Reinhard Kreissl: performative Widersprüche.

Foto: privat

Christian Fleck betrachtet den öffentlichen Raum und vermisst mit der Haltung des grimmigen Realisten die Tiefe der Debatten, die er dort vorfindet. Alles Schwätzer außer Fleck, der den Protagonisten der "Talking Class", der quasselnden Klasse, die Leviten liest. Sehen wir einmal davon ab, dass unser Kulturkritiker damit in einen sogenannten performativen Widerspruch gerät, denn wer sich redend an die redenden Klassen wendet, muss im Reden doch einen Sinn sehen - oder handelt es sich um eine dadaistische Performance, die der Autor hier zu Gehör bringen will?

Fleck mag Leute nicht, die öffentlich über Politik reden. Besonders zuwider sind ihm jene, die an den herrschenden Verhältnissen ohne ausgewiesene Expertise herummäkeln. Nun gut, da findet man schnell den einen oder die andere, die man an den Pranger stellen und der besserwisserischen Dummbeutelei bezichtigen möchte. Geschenkt. Aber ist damit zugleich der Modus des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft zu kritisieren? Muss daher gleich jeder, der an den Herrschenden und ihren Verhältnissen mit mehr oder weniger gelungener Rhetorik sich reibt, dem Fleck'schen Verdikt der Bedeutungslosigkeit verfallen? Was verdrießt ihn so?

Versuchen wir seinen Gedanken zu rekapitulieren. Den Leuten geht's gut, ihnen ist langweilig. Sie wollen sich aber irgendwie hervortun. Fleck greift in die Bildungskiste, verweist auf Thorstein Veblen. Wie tut man sich in einer Gesellschaft hervor, in der demonstrativer Konsum offensichtlich nicht mehr hinreicht? Man sondert polierte Meinungen ab.

Die aber wollen die Politiker nicht hören. Denn die machen weiter wie bisher. Und ihre Kritiker, Fleck nennt Männer der Kirche, Leitartikler, Gründer von Thinktanks und andere, die mit Meinungen ihr Geld verdienen - wozu er sich offensichtlich nicht zählt - verglühen in Irrelevanz wegen Inkompetenz.

Dabei sollten sie doch dankbar sein, denn, und jetzt kommt's, O-Ton Fleck, die Ultrastabilität des immer Gleichen, die der quasselnden Klasse so zuwider ist, war bislang der Garant für unseren Wohlstand und dessen stetige Zunahme. Zitat Ende. Das erinnert von der Psychologie ein bisschen an das Format: Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, hast du gefälligst die Klappe zu halten. Und von der politischen Diagnostik könnte man hier die Haltung einer Art steirischen Stalinismus stilisieren: Das Existierende ist das notwendig Richtige.

Aber um bei Stalin zu bleiben: Was tun? Fragen wir Fleck: Politik ist ein Beruf. Den lernt man, und dabei lernt man auch, nicht aufzufallen. Basta. Politik ist Aufgabe der Politiker. Was bleibt? Die Einsicht, dass diese machtgesteuerten Politzombies es (sich) schon richten und ultrastabil halten werden? Nun ja. Das hat die Soziologie nicht verdient.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, im Modus des öffentlichen Diskurses sich über das mangelnde Niveau desselben auszulassen und mit dem eigenen Beitrag zugleich den Beleg dafür zu liefern, dass man recht hat. Da sollte der Bürger Fleck vielleicht mal den Soziologen Fleck zur Rede stellen und ihn vor der Präpotenz des Oberschlaumeiers warnen. Denn wer Gehör und Anerkennung für seine Meinung finden will, muss sich eben auf dieses mühsame Geschäft des öffentlichen Diskurses einlassen.

Und wir, die wir den öffentlichen Diskurs befeuern, wollen ja auch von unserem Mitbürger Christian Fleck lernen. (Reinhard Kreissl, DER STANDARD, 26.11.2013)