Die westukrainische Autorin Tanja Maljartschuk lebt seit 2011 in Österreich, engagiert sich aber noch immer in Fragen, die ihr Heimatland betreffen.

Foto: Lukas Beck

Wien - Zu Gott unterhält die Ukrainerin Lena ein eher nüchternes Verhältnis. Als Kind stellt sie ihn auf die Probe ("Bitte mach', dass ich ..."). Mit dreizehn unterbricht sie mit dem Schöpfer jeglichen Verkehr. "Das Spiel war aus", schreibt Tanja Maljartschuk in ihrem ersten, nunmehr ins Deutsche übersetzten Roman Biografie eines zufälligen Wunders.

Immerhin können Gott und Lena mit dem Zusammenbruch der gemeinsamen Gesprächsbasis gut leben. Die beiden gehen ihrer Wege. Nur manchmal stößt Lena ein stilles Stoßgebet aus: Lieber Gott, vergib mir, dass ich nicht zu dir bete. In der Ukraine ist gerade ein anderer Glaube spurlos verschwunden, der an den Sozialismus. Die in die Freiheit des Kapitalismus entlassenen Menschen drängen in die Kirchen. Jede Konfession kommt dem bitterarmen Volk wie gerufen. Es grenzt an ein Wunder, wie Lena in dem allgemeinen Wirrwarr die Übersicht behält.

Sie erlernt die für das Überleben am Markt notwendigste Lektion. Jeder kann prinzipiell alles haben. Er darf nur nicht damit rechnen, dass er dasjenige, was er sich am dringendsten wünscht, auch erhält. Lena, die in Iwano-Frankiwsk ("San Francisco") lebt, hätte zum Beispiel gerne Philosophie studiert. Folgerichtig landet sie auf der Fakultät für Sport.

Wie ein roter Faden zieht sich durch Maljartschuks vergnügliches Buch der Glaube an die Improvisation. Biografie... ist ein als Bildungsroman verkleidetes Schelmenstück. Die neue Weltordnung verlangt den Ukrainern grenzenlose Anpassungsfähigkeit ab. Zugleich spürt Lena instinktiv, dass ihre Landsleute der Erlösung bedürfen. Was noch mehr zählt: Sie sind dieser auch würdig.

Maljartschuk klebt Anekdoten aneinander. Manchmal schlägt sich die Erzählerin ein wenig zu sorglos in die Büsche. Dann wirkt sie naseweis. Oder schreibt altkluge Sentenzen: "Die einen können gut schwimmen, die anderen haben halt fliegen gelernt." Das kann man vielleicht so sagen, man muss es aber nicht auch noch hinschreiben. Maljartschuks Anliegen wiegen jedoch die literarischen Bedenken auf.

Ihre Hauptfigur Lena glaubt, die Marktgesetze endlich verstanden zu haben. Sie gibt eine Zeitungsanzeige auf. Ihr Dienstleistungsangebot ist strikt nachfrageorientiert: "Wunder auf Bestellung". Die Existenz einer fliegenden Mutter Gottes wird berichtet. Sie steht den Menschen in besonders hoffnungslosen Fällen bei. Lena lernt, sich selbst zu helfen, indem sie andere rettet. Und so stellt eine junge Autorin mit neuer Verve (und viel Talent) die immer gleichen, uralten Fragen: Wie kommt das Übel in die Welt? Warum antwortet kein Gott auf unsere Fragen? Warum sterben so viele Ukrainer noch immer im Kohlenmonoxid ihrer Kanonenöfen? (Ronald Pohl, DER STANDARD, 26.11.2013)