Zurzeit steht ganz offensichtlich die Zeit selbst im Mittelpunkt. Philosophen philosophieren über Schnelle, Langsamkeit und das - scheinbare - Paradoxon, dass nur Zeit hat, wer sich Zeit nimmt. Allerweltsmenschen, die sich gerade noch über Benzinpreis und Nachbarn geärgert haben, wünschen einander nichts Geringeres als ein gutes, neues Millennium. Politiker benutzen die Zeit dazu, um den Gemeinplätzen ihrer Neujahrsansprachen eine neue Dimension zu verleihen.

Vom "Sprung ins nächste Jahrtausend" sprach Viktor Klima, da war er wieder, der Dynamiker und Macher, gesprungen wird, nicht gehatscht wie bei den Regierungsverhandlungen. Und während Thomas Klestil beinahe zeitlos den "positiven Geist" beschwor, gelang es Klima auch noch, den ultimativen Satz über das Jahrhundert loszuwerden, nämlich dass es "im Negativen wie im Positiven ein Jahrhundert der Superlative war". Und mit den Superlativen liegt er nun wirklich - ja, eben im Trend der Zeit.

Die große Zeit wird gefeiert. Und wir feiern uns mit ihr, wir müssen ja doch etwas Besonderes sein, wenn ausgerechnet wir einen Millenniumssprung er- und sogar überlebt haben. Das verbindet für ein paar Stunden, und gerührt sehen wir die Fernsehbilder, die zeigen, dass ozeanische Tänze doch sehr viel mit dem Tiroler Schuhplatteln zu tun haben - gutwillige Klischee-Erfüllung für heute gutwillige Massen.

Aber was ist mit der Alltags-Zeit? Der Zeit, von der die einen immer wieder sagen, dass sie sie nicht haben, und von der andere viel zu viel haben? Der persönliche Umgang mit Augenblick und Ewigkeit und dem, was Tag für Tag dazwischen liegt, wird - auch - durch politische Rahmenbedingungen geprägt.

Doch von denen reden die Herren Klima, Klestil, Schüssel und Co in ihrem properem Bemühen um immer noch stärkere Worte über Reformpolitik lieber nicht. Denn gegen eine andere Verteilung von Arbeitszeit und Freizeit, von bezahlter und unbezahlter Arbeit haben diejenigen etwas, die jetzt über Arbeit, Geld und Macht verfügen. Noch mehr dagegen haben jene Mächtigen, die andere für sich arbeiten lassen.

Dennoch: Politische Reformen, die diesen Namen verdienen, wird es ohne eine bessere Verteilung der Arbeit nicht geben. Eine Verkürzung der Normalarbeitszeit ist dabei ein unumgänglicher Schritt. Sie ist machbar und das bei vollem Lohnausgleich - zumindest in den unteren zwei Einkommensdritteln.

Sehen wir uns nur an, wie wenig von den Produktivitätszuwächsen in den letzten Jahren an Arbeitnehmerinnen und Subunternehmer, an durch Krankheit Ausgefallene und geringfügig Beschäftigte weitergegeben wurde.

Natürlich braucht es dafür auch einen Ausgleich unter den Wirtschaftsunternehmen. Zwischen einer Friseurin und Haselsteiners Bauimperium besteht eben ein Unterschied. Aber für solche Ausgleichsmechanismen ist das Steuersystem ja da. Übrigens: Arbeitszeitverkürzung findet laufend statt. Die 30.000 neuen Arbeitsplätze, die Klima gerne als "Erfolg" seiner Regierung verkauft, entstanden durch den massiven Rückgang von Vollzeitarbeitsplätzen und der entsprechenden Steigerung von Teilzeitarbeitsplätzen. Nur: Teilzeitarbeit wird fast ausschließlich in schlecht bezahlten Branchen angeboten. Und es sind vor allem Frauen, die das nützen (müssen). Die Folge: Mehr als zwei Drittel der Teilzeitarbeiterinnen geben an, von ihrem Einkommen nicht eigenständig leben zu können.

Es geht also - unter anderem - um eine Verlängerung der bezahlten Arbeitszeit für viele Frauen (aber natürlich auch für Männer am Rand des Arbeitsmarktes) und um eine Verkürzung der bezahlten Arbeitszeit für viele Männer (und die Frauen, die es trotz allem geschafft haben).

Verbunden sein müsste diese Reform der Verteilung von Zeit und Geld nicht nur mit einer massiven Besteuerung von Überstunden, sondern auch mit einer neuen Form der Flexibilisierung: Lebensphasenbezogene Zeitkonzepte, die selbstbestimmt und in Abstimmung mit Kolleginnen und Kollegen realisiert werden können. Ja, von Flexibilisierung wird schon immer wieder geredet. Gemeint ist freilich selten individuell wählbare Zeiteinteilung, sondern fremdbestimmte Zeitvorgabe. Das aber bedeutet nicht Flexibilität, sondern Verfügbarkeit und sollte daher auch so genannt werden.

Wenn die ÖVP die Einführung des Rechtes auf Teilzeit für Menschen mit kleinen Kindern und dem nachfolgenden Rückkehrrecht in die Vollerwerbstätigkeit ablehnt, wird klar: Die oft strapazierten Werte von Flexibilität und Familie haben im politischen Ernstfall hinter der Verfügbarkeit von Menschen zurückzustehen. Die Frage ist nur, wie lange Menschen noch über sich verfügen lassen werden. Und daher hier mein milleniumsadäquater Mega-wunsch: Lassen wir uns nicht mehr länger - politisch und auch sonst - die Zeit stehlen.

Eva Rossmann lebt als freie Publizistin in Wien.
*) Weitere Mitwirkende im Vier-Wochen-Turnus: die Journalistinnen Irene Jancsy und Elisabeth Pechmann sowie die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz