöpfung.

Wird ein informeller Markt in das öffentliche System eingegliedert, erfolgt das oft in Zusammenarbeit mit einem privaten Unternehmen. "Die staatlichen Institutionen schaffen die Gesetze für die Übernahme, um den Betrieb des Marktes kümmert sich dann das Unternehmen." Der Ort des Handelns verlagert sich damit vom öffentlichen in den privaten Raum, wodurch der Zugang für Händler und Kunden von Dritten reguliert werden kann. Hinter dem Bemühen, informelle Märkte unter staatliche Kontrolle zu bringen, stehen oft einflussreiche internationale Konzerne.

So wird vom Büro des US-Handelsbeauftragten jährlich der sogenannte Special 301 Report erstellt, in dem jene Orte aufgelistet werden, wo verstärkt die Rechte an geistigem Eigentum und damit die amerikanischen Außenhandelsinteressen verletzt werden. Selbstverständlich sind es gerade die informellen Märkte, die sich auf diesen "schwarzen Listen" finden.

"Diese Berichte spielen in diplomatischen Verhandlungen etwa von Freihandelsabkommen eine wichtige Rolle", erläutert Mooshammer. "Häufig werden dabei die informellen Märkte als Druckmittel eingesetzt, um eine Marktharmonisierung herzustellen." In der Folge werden vom betroffenen Staat entsprechende Gesetze erlassen und oft sogar eigene Behörden zur Kontrolle der Märkte geschaffen. In Bangkok hat man vor zehn Jahren beispielsweise die "Red Zones" eingerichtet - Märkte, die besonders streng auf Raubkopien kontrolliert werden.

"Diese - schrittweise - Überführung informeller Märkte in kontrollierte Handelsplätze erfolgt permanent auf der ganzen Welt", weiß Mooshammer. "Zuerst wird auf hoher diplomatischer Ebene urgiert, dann erfolgt die Umsetzung vor Ort durch regionale Behörden." Wenn es um die intellektuellen Eigentumsrechte kleiner Händler geht, sind die Big Player wenig zimperlich. So werden etwa auf dem Talad-Rot-Fai-Markt in Bangkok, einem Hotspot für junges innovatives Design, nicht selten Kreationen angeboten, die sich etwas später in den Kollektionen großer (Textil-)Handelsketten wiederfinden. "Auch das sind Raubkopien - aber darüber wird nicht diskutiert", sagt Mooshammer lakonisch.

Zweischneidige Hilfe

Aber könnten moderate staatliche Eingriffe in diese informellen Wirtschaftsräume - etwa durch die Bereitstellung von Gebäuden für Märkte in besonders armen Regionen - nicht auch eine Hilfe für die Bevölkerung sein? "Das kommt darauf an, wer eingreift", betont der Forscher. "Für einen Markt an der Grenze zwischen Haiti und Dominikanischer Republik beispielsweise wurde mit EU-Mitteln eine Markthalle errichtet. Die Folge war, dass Standmieten und Preise stiegen, sodass gerade die Ärmsten durch diese vermeintliche Hilfe ausgegrenzt wurden."

Neben zentralisierter Bürokratie und Privatisierung gebe es aber noch einen dritten Weg: die Bildung von Kooperativen, also eine Organisation auf horizontaler Ebene. "Die informellen Märkte in Tijuana etwa werden von Gewerkschaften organisiert, was sehr gut funktioniert", weiß Helge Mooshammer aus seinen Feldstudien. (Doris Griesser, DER STANDARD, 18.12.2013)