Abgefilmter Glitzer: "Western Society" von Gob Squad - am 30. 11. und 1. 12. im Brut Künstlerhaus.

Foto: David Baltzer

Peinlich niedrige Zugriffszahlen haben es in sich: Die britisch-deutsche Performancegruppe Gob Squad hat sich eines mit de facto null Resonanz online gestellten Familienvideos angenommen und es zur Grundlage ihres jüngsten Stücks Western Society erhoben. Das weitreichende Desinteresse ist in diesem Genre keine Seltenheit. Videos von Partys, bei denen man nicht teilgenommen hat und niemanden kennt: Wozu? Ein Fall für die Performanceforschung.

Acht recht wahllos herausgepickte fade Leute feiern hier in schlechter Auflösung eine Karaoke-Party mit mäßigem Erfolg. Oma tanzt händeringend im Hintergrund, ein Mädchen spielt mit dem Mobiltelefon, eine Dame erfreut sich am Kuchen. Das verpixelte Wohnzimmer mit seinen versammelten Gästen ist kein heiterer Anblick. Wer in den Raum hineinschaut, blickt vorgeblich in das Antlitz der westlichen Gesellschaft. Eine steile Behauptung, dessen sind sich Gob Squad bewusst. Wer das Porträt einer "westlichen Gesellschaft" avisiert, kann nur scheitern. Und Gob Squad tun dies absichtsvoll auf kluge und unterhaltsame Weise. 1994 von Studenten aus Nottingham und Gießen gegründet, gehören sie heute zu den versiertesten Theatergruppen Europas.

Western Society ist nach den Stationen Berlin und München ab morgen, Samstag, auch in Wien zu sehen, im Brut Künstlerhaus (20 Uhr), das die internationale Koproduktion mitfinanziert hat. Das Stück entstand gar mit der Beteiligung der Center Theatre Group in Los Angeles, dem angeblichen Herkunftsort des Familienvideos. Weshalb als Karaoke-Song California Dreaming herhalten muss.

Wie zentral in dieser Arbeit der Begriff der Gesellschaft bzw. der Zivilisation ist, zeigt das Eröffnungsbild: Es beginnt bei Adam und Eva, dem vermeintlichen paradiesischen Urzustand, der uns abhandenkam. Oder, wie die spärliche Bekleidung bei der Münchner Vorstellung in der Muffathalle zu erkennen gab: Es beginnt alles bei Adam und Adam, die sich alsbald unter blitzblonden Perücken in Schale werfen und im Verlauf eines Jahreszahlen-Countdowns irgendwann in Glitzergolddressen auf der Couch in Kalifornien wiederfinden.

Gemeinsam mit Freiwilligen aus dem Publikum wird das Familienvideo live reenactet (nachgestellt) und so direkt mit allen Anwesenden in Beziehung gesetzt. An die Stelle der tanzenden Oma oder der kuchenessenden Frau oder des mit dem Telefon spielenden Mädchens treten die Laiendarsteller. Sie sind pure Projektionsflächen, die über Headsets die nötigsten Anweisungen erhalten, die durch das Tragen von Kopfhörern aber isoliert sind und deswegen von dem ihnen zugeteilten Schicksal keinen Begriff haben. Diese nichtsahnende Ohnmacht erzeugt große Wirkung. Sie führt das Geworfensein vor Augen, die uns umgebenden "Umrisslinien der Fremdheit", wie es einmal heißt. Eine perfekte Rolle für Laien; Formen der Publikumsbeteiligung gehören zum speziellen Interesse von Gob Squad.

Unser mediales Leben

Entscheidend ist in Western Society auch die Medialität der angeschauten Wirklichkeit, die Tatsache, dass sich unser Leben neuerdings medial so schön weitererzählen lässt, dass wir uns zunehmend verpixelt mitteilen und gegenseitig anschauen: Das Familienbild wird vor einer Wohnzimmerkulisse nachgestellt, zugleich wird dieses nachgestellte Bild auf einer Leinwand übertragen. Wir betrachten die Gegenwart, diese Familie, die unsere eigene sein könnte, via eine hochauflösende und manipulierbare wie manipulierte Matrize.

Immer wieder wird die Party angehalten, wird die Familien neu projiziert und von den Schauspielern (Bastian Trost, Sharon Smith oder Sean Patton) als ihre eigene annektiert, zu der sie sich die unterschiedlichsten, sehr privaten Fragen stellen. Dabei geht es auch darum, den Zustand der Gesellschaft zu erörtern, der sie angehören: "Syrien bombardieren - Ja oder Nein?"; "Die Mutter verlieren oder die Beine?"; "Malta oder Mallorca? Wer hätte gedacht, wie viel aus einem läppischen Youtube-Fundstück herauszuholen ist. (Margarete Affenzeller aus München, DER STANDARD, 29.11.2013)