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Das Wiener-Landessicherheitsgesetz verbietet verschiedene Formen des Bettelns, etwa gewerbsmäßiges, aufdringliches oder aggressives Betteln. Der VfGH stellte mittlerweile klar, dass "stilles" Betteln von diesem Gesetz nicht unter Strafe gestellt wird – und betonte überdies, dass ein solches generelles Bettelverbot verfassungsrechtlich unzulässig wäre. In Wien werden dennoch regelmäßig gegenüber "still" bettelnden Menschen Verwaltungsstrafen verhängt. Die einschlägigen Bestimmungen werden nämlich sehr weit, um nicht zu sagen schikanös, ausgelegt.

Wissensstand

Die Betroffenen wissen (bzw wussten bisher) nur schlecht über die Rechtslage Bescheid und haben – erschwert durch Sprachbarriere und fehlende finanzielle Mittel – so gut wie keinen Zugang zu Rechtsschutzmöglichkeiten. Also bleibt viel verwaltungsstrafbehördliches und polizeiliches Handeln unbekämpft, wiewohl es oft rechtswidrig ist.

Die "Bettellobby" versucht Interessen von Bettler_innen in der Öffentlichkeit und Verständnis für ihre Situation zu vermitteln. Sie bietet auch Unterstützung beim Zugang zu Recht und erstellte und verteilte zu diesem Zweck eine mehrsprachige Broschüre, in der Bettler_innen darüber aufgeklärt werden, welche Formen des Bettelns verboten sind, welche Rechte ihnen im Kontakt mit Polizei und Verwaltungsbehörden zukommen und welche Rechtsbehelfe ihnen zur Verfügung stehen.

Beratungsabende

In diesem Rahmen finden derzeit einmal monatlich Beratungsabende statt, in denen auch konkrete Hilfestellung etwa bei der Ergreifung von Rechtsbehelfen angeboten wird. Schon die ersten, sehr zahlreich besuchten Abende haben gezeigt, womit im ökonomischen Sinne arme Menschen zu kämpfen haben, wenn ihnen eine von der Politik instrumentalisierte Bürokratie nicht wohlgesinnt ist.

Frau N.

Zum Beispiel: Frau N. saß zusammengekauert am Rande der Treppe einer U-Bahn-Station, wo sie in der Hoffnung, die eine oder andere Almose zu erhalten, leise vor sich hin sang. Mitarbeiter_innen der Wiener Linien meinten, dieses Verhalten wäre verboten und forderten sie auf, sie zu begleiten. In einem Raum der U-Bahn-Aufsicht erwarteten sie dann Polizist_innen und Mitarbeiter_innen des Magistratischen Bezirksamtes.

Frau N. saß dort mit vielen weiteren, in U-Bahn-Stationen aufgegriffenen Personen rund eine Stunde lang fest. Am Ende verließ sie den Raum mit einem Stoß Zettel in der Hand, deren Inhalt sie nicht verstand. Der wichtigste war eine Strafverfügung über 140 Euro; nicht ihre erste. Frau N. hatte bereits zuvor drei Mal derartige Strafverfügungen erhalten, ohne je zu verstehen, weshalb sie eigentlich bestraft wurde.

"Stilles" Betteln ist schließlich nicht strafbar, auch nicht in U-Bahn-Stationen. Das Magistratische Bezirksamt war aber der Meinung, Frau N. habe als Bahnbenützende § 47b Eisenbahngesetz verletzt, weil sie sich nicht so verhalten habe, wie es die Sicherheit und Ordnung des Betriebes der Eisenbahn gebieten würde, da sie „im Bereich innerhalb der Entwertersperre, auf der festen Stiege sitzend, den Fluchtweg aus der U-Bahn Station [...] in der Absicht dort länger zu verweilen, durch Sitzen eingeengt [habe] und dies geeignet [wäre], die Sicherheit der Fahrgäste, die auf diesen Fluchtweg angewiesen [seien], im Gefahrenfall zu beeinträchtigen." Man_frau höre und staune. Kann es tatsächlich die Sicherheit und Ordnung des Eisenbahnbetriebes gefährden, dass ein Mensch zusammengekauert am äußersten Rand einer breiten Treppe sitzt?

Schwer nachvollziehbare Strafen

Auch andere Verwaltungsstrafen der Wiener Behörden scheinen schwer nachvollziehbar: Gewerbsmäßiges Betteln liegt für die Landespolizeidirektion Wien etwa vor, wenn zwei bettelnde Personen miteinander in Sicht- und Augenkontakt stehen. Aufdringliches Betteln ist gegeben, wenn eine am Boden sitzende Bettlerin ihren Almosenbecher nicht abstellt, sondern von sich weg in Richtung der Passant_innen streckt. Beim Sitzen am Boden ein Bein auszustrecken, wird ebenso als aufdringliches Betteln und als Behinderung des Fußgänger_innenverkehrs (und damit als Verstoß gegen § 78 lit c StVO) qualifiziert.

Frau N. erschien mit ihrer Strafverfügung bei einem Beratungsabend der "Bettellobby". So konnte N. mit anwaltlicher Unterstützung Rechtsmittel ergreifen. Und siehe da, der UVS Wien als Berufungsinstanz setzte dem Unfug ein Ende. Ein formales Argument verhalf Frau N. dazu.

Die von der Verwaltungsstrafbehörde herangezogene Bestimmung des Eisenbahngesetzes richtet sich nämlich explizit an "Bahnbenützende". Der UVS Wien stellte nun klar, dass nach der genannten Bestimmung nur ein Verhalten strafbar ist, "das mit der aktuellen Benützung von Schienenfahrzeugen (mit dem Ein- und Aussteigen und dem Aufenthalt in solchen Fahrzeugen) in einem unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang steht."

Der Aufenthalt in einer U-Bahn-Station (auch innerhalb der sogenannten Entwertersperren) reicht noch nicht dazu aus, um von einer "Bahnbenützenden" zu sprechen. Frau N. konnte deswegen die Sicherheit und Ordnung des Bahnbetriebes nicht gefährden. Das Argument überzeugt und bringt eine wichtige Klarstellung. Damit sollte die Bestrafung von "stillem" Betteln in Wiener U-Bahn-Stationen der Vergangenheit angehören.

Mangelhafte Verfahren

Entscheidungen wie diese zeigen, dass es sich lohnen würde, öfter Rechtsbehelfe gegen derartige Strafverfügungen zu ergreifen. Die Verwaltungsstrafbehörden legen die einschlägigen Bestimmungen nicht nur weit aus, sie führen die Verfahren oft genug auch mangelhaft. Konkurrenzen werden nicht beachtet, Ersatzfreiheitsstrafen viel zu hoch bemessen; es fehlt oft an wesentlichen Feststellungen zur Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens; mitunter fehlen sogar ausreichend konkrete Angaben zu Tatzeit oder Tatort. Der Wille, Bettler_innen durch Verhängung von Geld- und Freiheitsstrafen aus dem öffentlichen Raum und damit aus der Wahrnehmbarkeit der Bevölkerung zu verbannen, tritt klar zu Tage. Und der Verwaltungsapparat fährt dazu alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Geschütze auf.

Schikanen

Neben der Verhängung von Geldstrafen wird Bettler_innen auch regelmäßig das erbettelte Geld abgenommen und für verfallen erklärt. Dabei geht es um Beträge zwischen drei und dreißig Euro; für eine Gebietskörperschaft nichts, für die Betroffenen der Vermögenswert, für den sie mehrere Stunden oder Tage in unwirtlichen Verhältnissen auf der Straße ausgeharrt haben. Es fällt schwer, Verständnis für derartiges Behördenvorgehen aufzubringen. Wiederum liegt es nahe, von Schikane zu sprechen. Die Geldstrafen können in der Regel nicht bezahlt werden, sie machen mitunter bis zu 250 Euro pro Verwaltungsübertretung aus. Die Betroffenen müssen daher immer wieder Ersatzfreiheitsstrafen absitzen und mehrere Tage im Gefängnis verbringen.

Beim Vorgehen gegen Bettler_innen wird das Recht als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen benutzt. Die Ausgangslage ist von einem starken Gefälle gekennzeichnet: Auf der einen Seite der Staat, verkörpert durch einen Verwaltungsapparat, der Geld- und Haftstrafen verhängt, Vermögenswerte abnimmt und für verfallen erklärt, Vollstreckungsverfügungen erlässt oder Pfändungsgebühren vorschreibt; auf der anderen Seite Personen ohne ausreichende Existenzgrundlage, ohne Vermögen und Einkommen, die oft die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, ihre Rechte nicht kennen und selbstverständliche Lebensbedürfnisse nach Wohnen, Essen und Kleidung nicht befriedigen können.

Der Umstand, dass Menschen verhalten sind, zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse zu betteln, wird nicht als Anstoß zur Ergreifung sozialpolitischer Maßnahmen verstanden. Die Politik beschränkt sich darauf, Recht als Machtinstrument einzusetzen, um für sie unerwünschtes Verhalten aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Der Fall von Frau N. zeigt, wie wichtig es ist, bei einer solchen Ausgangslage dem Verwaltungsapparat als verlängerten Arm der Politik ebenfalls mit rechtlichen Mitteln entgegenzutreten und so das beschriebene Machtgefälle etwas anzuheben.

So könnte eine mit den Mitteln des Rechts erreichte Beschränkung der pönalisierenden Handlungsspielräume der Behörden dazu führen, dass Wege gesucht werden, Armut und den Umständen die dazu führen entgegenzuwirken, anstatt die davon Betroffenen zu strafen. Die Erfahrung lässt allerdings befürchten, dass noch einige rechtliche Sträuße ausgefochten werden müssen, ehe es so weit sein wird. (Leserkommentar, Ronald Frühwirth, derStandard.at, 12.12.2013)