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Läuft und läuft und läuft: Auch "Elisabeth" bedurfte der künstlerischen Anschubleistung durch die VBW.

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Michael Kunze.

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In keiner Stadt wird so emotional über Kunstförderung diskutiert wie in Wien. Das ist erfreulich und dem in vielen anderen Städten herrschenden Desinteresse am kulturellen Kahlschlag vorzuziehen. Nur leider vernebeln Emotionen leicht den Blick - zumal wenn sie von Ängsten, Neidgefühlen und persönlichen Interessen befeuert werden.

Seit einem knappen Vierteljahrhundert arbeite ich als Autor für die Wiener Musicalbühnen. Zunächst als Übersetzer von Musicals wie Evita, Cats und Das Phantom der Oper für das Theater an der Wien, später mit meinen eigenen Musicals Elisabeth, Mozart, Tanz der Vampire und Rebecca für die Vereinigten Bühnen Wien (VBW). In all den Jahren wuchs der Zuspruch des Publikums. Gleichwohl, oder gerade deswegen, wurde der kulturpolitische Gegenwind immer eisiger.

Dafür gibt es verschiedene Gründe, von den einige durchaus nachvollziehbar sind. Häufig werden die Angriffe jedoch überhaupt nicht sachlich begründet. Wer die Subvention der Wiener Musicalbühnen bekämpft, begnügt sich oft mit einer abwertenden Beschreibung des Genres. Echte Argumente kommen in der öffentlichen Diskussion zu kurz, die Gegenargumente fehlen überhaupt. Vielleicht trägt es zur Versachlichung der Debatte bei, vom Ringen um die Aufteilung des Wiener Kulturetats einmal abzusehen und den Blick auf die Rolle der VBW in der internationalen Kulturszene zu lenken.

Genau betrachtet, gibt es "das Musical" gar nicht. Der Begriff ist so weit, dass er nicht mehr als Genrebezeichnung taugt. Fast jede Bühnenshow mit populärer Musik nennt sich inzwischen "Musical". Die meisten dieser "Musicals" gehören weder in die Kulturszene noch in ein subventioniertes Theater. Unbestreitbar sind aber auch bedeutende Schöpfungen darunter, etwa die Musicals von Steven Sondheim, Kander und Ebb und, ja, auch Andrew Lloyd Webber und Tim Rice.

Ein Blick in die Feuilletons der Londoner und New Yorker Presse zeigt, dass in diesen Städten das populäre Musiktheater kritisch und ernsthaft als Teil des Kulturlebens betrachtet wird. Aus gutem Grund. Es ist, abgesehen von der zeitgenössischen Oper, die einzige heutige Form von Theater mit Musik, und in mancher Beziehung die lebendigste. Oszillierend zwischen Kunst und Entertainment, wird das Musical bedroht von Klischees und Ritualen, gegängelt vom Marketing und herausgefordert von rasch wechselnden Zeitströmungen. Es gehören Ehrgeiz, Standhaftigkeit und Glück dazu, etwas Bleibendes zu schaffen. Als Beobachter der Szene die Spreu vom Weizen zu trennen, die Kunst im Gefälligen zu würdigen und Talente zu erkennen, ist nicht leicht. Doch kein Londoner oder New Yorker Theaterkritiker dürfte bestreiten, dass sich unter all dem glitzernden Talmi immer wieder ein Juwel findet.

Es sind hauptsächlich die nicht auf Gewinn ausgerichteten Bühnen wie das Lincoln Center in New York oder die Royal Shakespeare Company in London, welche immer wieder für innovative, künstlerisch anspruchsvolle Musicals sorgen. Falls diese neuen Werke das Publikum erreichen, wird die weitere Auswertung nach der Anfangsphase kommerziellen Produzenten überlassen. Dafür erhält das Non-Profit-Theater dann Lizenzgebühren, die zusammen mit Zuwendungen von Stadt, Staat oder Stiftern die Produktion neuer Werke ermöglichen.

Damit ist ziemlich genau das Modell für die VBW beschrieben. Tatsächlich spielen sie im kontinentaleuropäischen Raum eine ähnliche Rolle wie das Lincoln Center und die Royal Shakespeare Company. Die Frage ist nicht, ob ein Musical-Theater in Wien ganz ohne Subvention existieren könnte. Das bestreitet niemand. Die Frage ist, ob hier weiterhin neue, eigenständige Produktionen entstehen sollen, die dem Ruf Wiens als Welthauptstadt der Musik gerecht werden und gegebenenfalls um die Welt gehen.

Ohne die VBW wäre kaum eines meiner Musicals entstanden. Heute ist ihre Publikumswirksamkeit erwiesen. Doch bevor diese Werke auf die Bühne kamen, zweifelten viele daran. Es ist riskant, etwas Neues zu wagen. Und doch lebt das Theater vom Mut zu Neuem. Wenn die Existenz einer Bühne allerdings bei jeder Produktion an einem seidenen Faden hängt, fehlt dieser Mut.

Musical als Exportschlager

Nur eine Intendanz, die künstlerische Interessen verfolgt, riskiert etwas wirklich Neues, verpflichtet renommierte Opernregisseure zur Inszenierung oder führt Autoren aus Österreich und den USA zusammen. Die VBW wagten das und mehr. Sie wurden belohnt durch volle Häuser in Wien und den Export ihrer Musicals. Das "Wien Musical" ist international zu einem Begriff geworden. In Tokio, Sankt Petersburg, Seoul, Berlin und demnächst Paris strömen Hunderttausende in ein Musical made in Austria.

Es wäre ein Jammer, wenn all das zerstört würde durch das unvermeidliche Gezänk um den Fressnapf der Kulturförderung. Nicht weniger bedauerlich wäre es, wenn die VBW sich gezwungen sähen, nur noch kommerziell zu denken und bei ihren Produktionen in Zukunft auf Nummer sicher zu gehen. Abgesehen davon, dass es eine Schande wäre, einen Klangkörper wie das wunderbare VBW-Orchester kaputtzusparen.

Es ist eine Tatsache: Österreich ist neben England und den USA der dritte Global Player auf dem Gebiet des populären Musiktheaters. Für die österreichischen Botschafter in Japan, Korea und Russland gehören die Premierenbesuche von Musicalimporten in ihren Gastländern inzwischen zum Bestandteil ihrer Kulturarbeit. Auch das verdankt das Land der Unterstützung der Vereinigten Bühnen durch die Stadt Wien. (Michael Kunze, DER STANDARD, 12.12.2013)