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Ein Gemüsehändler in Mumbai. Im Namen der Lebensmittelsicherheit verhindert Indien notwendige Reformen.

Foto: AP/Kakade

Dass 12 Jahre nach dem Beginn der Doha-Runde in der Welthandelsorganisation immer noch kein neuer multilateraler Welthandelsvertrag zustande gekommen ist, daran ist vor allem Indien Schuld. Die indische Regierung hat sich schon 2005 und 2009 als größter Stolperstein für eine Einigung erwiesen – stets im Namen der „Nahrungsmittelsicherheit“, also einer höchst teuren und protektionistischen Politik zur Subventionierung von Essen für die Armen.

Inzwischen hat Indien seine Programme so ausgeweitet, dass 70 Prozent der Bevölkerung von Preisstützungen profitieren, also auch die wachsende untere Mittelschicht. Das kostet den indischen Staat jedes Jahr Milliarden, ist der Hauptverursacher eines riesigen Budgetdefizits und führt dazu, dass dem Land die Mittel zum Aufbau einer modernen Infrastruktur fehlen.

Die schlechten Straßen und miserablen öffentlichen Einrichtungen wiederum gelten als wichtigste Ursache für das schleppende Wirtschaftswachstum der letzten Jahre, das zuletztn unter die Schwelle von fünf Prozent im Jahr gerutscht ist. Auf diese Weise fällt das Land gegenüber China immer weiter zurück.

Agrarliberalisierung stockt

Es ist eine ökonomisch unsinnige Politik, aber politisch höchst populär. Und weil Indien hier zu überhaupt keinen Kompromissen bereit ist, kommt auch eine weltweite Liberalisierung des Agrarhandels nicht zustande – eine Reform, die anderen Entwicklungsländen große neue Exportchancen nach Europa, Japan und in die USA eröffnen würde. Den Gegnern einer solchen Öffnung, auch in Europa, wird es durch die indische Politik sehr leicht gemacht.

Wegen des Patts in der Agrarpolitik ist ein großes Welthandelsübereinkommen, wie es die Doha-Runde eigentlich vorsieht, außer Reichweite. Aber die Mehrheit der Staaten haben sich jetzt auf ein kleines Paket geeinigt, dass einen Abbau von administrativen Handelsschranken in allen Ländern vorsieht.

Allein das würde, so die Berechnungen der Experten, den Welthandel und die  Weltwirtschaft deutlich ankurbeln. Vor allem aber wäre es ein Signal, dass die WTO nicht tot ist und auf der multilateralen Ebene noch Fortschritte möglich sind.

Mit leeren Händen nach Bali

Aber auch diese Einigung wird derzeit von Indien blockiert, weil es mit den Zusicherungen für seine protektionistische Agrarpolitik, einer so genannten „Friedensklausel“, nicht zufrieden ist.  Die WTO reisen deshalb mit leeren Händen zur Handelsministerkonferenz nach Bali an, die am kommenden Mittwoch beginnt. Eine Einigung dort, die noch vor kurzem als sehr wahrscheinlich galt, wackelt nun.

Das wäre für die gesamte Weltwirtschaft ein Rückschlag, vor allem aber für Schwellenländer wie Indien. Denn wenn die WTO nichts zustande bringt, dann wird der Welthandel zunehmen in regionalen Handelsblöcken ablaufen, vor allem dem transatlantischen und transpazifischen Freihandelszonen, die derzeit ausverhandelt werden.  Aus diesen aber ist der Süden ausgeschlossen.

Dass Indien einen für die eigene Wirtschaft so destruktiven Kurs fahren kann, hängt mit den Eigenheiten der indischen Innenpolitik zusammen und der Tradition des Antikolonialismus, die in der wirtschaftlichen Autarkie immer noch einen Wert und in der Globalisierung eine Form der Ausbeutung durch die reichen Industriestaaten sieht.

Der Einfluss der Globalisierungskritiker

Bestärkt werden die indischen Eliten darin von den Globalisierungskritikern im Norden, denen es seit der WTO-Konferenz in Seattle 1999 gelungen ist, vor allem die WTO als neoliberale Verschwörung gegen die Armen der Welt darzustellen. Dazu haben  große Ökonomen wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz genauso beigetragen wie die jungen Aktivisten von Attac.

Dass die WTO aber nicht von den reichen Staaten dominiert wird, zeigt sich gerade daran, dass ein Land wie Indien jeden Fortschritt blockieren kann. Denn für neue Handelsverträge ist Einstimmigkeit  erforderlich.

Der Mangel an Handelsliberalisierung seit fast 20 Jahren bekommen gerade Länder wie Indien zu spüren. Millionen von Menschen verharren dort in Armut, weil das Land nicht genug am Welthandel teilnimmt und viel zu wenige Auslandsinvestitionen erhält.

BJP im Aufwind

Auch viele Inder haben von dieser Politik genug. Sonst wäre im Vorfeld der Parlamentswahlen kommendes Jahr die oppositionelle BJP unter ihrem umstrittenen Spitzenkandidaten Narendra Modi nicht so populär.

Ein Einlenken Indiens in Bali wäre ein Signal, dass sich auch die regierende Kongress-Partei als verantwortungsvoller Spieler der Weltwirtschaft sieht und die Gesamtinteressen der Nation im Sinne hat. Lässt sie Bali scheitern, dann ist es eine verlorene Chance für die ganze Welt - und eine Katastrophe für die meisten Inder. (Eric Frey, derStandard.at, 1.12.2013)