Die Parteijugend protestierte mit einem Zitat von Willy Brandt.

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Bundeskanzler Werner Faymann holte sich bei seinen Vorarlberger Parteifreunden eine klare Abfuhr. Das Koalitionspapier wurde vom erweiterten SPÖ-Landesvorstand mit 46:2 Stimmen abgelehnt. Dabei reiste der Regierungschef am Donnerstagabend, nach einem Besuch bei den Tiroler Genossen, persönlich ins Ländle, um die Landespartei auf die neue alte Koalition einzuschwören. Der Andrang zum erweiterten Parteivorstand, die Sitzung war für 20 Uhr anberaumt, war groß. Über 40 kamen.

Landesparteichef Michael Ritsch erwartete den Kanzler am Eingang zu Landhaus. Faymann stand trotz wartender Parteifreunde den Journalisten Rede und Antwort. Ob er sich nun den Segen der Vorarlberger Parteigenossen erwarte, wollte der ORF vorab wissen. Es sei zwar Weihnachten, aber Segen müsse keiner sein, meinte Faymann gut gelaunt.

Faymann buhlt um Zustimmung

Es sei eine gute Idee, durch die einzelnen Landesgruppen zu fahren, er wolle ja breite Zustimmung, begründete Faymann den Blitzbesuch. Er wolle nun Michael und den Freunden Rede und Antwort stehen. Am Freitag beim Parteivorstand in Wien würde dann abgestimmt. §Du kommst doch zur Sitzung, Michael?" Die Frage stieß auf Erstaunen: "Eh klar!".

Das Koalitionsprogramm ist für Faymann keineswegs visionslos: "Wenn man sich in Europa umsieht, ist die  große Vision, nicht so hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekommen, Vorbild an Beschäftigung zu bleiben.“ Wirtschaftliche Stabilität und sozialer Ausgleich, daran müsse man weiter hart arbeiten. "Es wird mehr Gerechtigkeit geben“, versprach Faymann, "durch Veränderung der Gruppenbesteuerung, bei zu hohen Managergehältern". Solidarabgabe von Menschen, die über 150.000 Euro im Jahr verdienen, zu fordern, das zeige doch in die richtige Richtung". Aber: "Eine Koalition ist ein Kompromiss."

Kritik wegen fehlender Gemeinsamer Schule

Michael Ritsch sieht den Kanzlerbesuch als Reaktion auf seine Kritik: "Ich hab offensichtlich am meisten Kritik geübt. Weil ich kein Interesse habe, die nächsten fünf Jahre wieder den Menschen irgendwelche Kompromisse erklären zu müssen."  Die gemeinsame Schule hätte Ritsch gerne im Koalitionspapier gesehen, "zumindest als Modellregion Vorarlberg“.  Um die Gemeinsame Schule habe man gekämpft, sagte Faymann. "Aber ein Koalitionspapier ist nicht die Antragsmappe einer Partei. Ich habe nicht erwartet, dass die ÖVP die Anträge der SPÖ übernimmt."

Schließlich folgte die Abstimmung, in der das Koalitionspapier abgelehnt wurde. Die Vorarlberger SPÖ kritisiert vor allem die Bildungspolitik und mangelnde Ideen zu sozialer Gerechtigkeit. Weil die Gemeinsame Schule kein Thema der neuen Regierung ist, verabschiedete sich SP-Bildungssprecher Elmar Mayer aus dieser Funktion. Norbert Loacker, Vorarlberger Gewerkschaftschef, ging mit Faymann hart ins Gericht. Zur Entlastung des Faktors Arbeit und somit zur Sicherung von Arbeitsplätzen sei der neuen Koalition nichts eingefallen.

Faymann habe sich als interessierter und geduldiger Diskussionspartner gezeigt, sagte Michael Ritsch. Er wolle die Diskussion weiterführen, öfter nach Vorarlberg kommen, sagte Faymann zu derStandard.at. Aber nicht um die Landespartei auf Linie zu bringen, sondern um zu überzeugen. Enttäuscht sei er von den Vorarlbergern nicht. "In einer Partei gibt es unterschiedliche Meinungen und das soll so sein." Und morgen sei Bundesparteivorstand, da werde man dann sehen, wie die Abstimmung ausgehe. Michael Ritsch geht mit einem "mehr als deutlichen Auftrag" in diese Abstimmung. "Ich werde natürlich dagegen stimmen, auch wenn ich vielleicht der Einzige bin."

Parteijugend kritisiert Einigung

Die Verkündung der Einigung auf eine große Koalition stößt auch auf viel Kritik der SPÖ-Parteijugend. Sie fordern mehr Mitbestimmung und sind verärgert, dass der Koalitionspakt ohne eine Befragung der Mitglieder ausverhandelt wurde. Bei dem Treffen mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Gesundheitsminister Alois Stöger in Oberösterreich, wo der Koalitionspakt der Landesgruppe präsentiert wurde, demonstrierte eine kleine Gruppe von jungen Parteimitgliedern. Sie trugen ein Plakat mit einem Zitat von Willy Brandt: "Es hat keinen Sinn! Eine Mehrheit für die Sozialdemokratie zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein."

Unbeeindruckt davon mischt Hundstorfer unter die Genossen. die Koalitionsvereinbarung sei ein "Kompromisspapier", so Hundstorfer zum STANDARD. Was denn diese wichtigste Botschaft des heutigen abends sei? "Das ganz klar eine sozialdemokratische Handschrift erkennbar ist." Unmittelbar danach eilte auch Gesundheitsminister Stöger in den Saal. Bekannt gelassen und zumindest nach außen nicht voll Freude über seine Amtsverlängerung. Stöger zum STANDARD: " Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass mein Sessel gewackelt hat.

"Blanker Hohn"

Bereits vor dem Treffen mit den Landesparteien hatte die Parteijugend gegen das Abkommen mit der ÖVP protestiert. "In der Pressekonferenz heute hat Werner Faymann davon gesprochen, in den Parteigremien diskutieren zu wollen. Das ist blanker Hohn, wenn diesem Prozess nicht einmal 24 Stunden gegeben werden", kritisiert Jessica Müller, Vorsitzende des Verbands sozialistischer StudentInnen (VSStÖ) in einer Aussendung. "Es ist ernüchternd, dass nach monatelangen geheimen Verhandlungen nun über Nacht der Koalitionsvertrag abgestimmt werden soll. Mitbestimmung und Demokratie sehen anders aus", so Müller.

Am Donnerstagnachmittag haben Vertreter der roten Jugend vor dem Wiener Rathaus ihren Unmut in Form einer spontan einberufenen Kundgebung Luft gemacht. Rund 30 Vertreter der Sozialistischen Jugend (SJ), des VSStÖ und der Aktion Kritischer SchülerInnen (AKS) bezogen vor dem Rathauseingang Stellung. Auch sie entrollten ein Transparent mit dem Zitat von Willy Brandt. (Markus Rohrhofer, Jutta Berger, derStandard.at, 12.12.2013)