Beim Süßwasserpolypen Hydra, der weitaus älter wird als der Mensch, ändert sich die Sterblichkeit sein ganzes Leben lang nicht.

Foto: Ralf Schaible

Bild nicht mehr verfügbar.

Bei vielen Schildkrötenarten nimmt im Laufe des Alterns das Sterberisiko ab. Aber natürlich müssen auch sie einmal ins Gras beißen.

Foto: REUTERS/Stringer

Max-Planck-Wissenschafter haben einen Katalog von 46 Arten und deren jeweiligen Sterblichkeiten und Geburtenraten erstellt. Eine hochauflösende Version dieser Grafik finden Sie hier.

Grafik: Owen Jones (MaxO), Alexander Scheuerlein (MPIDR) et. al/ Nature 2013

In den Medien ist das Altern Dauerthema. Und auch die Wissenschaft befasst sich seit Jahrzehnten intensiv damit, Alterungsprozesse besser zu verstehen und sie womöglich zu verlangsamen. Doch warum und wie Tiere und Pflanzen altern, scheint laut einer neuen Studie eines internationalen Forscherteams zweier Max-Planck-Forschungseinrichtungen rätselhafter denn je.

Bisherige Versuche, die Alterung evolutionär zu begründen, gehen davon aus, dass ein Lebewesen nur so lange in den Erhalt seines Körpers investiert, bis es sich erfolgreich vermehrt und seine Nachkommen großgezogen hat. Je näher das Ende der Fortpflanzungsphase rückt, desto mehr müsste der Körper demnach verfallen – er altert.

Doch diese gängigen Erklärungen für den Alterungsprozess scheitern nicht nur an höchst unterschiedlichen Lebensspannen, die von wenigen Tagen (Fruchtfliege) über Jahrzehnte (Mensch) bis hin zu Jahrhunderten (Süßwasserpolyp) reichen können. Sie passen auch nicht zu den Sterblichkeitsraten je nach Lebensalter.

Verblüffende Vielfalt von Alterungsmustern

Gängige Theorien gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit zu sterben mit dem Alter zunimmt – wie beim Menschen. Doch eine einzigartige Datensammlung über die Lebenszyklen 46 höchst verschiedener Tier- und Pflanzenarten und deren jeweilige Sterblichkeiten kommt nun zu ganz anderen Ergebnissen, die auf eine verblüffende Vielfalt von Alterungsmustern hinweisen.

Aber auch schon der Mensch macht der Theorie Schwierigkeiten: Er lebt heute bis weit über die Zeit hinaus, in der man Kinder bekommen kann, schrieben die Forscher in "Nature". Vollends zur Ausnahme wird Homo sapiens beim Anstieg der Sterbewahrscheinlichkeit: Die steigt zwar erst in höherem Alter an, erreicht für Japanerinnen mit etwa 100 Jahren aber sogar das über 20-Fache des Lebensdurchschnitts. Selbst unter Säugetieren erreicht diese Wahrscheinlichkeit höchstens den fünffachen Wert.

Ganz besonders versagen die evolutionären Erklärungen aber bei zwei Gruppen von Spezies, für die die Alterung buchstäblich Kopf steht: Zum einen gibt es Arten, deren Sterblichkeit sich über das gesamte Leben nicht verändert, wie beim Süßwasserpolypen Hydra oder beim Einsiedlerkrebs. Ihr Körper scheint nicht zu degenerieren, während die Lebenszeit verstreicht.

Wenn die Wahrscheinlichkeit zu sterben mit zunehmendem Alter sinkt

Zum anderen gibt es Arten, deren Wahrscheinlichkeit zu sterben mit zunehmendem Alter immer kleiner wird: Das gilt etwa für die Farbwechselnde Gorgonie (eine Koralle), die Eiche mit dem lateinischen Namen Quercus Rugosa oder die Kalifornische Gopherschildkröte. Auch sie sind irgendwann tot, denn ihr Sterberisiko wird niemals null. Aber wenn sie alt sind, ist es für sie wahrscheinlicher, den nächsten Geburtstag zu erleben, als in der Jugend.

Mit noch einer Vorstellung räumt die neue Datensammlung auf: dass Spezies, die besonders kurz leben, am stärksten altersbedingt abbauen. Manchmal ist eher das Gegenteil wahr: So verläuft die Sterblichkeit der Nordischen Wühlmaus ziemlich stabil – sie steigt zum Lebensende lediglich auf knapp das Doppelte des Lebensdurchschnitts. Trotzdem wird diese Wühlmaus fast nie älter als ein Jahr.

Alter und Fruchtbarkeit

"Erstaunlicherweise scheint es in der Natur kaum einen Typ von Lebensverlauf zu geben, den man nicht finden kann", sagt Ko-Autor Owen Jones, Forscher am Max Planck Odense Center on the Biodemography of Aging im dänischen Odense. Das gelte nicht nur für die Sterblichkeit, sondern auch für die Fruchtbarkeit. Während menschliche Frauen nur in einer recht kurzen Phase in der ersten Lebenshälfte Kinder bekommen und dann unfruchtbar werden, nimmt die Fertilität etwa für den Alpensegler bis kurz vor dem Lebensende kräftig zu. Und der Steppenpavian bekommt sein Leben lang Junge, ohne dass sein Alter daran viel ändern würde.

"Uns fehlt auch deswegen immer noch eine einheitliche Theorie des Alterns, weil uns die bisher sehr spezielle Auswahl biologischer Daten den Blick versperrt hat", sagt Biodemograf Alexander Scheuerlein (Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock), der ebenfalls an der Studie beteiligt war. So gäbe es schon lange hochwertige demografische Angaben für Hunderte von Säugetieren und Vögeln, kaum aber für andere Wirbeltiere oder wirbellose Arten.

Extrem wenig wisse man über Algen, Pilze und Bakterien. Um zu verstehen, warum die Evolution das Altern geschaffen hat, müssten endlich umfangreichere Daten über alle Arten gesammelt werden. (Klaus Taschwer, derstandard.at, 10.12.2013)