Künstlerische Rekonstruktion von Vertretern des Homo heidelbergensis, einer ausgestorbenen Menschenart, die vor rund 400.000 Jahren unter anderem auch im heutigen Spanien lebte.

Illustration: Javier Trueba, Madrid Scientific Films

Leipzig/Wien - Die Stammesgeschichte des Menschen gehört fraglos zu jenen Forschungsbereichen, die in den vergangenen Jahren durch die Entwicklung neuer Techniken völlig umgekrempelt wurden. Pionier dieser Entwicklung ist der schwedische Forscher Svante Pääbo, dem es Mitte der 1980er-Jahre erstmals gelang, DNA aus ägyptischen Mumien zu extrahieren und der damit zum Pionier der Paläogenetik wurde.

Seitdem gelangen den Forschern um Pääbo, der das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig leitet, etliche sensationelle Entdeckungen: Sie konnten unter anderem die DNA von Neandertalern rekonstruieren und entdeckten allein durch die DNA-Analyse eines 40.000 Jahre alten Fingerknochens aus Sibirien einen neuen Verwandten von Homo sapiens, den Denisova-Menschen.

Nun ist Svante Pääbo abermals an einer Entdeckung beteiligt, die selbst er für "höchst aufregend" hält: "Unsere neuen Resultate zeigen nämlich, dass wir DNA von menschlichen Vorläufern untersuchen können, die hunderttausende Jahre alt ist." Genau das schien bis vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar.

Das untersuchte Objekt ist ein 400.000 Jahre alter Oberschenkelknochen, der aus der Sima de los Huesos (deutsch: Knochengrube) nahe der nordspanischen Stadt Burgos stammt. Diese Höhle wird seit gut 20 Jahren von einem spanischen Forscherteam untersucht und hat bereits für zahlreiche spektakuläre Entdeckungen gesorgt. Unter anderem hat man 28 Frühmenschenskelette aus dem Mittleren Pleistozän (vor 126.000 bis 781.000 Jahren) geborgen.

Das Team um Pääbo und dessen Mitarbeiter Matthias Meyer entnahm dem Oberschenkelknochen zwei Gramm Pulver und extrahierte daraus mittels neu entwickelter Verfahren uralte DNA, die bereits stark zersetzt war. Anschließend gelang es den Forschern, die Erbsubstanz aus den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, nahezu vollständig zu sequenzieren.

Laut den Analysen, die im Fachjournal "Nature" publiziert wurden, handelt es sich bei dem Frühmenschen um einen Vertreter von Homo heidelbergensis. Diese Hominidenart entstand vor etwa 600.000 Jahren aus dem Homo erectus und entwickelte sich nach bisherigem Kenntnisstand vor etwa 200.000 Jahren zum Neandertaler weiter.

Doch diese These dürfte nun ins Schwanken kommen: Die Forscher konnten zwar zeigen, dass der nordspanische Frühmensch mit dem Denisova-Menschen verwandt ist und mit ihm vor 700.000 Jahren einen gemeinsamen Vorfahren teilte. Es fand sich aber vergleichsweise wenig Neandertaler-DNA im Erbgut. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 5.12.2013)