Das Urteil des Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner über das vatikanische 14- Seiten-Dokument, in dem die "Homo-Ehe" entschieden abgelehnt wird, fällt denkbar kritisch aus: "Das Papier ist inhaltlich völlig überraschungsfrei. Außerdem sollte der Vatikan die erstrangigen Themen wählen und nicht immer die zweitrangigen. Das hier bringt uns auf jeden Fall überhaupt nicht weiter", sagt Zulehner im Gespräch mit dem STANDARD.

Erstrangig wären Fragen zu behandeln wie: Wie kriegt eine Gesellschaft eine nächste Generation, die lebens- und handlungsfähig ist? Wie kann man die Wirtschaft so organisieren, dass es in den Familien einen Lebensraum für Kinder gibt? Wie können Männer im heutigen Berufsstress Väter, wie berufstätige Frauen Mütter sein? Zulehner kritisiert auch, dass Rom es jedem Gegner leicht macht, "auf der Diskriminierungsschiene zu attackieren, ohne über richtige Positionen nachzudenken zu müssen".

Dass der Text der Glaubenskongregation – vorsichtig ausgedrückt – sehr hart ausgefallen sei, wenn etwa die Rede davon ist, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften seien "für die gesunde Entwicklung der menschlichen Gesellschaft schädlich", verwundert ihn nicht: "Wir beklagen immer, dass die derzeitigen römischen Äußerungen pastoral fahrlässig sind." Dabei wären einige Positionen für die gesellschaftliche Entwicklung von hoher Bedeutung: "Die heutige Gesellschaft inte^ressiert sich für das knappe Leben der Erwachsenen und hat für Kinder wenig Kraft übrig. Lässt man aber die Kinder weg, dann ist es schwer zu verstehen, warum die einen Partnerschaften privilegiert sind und andere nicht."

Bei der im Papier verworfenen Adoption von Kindern in homosexuellen Paaren stellt sich der Pastoraltheologe auf die Seite Roms: "Denn bei der Adoption von Kindern durch homosexuelle oder lesbische Paaren geht es ja nicht darum, ob sie gut erziehen können. Dann könnte man ja gleich alle Kinder an Spitzenpädagogen übergeben. Es geht nicht darum, was sie können, sondern was sie sind." Für ein gutes Gedeihen brauche es aber die möglichst früh einsetzende Begegnung mit Personen beiderlei Geschlechts. Zulehner: "Wenn man von den Kindern her denkt, dann muss ihr Lebensraum – die Familie – aus gesellschaftlichem Interesse privilegiert werden." Eine solche Privilegierung diskriminiere niemanden, sondern demonstriere das Interesse der Gesellschaft an ihrer eigenen Zukunft.

Gelassen sieht Zulehner den Appell des Vatikans an christliche Politiker, Gesetzesinitiativen für eine "Homo-Ehe" zu verhindern oder sich zumindest um eine Schadensbegrenzung zu bemühen: "Rom erinnert nur daran, dass jeder einzelne Politiker in seine Entscheidungen die Perspektive des Evangeliums und der kirchlichen Gesellschaft einfließen lassen soll."(DER STANDARD, Printausgabe, 7.8.2003)