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Jimmy Hogan zeigt es - hier in Paris, wo er ja auch lehrte - vor. Nur wer den Ball liebkost, darf damit rechnen, dass er ins Tanzen gerät. Das ist das Geheimnis des Scheiberlns.

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Österreichs Fußballteam bei den olympischen Spielen 1912 in Paris: rechts außen Jimmy Hogan.

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Am 4. Juli des Jahres 1954 lehnt sich Jimmy Hogan in einer Weise zurück, die nur jemand beherrscht, den auf einmal eine satte Lebenszufriedenheit übermannt.

Daneben fuchtelt verärgert Friedrich Torberg herum, der Dichter. Das da - die 2:3-Finalniederlage der goldenen ungarischen Mannschaft - sei gleichbedeutend mit dem Ende der ballesterischen Poesie. Willy Meisl, der Bruder des einstigen österreichischen Wunderteam-Chefs, versucht zu relativieren. Das da - der Weltmeistertitel für die deutsche Westzone - sei höchstens das Ende des ballesterischen Hexameters.

Jimmy Hogan aber, dem die Versmaße in diesem Zusammenhang eher powidl sind, lehnt sich zurück und ist es zufrieden. Denn nicht Deutschland ist eben Weltmeister geworden im Berner Wankdorfstadion - sondern er, der kleine James Hogan, geboren 1882 in der nordwestenglischen Grafschaft Lancashire, herumgezogen in Europa seit Jahr und Tag.

Von ihm nämlich, den sie daheim zuweilen behandelten wie einen Drückeberger, ja einen Verräter, haben die aktuell drei weltbesten Fußballnationen das Kicken gelernt: die Deutschen, die Ungarn und die Österreicher, die sich im Spiel um Platz drei gegen Doppelweltmeister Uruguay mit 3:1 behauptet hatten.

Der Grundstein gelegt für diesen, Jimmy Hogans, WM-Titel wurde fast auf den Tag genau vor 40 Jahren. In einem Tollhaus namens Wien, in dem sogar einer wie der Landsturm-Reserveleutnant Hugo Meisl den Verstand verloren hat und so stürmisch in des Kaisers Rock drängte, als wäre der eine Fußballdress.

Während also Meisl gen Serbien zog (und ein Jahr später an den Isonzo, wo er - anders als der Jan Sindelar - alle zwölf Schlachten überlebte), holte die Polizei Jimmy Hogan und steckte ihn als "feindlichen Ausländer" in die Liesl, das k. k. Polizeigefängnis an der Elisabethpromenade (heute Rossauer Lände). Seine schwangere Frau durfte mit den beiden Kindern heimreisen. Nicht aber er, kriegsdiensttauglich, wie er war.

Matt und grauslich

Begonnen hat Hogans Wien-Beziehung am 5. Mai 1912 mit einem matten, grauslich anzusehenden 1:1 der cisleithanischen Auswahl gegen die Transleithanier, die Ungarn also. Hugo Meisl - Europas ballesterischer Hudriwusch, damals noch in statu nascendi - fragte den Schiedsrichter der Partie, den Engländer John Howcroft, was sich eventuell tun ließe gegen das Matte, Grausliche. Immerhin drohten Ende Juni Olympische Spiele. Mr. Howcroft meinte: "Ihr braucht einen g'scheiten Trainer. Und zufällig kenne ich einen."

So also kam Jimmy Hogan aus den Niederlanden, wo er gerade den FC Dordrecht und die Nationalauswahl coachte, nach Wien. Erst einmal für sechs Wochen. Am 29. Juni, exakt zwei Jahre vor dem Ausbruch des Wiener Irrsinns, schlugen Hogans Buben - mit Noll, Graubart, Kurpiel, Cimera und Merz waren gleich fünf Prager mit dabei - Deutschland 5:1. Gegen Holland verlor man dann zwar 1:3, aber das war bloß ein weiterer Hinweis. Denn das waren ja erst recht Hogans Buben.

Innig - und nachhaltig befruchtend - wurde Hogans Beziehung zu Wien aber erst im Jahr darauf. Da suchte der Deutsche Fußballverband einen Lehrer aus dem Mutterland. Hogan bewarb sich, er konnte ja ein bisschen Deutsch, und die DFB-Verantwortlichen zeigten sich angetan.

Blöde Nachfrage

Unverständlicherweise fragten sie diesbezüglich aber noch einmal nach. Bei Hugo Meisl. Der mochte damals zwar noch nicht der große europäische Fußballzampano gewesen sein, blöd war er aber auch nicht. Und so kam Jimmy Hogan aus Lancashire zum zweiten Mal nach Wien.

Jetzt aber richtig, mit der ganzen Familie, die sich schnell wohlfühlte an der Donau, wo eine große britische Community für ein heimatliches Umfeld sorgte. "Wien war in diesen Tagen", so beschrieb er es später einmal, "really a city of love, life and laughter."

And football, of course. Hogan trainierte das Team mit der Perspektive Olympia 1916 und nebenbei einen Verein namens Amateure, der sich 1910 aus dem Vienna Cricket and Football Club heraus- und später in die Austria hineinentwickelt hat. Am Abend hockte er mit Hugo Meisl im Ringcafé, und gemeinsam brüteten sie über taktischen Möglichkeiten und Trainingsmethoden. Das Ringcafé befand sich schräg vis-à-vis dem Kriegsministerium. Und dort wurde, wie sich herausstellen sollte, nicht minder gebrütet.

Während hier über den dann eh an die Russen verratenen Aufmarschplänen die Köpfe rauchten, entstand dort die "erste moderne Fußball-Trainingslehre", wie Willy Meisl, Goalie der Amateure und später einer der renommiertesten Sportjournalisten Europas, meinte. Vor allem entstand im Ringcafé auch ein Bild davon, wie Fußball zu spielen wäre. In Wien verortete man das dann - später, nach dem jetzt anbrechenden Irrsinn aus dem Kriegsministerium am Stubenring - "fünf Zentimeter unter der Erd'".

Aus der Liesl kam Hogan sozusagen auf Revers frei. Ernest und Eddie Blythe, Kaufhausbesitzer, einst Kicker bei den Cricketern im Prater und verheiratet mit Österreicherinnen, garantierten für ihn. Dafür lehrte er - während Freund Meisl in Görz und Tolmein schon erste Orden einheimste - die Kinder Englisch und Tennisspielen.

Ende 1916, endlich, durfte er Österreich verlassen. Wohin, das erfuhr er erst in Bruck-Királyhída. (Und es kann ganz gut sein, dass er dort den Svejk Josef kennengelernt hat, der zu dieser Zeit ja mit seinem Oberleutnant Lukasch hier stationiert gewesen ist.)

Ein gewisser Baron Dirstay, der in Cambridge auch Football studiert hat und daheim in Budapest dem Magyar Testgyakorlók Köre, der später dann so großartigen MTK den Vizepräsident machte, hatte Gott und seinen Kaiser bekniet, den Hogan doch nach Budapest zu lassen. Und beide hatten ein Einsehen.

Hier erst entfaltete Jimmy Hogan dem derben Spiel die Flügel. Aus der Not heraus - die fertigen Spieler fraß ja die Front - lehrte er die ganz Jungen das Sine-qua-non: perfektes Ballspiel, perfektes Passspiel und Verinnerlichung des Spiels mit dem freien Raum. Hohe Anforderungen sind das. "Du kannst", pflegte Hogan zu sagen, "Spieler nicht impfen mit Fußball." Deshalb müssen Trainer stets auch die Augen offen haben. So wie er im Pester Stadtwäldchen. Da entdeckte er den József Braun, vor allem aber seinen ersten Liebling, den György Orth. Später kamen noch Imre Schlosser dazu, Alfred Schaffer, Béla Guttmann. Von 1917 bis 1925 wurde MTK ungarischer Meister.

Wollene Socken

Ende 1918 die Befreiung. Die Royal Navy war donauaufwärts gekommen. Orth und Kollegen schenkten ihm zum Abschied ein goldenes Feuerzeug, das sie haben gravieren lassen: "To our dearest Bácsi - the thankful MTK players"

Daheim aber rümpften sie die Nase. Als er beim Verbandssekretär, Frederick Wall, in Jobsachen vorsprach, gab der Hogan drei Paar Wollsocken. Solche hätte man "to the boys on the front" geschickt, und die wären sehr dankbar dafür gewesen. Also ging der Drückeberger wieder auf den Kontinent. In Leipzig übte er mit den Deutschen, in Wien kreierten er und Freund Meisl rund um Matthias Sindelar kurzerhand das Wunderteam, in der Schweiz coachte er Young Boys Bern.

Jetzt, am 4. Juli 1954, saß er da im Wankdorfstadion. Friedrich Torberg strudelte sich immer tiefer hinein in die Ausfälligkeit. Willy Meisl versuchte, die Aufregung aufs richtige Versmaß zurückzustutzen. Und Jimmy Hogan zündete sich eine Zigarette an. Mit einem schönen, alten Feuerzeug. (Wolfgang Weisgram - DER STANDARD, 3.11. 2013)