Die ÖVP, die Partei, die nicht seine ist, hat befunden, dass es weder ein Ministerium für Wissenschaft und Forschung noch ihn als Minister braucht: Karlheinz Töchterle wechselt ins Parlament.

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STANDARD: In einem Interview für die STANDARD-Schwerpunktausgabe zum "Glück" im Juni 2011 sagten Sie: "Ein Stoiker tut sich alles an - auch die Politik." Auch diese Politik der vergangenen Tage? Oder haben Sie insgeheim gedacht, Epikur von Samos (341-271 v. Chr.) hatte vielleicht doch recht, wenn er sagte: "Wer gescheit ist, treibt keine Politik."

Töchterle: Nein, das habe ich nie gedacht, weil sich meine persönliche Enttäuschung wirklich sehr in Grenzen hält. Es waren ja genau diese Gründe, warum die Epikureer von der Politik abgeraten haben. Der Stoiker kann jede Form von Politik aushalten, weil sie ein Adiaphoron ist, etwas, das von außen kommt und wofür er sich letztlich nicht vor sich selbst verantwortlich machen muss.

STANDARD: Im ersten Moment nach Ihrer Ablöse haben Sie aber doch sehr enttäuscht gewirkt.

Töchterle: Schon, ja. Aber ich war mehr erschrocken, mit welcher Brutalität man hier mit dem Wissenschaftsministerium umgeht. Vor allem sage ich das durchaus im Interesse der Partei, die das tut, denn ich fürchte für die ÖVP, dass sie sich damit Schaden zufügt. Mein Erschrecken war, wie wenig sie das selbst bedenkt. Denn da sind so viele bürgerliche Menschen, die da agieren und die vielleicht Hoffnung in diese Partei gesetzt haben, die sind jetzt wohl enttäuscht.

STANDARD: Wie kann es sein, dass eine Partei, in dem Fall die ÖVP, Unis und Forschung im Wirtschaftsministerium verräumt?

Töchterle: Ganz generell dürfte der Befund, den viele äußern, stimmen: Sie misst dem keine große Bedeutung zu. Ich habe immer gemeint, das kann nicht stimmen, aber ich bin dazu vielleicht auch zu sehr im Wissenschaftsbetrieb drin. Mir wurde ja auch immer gesagt, es gibt starke Lobbys, es gibt die Bünde, die ganze Struktur der ÖVP, in der die Wissenschaft nicht vorkommt. Und diese Partei scheint wirklich nach diesen klaren Machtstrukturen zu funktionieren. Ich sage das ganz neutral.

STANDARD: Haben Sie diese Machtstrukturen unterschätzt als einer, der in eine Partei gegangen ist, deren Mitglied er nicht einmal ist?

Töchterle: Vielleicht war ich ein bisschen naiv. Ich habe auf die Kraft des Arguments vertraut, sowohl in der ÖVP als auch in der SPÖ, und in beiden wirkt das viel weniger als andere Kräfte. Die stärksten Kräfte sind immer Interessenlagen, und die sind meistens ökonomisch unterfüttert, wie Goethe sagt: "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles." Das ist so, und weil's so schrecklich trivial ist, mag man es kaum glauben.

STANDARD: Wie würden Sie als Wissenschafter und ehemaliger Rektor ÖVP-Obmann Michael Spindelegger erklären, warum es - unabhängig von der personellen Dimension - nicht die beste Idee war, die Wissenschaft in das Wirtschaftsministerium einzugemeinden?

Töchterle: Es ist wirklich ein abgetretener Allgemeinplatz, dass Wissenschaft und Forschung für Länder wie Österreich, mit wenig Rohstoffen, zentral für die Entwicklung sind. Das weiß jeder. Das ist das ökonomische Argument. Und die Lippenbekenntnisse sind ja da, siehe etwa die Strategie für Forschung, Technologie und Innovation, siehe Vizekanzler Spindelegger, der selbst sagt, bis 2025 brauche man sechs Prozent Forschungsquote. Ich müsste wieder Goethe und Faust zitieren: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Aber auch das ist trivial.

STANDARD: In einer ersten Stellungnahme sagten Sie zur Ihrer Ablöse als Minister: "Ich habe keine Erklärung dafür." Ihr Parteichef Spindelegger, der nicht Ihrer ist, hat Ihnen sicher eine schöne Abschiedsbegründung geliefert?

Töchterle: Ja, hat er mir geliefert, sie war rein pragmatisch. Er hat gesagt, er möchte ein Familien- und Jugendressort machen, das ist ihm wichtig, und deswegen muss er das Wissenschaftsministerium aufgeben. Das war der Grund, den er mir gesagt hat. Er hat gesagt, ich hätte ihn akzeptiert, das ist falsch. Ich habe ihn zur Kenntnis genommen, ich habe nicht versucht, ihn von der Fragwürdigkeit dieser Strategie zu überzeugen. Ich habe es als aussichtslos empfunden, das zu tun. Ich wollte vor allem nicht den Eindruck erwecken, ich kämpfte für mich. Ich habe mich für eine Sache, die mir wichtig ist, zur Verfügung gestellt, aber ich kann mir auch andere Dinge vorstellen.

STANDARD: Warum haben Sie dann im ÖVP-Vorstand zugestimmt? Parteichef Spindelegger hat stolz von "einstimmiger" Wahl der "besten Köpfe" im Vorstand berichtet. Warum diese Nibelungentreue?

Töchterle: Ich habe nicht zugestimmt, aber gehört, dass das Vizekanzler Spindelegger so gesagt hat. Ich habe ihn gebeten, diese beiden Fehlaussagen zu unterlassen. Er hat das zugesagt. Ich habe es weder akzeptiert, noch habe ich zugestimmt. So einer Sache würde ich nie zustimmen, und sollte ich je im Parlament in die Situation kommen, zustimmen zu müssen, dann werde ich es nicht tun.

STANDARD: Diese Situation wird kommen. Denn die neue Ressortaufteilung muss ja vom Parlament am Beginn jeder neuen Legislaturperiode novelliert werden. Sie werden dem Bundesministeriengesetz also nicht zustimmen?

Töchterle: Da stimme ich sicher nicht zu. Das garantiere ich.

STANDARD: Was haben Sie in den vergangenen Tagen und Wochen des rot-schwarzen Ringens um eine neue Regierung über die Politik insgesamt und die ÖVP gelernt?

Töchterle: Ich habe mich immer gegen diese Politikverdrossenheit der Menschen gewehrt und sie als ungerecht empfunden, weil ich finde, Österreich ist ein unglaublich lebenswertes Land, reich, sicher etc., und das stimmt großteils für viele, nicht alle. Ich dachte immer, die Politik kann da nicht ganz unschuldig sein. Wenn ich jetzt die ganzen Mechanismen sehe, dann verstehe ich die Politikverdrossenheit ein bisschen. Wir sind eine repräsentative Demokratie, ja, und die Parteien repräsentieren den Wählerwillen, ja, aber sie tun es auf eine Art, die mit Demokratie nicht immer etwas zu tun hat. Vielleicht spüren das die Menschen, und da sehe ich ein Problem.

STANDARD: Und war's das alles wert, dafür das Rektorsamt in Innsbruck aufzugeben?

Töchterle: Auf jeden Fall. Ich bemühe mich, mir da nichts vorzulügen, aber mich haben diese zweieinhalb Jahre schon viel reicher gemacht an Erfahrungen, an Einblicken in Abläufe, auch an Kenntnis von Menschen - und ein bisschen was konnte ich ja auch bewirken. Das wird man jetzt dann vielleicht noch merken.

STANDARD: Und wie geht's jetzt weiter? Der Ex-Minister als einfacher Abgeordneter, oder werden Sie Wissenschaftssprecher der ÖVP?

Töchterle: Ich fühle mich den Tiroler Wählern verpflichtet, ins Parlament zu gehen, und ich fühle mich der Wissenschaft nach wie vor verpflichtet und könnte unter Umständen den Wissenschaftssprecher machen. Ich werde das nicht mit aller Gewalt anstreben, aber ich stehe zur Verfügung, weil ich ja weiter gute Sachpolitik machen will. Das größte Problem, das ich haben werde: Ich werde sicher nie gegen meine Überzeugung stimmen. Das kann dazu führen, dass man mich irgendwann aus dem Klub wirft. Vielleicht sitze ich dann auch ganz hinten auf dem Lindner-Bankerl. (lacht) (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 14.12.2013)