In der Welt von "Kooza" sorgt ein Zauberstab für schlagartige Szenenwechsel.

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Man würde nicht vermuten, welch bunt schillernde Märchenwelt sich im Inneren ausbreitet: Ganz in Weiß steht die Zeltstadt des Cirque du Soleil auf der Pariser Île de Seguin, einer Seine-Insel in der westlichen Vorstadt. Auf das marktschreierische Äußere früherer Zirkuszelte kann das Montrealer Unternehmen mittlerweile gut und gerne verzichten.

Mit poetischen Stücken wie Saltimbanco, Quidam oder Alégria machte sich der "Zirkus der Sonne" einen Namen in der Welt des "Cirque Nouveau". Diese Bezeichnung entstand in den 1960ern und meint Zirkusformen, die die Nähe zum Theater suchen, indem sie traditionelle Manegekünste und Geschichtenerzählen bewusst miteinander verbinden.

Wenn man PR-Mann Adrian Gonzales beim Zahlenaufsagen zuhört, wird schnell klar: Mit dem Cirque du Soleil hätte man beim Supertrumpf-Quartett ein Ass im Ärmel. 1984 in Quebec von 20 Straßenkünstlern gegründet, beschäftigt das Unternehmen mittlerweile rund 5000 Mitarbeiter. 15 Millionen Besucher auf weltweit 20 verschiedenen Shows erwartet man für die Bilanz 2013. In Las Vegas und im Disney-Resort in Florida betreibt das Entertainment-Imperium stationäre Shows, andere touren um die Welt. Kooza heißt jene 2007 gestartete Show, die letzte Woche in Paris anlief und im Mai 2014 nach Wien kommen soll.

Mit Kooza wendet sich der Cirque du Soleil den Wurzeln seiner Branche zu. Herzstück der Show sind klassische Darbietungen als solche: Ihre Hauptfigur bestaunt etwa Schlangenmenschen, einen Hochseilakt, Parterre- und Trapezakrobatik. Zwischen spannungsgeladeneren Acts treten Clowns auf. Einzig die Tiere fehlen - ein Charakteristikum der Cirque-Nouveau-Bewegung.

Entertainment statt Kunst

"It's all about the acts", erklärt Gonzales unumwunden und betont, dass Kooza die gefährlichste aller Cirque-du-Soleil-Produktionen sei. Es ist kaum zu übersehen, dass die Geschichte von Autor und Regisseur David Shiner im Wesentlichen der Auffädelung der Darbietungen dienen muss.

Da wird einem kindlich-naiven Tollpatsch zu zuckerfeeartiger Musik ein rätselhaftes Paket zugestellt. Die rote Schachtel gibt der Show auch ihren Namen: "Kooza" geht auf das Sanskrit-Wort "Koza" zurück, das Box, Kiste oder Schatz bedeutet. Aus dem Paket springt unter Getöse der "Trickster", ein undurchschaubar zwischen Gott und Teufel schillernder Magier, der mit seinem Zauberstab ungefragt ein eigentümliches Königreich erschafft. Das kunterbunte Gefolge eines chaotischen Königs überschwemmt die Szene samt dem ratlosen Hauptdarsteller, verängstigt ihn zunächst, verzaubert ihn aber zuletzt mit ihren diversen Attraktionen.

Hier wird er von einer Hula-Hoop-Ballerina betört, dort bestaunt er einen unerreichbaren Sessel-Akrobaten. Zu Beginn des zweiten Aktes geht es zum Totentanz in die Unterwelt, wo mit dem Todesrad die gefährlichste Darbietung des Abends wartet: eine Art Hamsterrad für zwei Artisten. Helfen Sicherheitskonstruktionen bei anderen Acts gegen übermäßigen Nervenkitzel, so bekommt man hier trotz seitlicher Auffangplanen schwitzige Hände.

Ausstattung, Kostüme und Musik sind vielfältig, aber nicht beliebig: Sie umreißen einen karnevalesken Schwebezustand, in dem sich Kulturkreise und Zeiten, Popkultur und Mythologien fröhlich vermengen.

Es ist fast unnötig zu sagen, dass handwerklich alles sitzt: Timing und Dramaturgie sorgen dafür, das selbst jene Darbietungen, die einen längeren Bart haben, überraschend bleiben. Als Produkt der Eskapismus-Industrie ist Kooza ein Vergnügen. Zeitgemäßer Cirque Nouveau würde aber auf mehr Kunst der Zwischentöne statt allein auf spektakulären Nervenkitzel setzen. (Roman Gerold, DER STANDARD, 30.11.2013)