Eine gruselige Show ohne Erlösung: "Tod-krank.Doc" von Elfriede Jelinek in Bremen.

Foto: joerg landsberg

Zelebriert wird eine düstere Messe: Während ein Rezitativ aus einem barocken Oratorium erklingt, lösen sich fünf weiß gekleidete Gestalten aus dem Bühnennebel - eine Gruppe bleicher Untoter (Kostüme: Elke von Sievers). Ihre Stimmen kreisen immer wieder um einen "Blutkuchen", der sich aus dem an Krebs erkrankten Körper lösen und verteilt werden wird. Bühnenarbeiter legen den Zombies später Engelsflügel an und ziehen sie an Seilen in die Höhe (Bühne: Christian Beck).

Seine Todesangst hatte der Aktionskünstler Christoph Schlingensief in seinen letzten Lebensjahren zum öffentlichen Thema gemacht, und Elfriede Jelinek hatte für sein letztes Werk, seine Readymade-Oper Mea culpa den Text Tod-krank.doc geschrieben; doch Schlingensief hatte aus diesem Text nur zwei Zeilen verwendet.

Tod-krank.doc ist ein umfangreiches sechsteiliges Werk, das Jelinek nun erst - drei Jahre nach Schlingensiefs Tod - zur Gänze zur Uraufführung freigegeben hat: eine Kirche mit mehreren Altären. Sie tragen Titel wie Im Wald, In der Maschine und In der Krankheit. Lediglich ein Teil, Der Bus, wurde bereits 2010 von Karin Beier in Köln inszeniert: Beim U-Bahn-Bau in München-Trudering hatte sich ein Bus buchstäblich in den Baukies eingegraben, ein Bauarbeiter war unversehens zum Totengräber der Fahrgäste geworden.

Freudianische Metaphorik

Neben dem Kampf mit dem Tod steht in der Bremer Aufführung im Zentrum der Fall Josef F., der Im Keller keinen Schlüssel zu sich selbst findet. Dort hatte Josef F. mit seiner Tochter Kinder gezeugt und sie 24 Jahre versperrt; einer aus der Hölle, der die Schuld der Welt auf sich nimmt? Aber auch eine Vorform von Ödipus, der das Auge aussticht und dessen Schwellfuß immer wieder beschworen wird. F. als Variation von Goethes Faust, wie es Elfriede Jelinek in ihrem 2012 uraufgeführten Sekundärdrama Faust In & Out durchexerzierte, erscheint allerdings überzeugender als die religiöse und freudianische Metaphorik in Tod-krank.Doc. Auch ist die antike Grundierung - Jelinek versteht das Werk als Palimpsest der Schutzflehenden von Aischylos - nur mit großer philologischer Mühe rekonstruierbar.

Gedärme und Nabelschnüre

Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr ist es mit Tod-krank.Doc dem Theater Bremen gelungen, sich eine Elfriede-Jelinek-Uraufführung zu sichern. Zwei völlig kontrastierende Regiezugänge zu Jelinek sind dabei zu sehen. Gegenüber dem gespenstisch düsteren Grusical Tod-krank.Doc, das Mirko Borscht nun inszenierte, erschien das im April 2013 in Bremen uraufgeführte Stück Aber sicher! (über Schuld und Schuldenkrise, Banker und blinde Seher) wie eine Ödipus-Operette, in der lustvoll satirisch Jelineks Textschleifen präsentiert werden (Regie führte Alexander Riemenschneider).

Milo Borscht hingegen geht es wie Schlingensief wenig um Jelineks Text, der akustisch oft ungenau vom siebenköpfigen Ensemble vermittelt wird. Immer wieder neue dunkle Bilder und Klänge bedrängen den Zuschauer: Neben Barockmusik dröhnende Heavy-Metal-Klänge, Videoeinblendungen mit Schwarz-Weiß-Comics, Schlachten mit Gedärmen und Nabelschnüren, sicherlich auch überraschend leise und stille Momente, doch vor allem: Nebelschwaden. Wenn grelle Scheinwerfer die Zuschauer blenden, sieht man bestenfalls dunkle Schatten über die Bühne huschen.

Christoph Schlingensief hatte eine seiner letzten Arbeiten "eine Kirche der Angst vor sich selbst" genannt. Das könnte auch für die Bremer Uraufführung stehen. Erklärungen und Erlösungen bietet Mirko Borschts Theater nicht, aber zumindest eine ziemlich gruselige Show. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 3.12.2013)