Wien - Manchmal könnte man, so man unmittelbar hintereinander verschiedene Aufführungen an der Staatsoper besucht, meinen, es würde ein anderes Orchester im Graben sitzen. Das hat weniger mit der - zum Teil deutlichen - Fluktuation zu tun, die Dienstpläne mit sich bringen, sondern schon auch noch mit den Dirigenten. Obwohl ja das schöne Bonmot existiert, die Wiener Philharmoniker (und also auch in ihrer Existenzform als Staatsopernorchester) würden ohnehin so spielen, wie sie wollen, egal was derjenige gerade tut, der am Pult steht.

Das Körnchen Wahrheit darin hat insofern beträchtliche Folgen, als das Atmosphärische hier nach wie vor eine enorme Rolle spielt. Jüngst war jedenfalls aller Zauber wieder da, und zwar einen ganzen langen Tristan lang, der weder nach Dienst noch nach Vorschrift klang. Schon dem Vorspiel, das sonst so gerne in Langsamkeit erstarrt, hauchte Dirigent Peter Schneider Geist und Leben ein, und so blieb es vier Stunden lang: fließend, beseelt, mit viel Gespür, aber in nichts übertrieben, sondern so natürlich, als wäre es das Leichteste auf der Welt.

Wir wissen aus anderen Zusammenhängen, dass dem nicht so ist. An diesem Sonntag aber blühte es in jeder orchestralen Faser, wurden die Sänger subtil wie selten eingebunden - nur manchmal so klangvoll, dass nicht alle immer ganz durchkamen. Das hatte allerdings auch mit den verschiedenen Charakteristika der Stimmen zu tun: Violeta Urmana (Isolde) verfügt über ein derart tragfähiges Organ, dass sie sich stets durchsetzt. Auch wenn das zuweilen leider mehr hysterisch als freudejauchzend wirkte, überwogen die satten, strahlenden, im Lyrischen höchst kultivierten Passagen.

Robert Dean Smith gab seinen Tristan mit mehr heldischem Metall als Klangfülle; Matthias Goerne musste als Kurwenal seine Grenzen des Volumens ausmessen - Probleme, vor denen der sonore Albert Dohmen (Marke) und der markige, glänzende Clemens Unterreiner (Melot) gefeit waren. Das lange erwartete Debüt von Elisabeth Kulman als Brangäne allerdings war es, das den Abend vollends einzigartig machte: Sie sang so ebenmäßig und vollendet und mit derart von Wärme durchpulster Stimme, als könnte die Behauptung von Richard Strauss, der Tristan sei eine "Belcanto-Oper", tatsächlich wahr sein.

Und die (recht neue) "Inszenierung" von David McVicar? Die wirkt ein bisschen so, als hätte es sie schon immer gegeben: auffällig unauffällig, unverbindlich bebildernd, ansonsten statisch und starr. Salome lässt grüßen. (Daniel Ender, DER STANDARD, 10.12.2013)