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Bellizistische Spiele sind Echo wie Lautsprecher der Kriegsbegeisterung in Europa.

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Sie erzählen ein dunkles Kapitel aus der Geschichte des Krieges.

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Beim "Weltkrieg-Quartett" marschierten österreichische und deutsche Soldaten lachend Hand in Hand.

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Auch das Quartett der "Fürsten, Feldherren und Helden" waren die Generäle beider Heere immer schon Blutsbrüder gewesen.

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Beim Geduldsspiel "Die böse 7" gewinnt jener Spieler, der "jedem der sieben Feinde das Maul mit einer Kugel stopft". Die Feinde sind Franzosen, Russen, Belgier, Japaner, Montenegriner und natürlich Serben.

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Im Kartenspiel "Der Schwarze Peter von Serbien" wurden all jene rassistischen Feindschemata eingeübt, die zur Einsicht in die vermeintliche Notwendigkeit des kommenden Krieges beitrugen.

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Sämtliche Fotos wurden dem STANDARD vom Wien Museum zur Verfügung gestellt.

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Am Ende, als der vielbeschworene "Geist von 1914" längst im Gaskrieg verdampft und das Grauen des Krieges für alle sichtbar war, wurden auch die Spiele wieder abstrakt: Das "Wiener Wohlfahrtsbureau" druckte und verschickte 1917/18 eine Reihe handlicher Taschenspiele. Die Spielfelder der neuen Kreuz- und Quadratspiele bestanden nur noch aus Linien und Punkten, statt in aufwändig gestaltete, farbige Schachteln, die beim Öffnen Aufregung und Abenteuer versprachen, waren die Spiele nun in schmucklose, feldpostgraue Kartonhüllen gepackt. Sie erschienen in der Reihe "Invalidentrost".

Ein Spiel namens "Russentod"

Ein paar Jahre zuvor hatte die Welt der Spiele noch anders ausgesehen. Karl Kraus erwähnte 1915 in "Die Fackel" das Jugendspiel "Wir spielen Weltkrieg!". Im ersten Akt der Letzten Tagen der Menschheit wird es der Lehrer Zehetbauer den Kindern zur Belohnung für Fleiß und gute Sitten empfehlen, ebenso wie das Spiel "Russentod". Weihnachten steht vor der Tür. Im selben Jahr hatte der Spieleverlag Josef Scholz in Mainz "Feuernde Mörserbatterie" auf den Markt gebracht. Das "zeitgemäße Gesellschaftsspiel für Jung und Alt" war eine Feierstunde der Artillerie: Auf dem Spielbrett waren Kanonen in Aktion, die eine Festung unter Beschuss nehmen und zerstören sollen.

Bellizistische Spiele dieser Art sind Echo wie Lautsprecher der Kriegsbegeisterung in Europa, sie erzählen ein dunkles, kaum bekanntes Kapitel aus der Faszinationsgeschichte des Krieges. Je näher der Krieg rückte, desto stärker wurde in den kakanischen und wilhelminischen Kinderzimmern aufgerüstet. Fast alle prominenten Spiele- und Spielzeugverlage begannen Kriegs- und Propagandaspiele zu produzieren. Etwa ein Fünftel der Gesellschaftsspiele wies kurz vor und zu Beginn des Ersten Weltkriegs einen eindeutigen Kriegsbezug auf, die Mehrzahl der Neuerscheinungen 1914/15 variierte das Thema Krieg. Der Anteil am Gesamtumsatz stieg von etwa zwei auf acht Prozent.

Die Verlage konnten dabei auf die lange Tradition zurückblicken. Die Zinnsoldaten und Ritterburgen, Holzschwerter und Gewehrattrappen bedienten seit Jahrhunderten puerile Fantasien, ebenso die unzähligen Jeux de la Guerre, Games of Bombardement und Belagerungsspiele, in denen die Schlacht Thema ist. Eines der bekanntesten war "Polemos" von Griffith 1888. Die komplexe Schlachtsimulation auf 600 Feldern war unter fachlicher Beratung englischer Militärs entstanden und in ihrer "Boy's Edition" über Jahrzehnte ein großer kommerzieller Erfolg in England.

Bereits um die Jahrhundertwende bedienten auch einfachere militärische Spiele wie das "Flotten-Spiel", "Seeschlacht" oder "Die Eroberung von Peking" den Spielemarkt und die Lust auf Exotik und abenteuerliches Leben. "Der kleine Soldat" von Otto Maier (Ravensburger) konnte 1904 noch wie viele andere Spiele auf Deutsch, Französisch und Englisch erscheinen. Die ludische Musterung der Kinder des Fin de Siècle kannte noch keine sprachlichen oder nationalen Grenzen.

Propaganda für die ganze Familie

Zusehends wurde das Publikum allerdings auf Vaterlandstreue eingeschworen, Feindbilder wurden in den Erzählungen der Gesellschaftsspiele konstruiert und durch karikatureske Grafiken eingeübt. Effektiver als mit anderen Propagandamedien gelang es durch die scheinbar harmlosen Spiele, direkt in die Familien vorzudringen. Überzeugt wurde natürlich niemand, aber allein die Anwesenheit der Spiele stimmte ein bzw. schüchterte ein.

Die politische Instrumentalisierung der Spielwelten betraf alle Genres. Brettspiele wie Der Völkerkrieg oder das U-Boot-Spiel Der gute Kamerad (1915) ästhetisierten das Kriegsgeschehen und beförderten die soldatischen Tugenden des Gehorsams, der Disziplin und Treue. Puzzles und Kartenspiele wie das "Weltkrieg-Quartett" oder das "Quartett der Fürsten, Feldherrn und Helden des großen Völkerkampfes" lehrten eine neue Auffassung von Geschichte: Ab nun marschierten österreichische und deutsche Soldaten lachend Hand in Hand, die Generäle beider Heere waren immer schon Blutsbrüder gewesen.

Die Feinde sind Serben

Auch die Firma Märklin passte ihr Sortiment dem neuen Markt an. Der Katalog für 1915 vermittelte detailliertes Wissen über das Waffenarsenal der Achsenmächte und ihre technische Überlegenheit. Der Käufer konnte wählen zwischen funktionstüchtigen Panzerzüge mit Uhrwerkbetrieb, Granatenwerfern im Liliputformat, Kriegsschiffen und Zeppelinen. Im Kartenspiel "Der Schwarze Peter von Serbien" wurden schließlich all jene rassistischen Feindschemata eingeübt, die zur Einsicht in die Notwendigkeit und Gerechtigkeit des kommenden Krieges beitrugen. Beim Geduldsspiel "Die böse 7" (1914) gewinnt jener Spieler, der "jedem der sieben Feinde das Maul mit einer Kugel stopft". Die Feinde sind Franzosen, Russen, Belgier, Japaner, Montenegriner und natürlich Serben. Der Engländer hält dabei die Strippen in der Hand, an der alle anderen hängen.

Innovationen waren wie bei den Computerspielen der Gegenwart äußerst selten, zumeist wurde der Mechanismus älterer und erfolgreicher Spiele für den politischen Zweck grafisch und narrativ übernommen. Die martialischen Belagerungsspiele fußten zumeist auf der Matrix des alten Wolf-und-Schafe-Spiels, viele Schlachtensimulationen waren bloß ins Endlose erweiterte Schachvarianten. Im Prinzip ist in jedem agonalen Sport- und Gesellschaftsspiel das Motiv des Krieges aufgehoben: Man schießt, trifft, verteidigt sich, greift an - auf Brettern und Feldern. Allerdings erfolgt die Verarbeitung des Motivs in aller Regel in hoch stilisierter Weise. Diese Funktion der Be- und Verarbeitung gilt nicht mehr für die reinen Kriegs- und Propagandaspiele, sie formulieren ihre bellizistische Botschaft unmissverständlich. Gerade in dieser frappierenden Eindeutigkeit und Transparenz besteht ihre politische Funktion.

Am Ende ein letztes Aufbäumen

Am Ende des Krieges noch ein letztes Aufbäumen: 1918 mobilisierte die deutsche Spieleindustrie mit "Vereint - gegen den Feind!" ein letztes Mal und versuchte, auf 80 Feldern Kriegsgeschehen noch aus den irrationalsten Durchhalteparolen ein wenig vaterländischen Profit zu schlagen. Das Spiel war kein Erfolg mehr.

Bei Milton Bradley erschien 1918 das wohl seltsamste Brettspiel der Spielgeschichte. Auf dem düsteren Cover von "Le Choc", einem eher misslungenen Strategiespiel mit Maschinengewehren und Gasangriffen, ist eine verzweifelte Frau inmitten einer Ruinenlandschaft zu sehen, vor Entsetzen hält sie sich ihre Hände vor das Gesicht. Wer wohl Lust hatte, dieses Spiel zu spielen?

Am Ende verschwanden die Kriegsspiele, die Spielzeugkanonen und - unheimlichster Gast in den Kinderzimmern - die flauschigen Soldatenpuppen mit ihren hübschen Uniformen wieder aus den Katalogen und den Regalen. Für eine Zeitlang. Einen Weltkrieg später wiederholte sich alles. (Ernst Strouhal, DER STANDARD, Album, 30.11./1.12.2013)