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Eine Mozartversion, die auch 2006 gezeigt werden könnte - mit Michael Schade (als Titus) und Dorothea Röschmann (als Vitellia)

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger
Dirigent Nikolaus Harnoncourt und Regisseur Martin Kusej erkunden in der Felsenreitschule Mozarts "La clemenza di Tito": Allgemeine Zustimmung für eine intelligente Verschmelzung von musikalischen und szenischen Ideen; Jubel für das Sängerensemble um Tenor Michael Schade.


Salzburg - Im Hinblick auf das Mozart-Jahr 2006 darf Salzburg mit seinen Festspielen fürs Erste einmal aufatmen. Nach der "Entgleisung fern des Serails", nach einer insgesamt doch konventionellen Hoffmann-Produktion entfaltet sich nun in der von Jens Kilian aufregend verbauten Felsenreitschule ein monumentales, gleichwohl differenziertes Spiel der Charaktere, wie man es sich im Spannungsfeld zwischen Althergebrachtem und dem engagiert Heutigen nur wünschen möchte - ungeachtet vereinzelter inszenatorischer Derbheiten im Bereich des Geräuschhaften und des Bengalischen.

Am Ende des ersten Aktes, wenn es in Rom - und damit auf und hinter der Szene - mächtig brennt und qualmt, wird die Pause mit zwei kapitalen Böllerschüssen eingeknallt - eine Grobheit, die in entscheidendem Gegensatz steht zu allem, was wir an diesem heißen Abend auf den verschiedenen musikalischen Ebenen erfahren dürfen.

Nikolaus Harnoncourt nämlich will und versteht es mit den Wiener Philharmonikern, Mozarts späte Titus-Musik als eine organisch verbundene Folge von leisen und gesteigerten Nachdenklichkeiten anzupreisen. Dramatik ergibt sich aus den Konflikten des Seelischen, Politischen und des Erotischen, wie sie auf der Bühne bald in enger körperlicher Ungeschminktheit, bald auf große, verzweifelte räumliche Distanz hin in waghalsiger Bewegtheit von Regisseur Martin Kusej ausgekundschaftet, ausgeleuchtet und gelegentlich bis ins Grimassenhafte gesteigert werden.

Harnoncourt also hält das Orchester zu pastellener, mit Philharmoniker Peter Schmidl in der berühmten "Klarinetten"-Arie des Sesto zu betont verhaltenem, im Zeitmaß breiter wirkendem Kammerspiel an, als genügte es, der historisch-überzeitlichen Gewalttätigkeit dieser düsteren Herzens- und Staatskomödie mit raffiniert abgestimmter Melancholie den Weg ins Zentrum des Wahrhaften zu weisen.

Hohe Intelligenz

Und es genügt tatsächlich, weil sich in Salzburg ein Darstellerensemble versammelt hat, dem diese Art des sprechenden, aus der lauernden Defensive heraus stichhaltigen Musizierens alle Möglichkeiten schenkt, sich ohne Überanstrengung verständlich zu machen. Es sind Stunden einer Mozart-Pflege von hoher Intelligenz, von jugendlicher Reife, wenn nötig auch von geschmeidiger Brillanz, in deren Verlauf man sich wieder einmal von der Sinnhaftigkeit des gesungenen Opernwortes überzeugt fühlt.

Michael Schade in der Titelpartie verfügt mit hellem, gleichwohl situationsbedingt schattiertem Tenor über die ganze Kalamität eines herausgehobenen Schicksals, intoniert seine Macht und seine (gefürchtete!) Milde gleichsam in den Klangfarben grübelnd-jubelnden Konjunktives. Packend in seinem brüchigen Kraftfeld Vesselina Kasarowa als Sesto: eine zur Persönlichkeit gereifte, blitzende, schmeichelnde, blutende Stimme, die wie ein Energiezentrum die mit ihr verstrickten Akteure zu fordern, zu inspirieren scheint.

Dorothea Röschmann spiegelt in Gesang und Spiel auf den verschiedensten Etagen der (Un-)Sittlichkeit Verführerisches und Verfängliches; Barbara Bonney zeichnet die Servilia mit lichter Voce in einer Mischung aus Naivität und Raffinesse, der Annio von Elina Garanca fügt sich mit gereizter Verbindlichkeit in dieses von Kusej in aller Krassheit entlarvte Kreuzspiel selbstgenügsamer Gutmenschlichkeit und fröhlicher Boshaftigkeit ein.

Luca Pisaroni als Publio findet unter diesen Umständen überzeugend den Ausgleich zwischen abwartender und aktiver Gegenwärtigkeit. Martin Kusej ist es günstig anzurechnen, in der von Kilian mehrstöckig aufgebauten, rabiat aufgeschnittenen Sichtbetonwelt samt marmornem Palastabteil ein über weiteste Strecken erklärendes, von aufgepfropften Effekten nur selten überlagertes Geschehen zu steuern. Der Aktualität des Stoffes unter dem Eindruck terroristischer Unerbittlichkeit und Uneinsichtigkeit ist Genüge getan.

In dieser Hinsicht gibt es auf der Szene einiges zu beobachten, aber es verfangen sich diese Aktionen nicht - wie so oft in letzter Zeit - in den Netzen einer spätpubertären Schockverliebtheit. Kusej legt seine Linien durch das Stück und nicht am Stück vorbei - und somit agieren er und Harnoncourt im Wesentlichen Schulter an Schulter.

Vehementer Jubel für diese Festspielleistung - lauthalse Zustimmung auch für die sängerisch-schauspielerischen Leistungen des Wiener Staatsopernchores (Rupert Huber), für die für den "Alltag" lässig, im historischen Layout ironisierend geschneiderten Kostüme von Bettina Walter und sicher auch für alles, was in den technischen Abteilungen für diese Inszenierung erdacht und gefertigt worden ist.

Nach der erfolgreichen Don Giovanni -Allianz zwischen Kusej und Harnoncourt 2002 zeigt Salzburg nun eine zweite Mozart-Lebendigkeit, die sich nicht nur sehen und hören lassen kann, sondern auch Tragfähigkeit für die nächsten Jahre bis hin zum Jubiläum 2006 verspricht. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.8.2003)