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August 1962, John F. Kennedy vor der Küste Maines: Der virile junge Präsident gab den Steuermann für Amerika und die freie Welt, gerade so, wie er gerne auf einer seiner Yachten posierte - locker, zuversichtlich, ohne Furcht.

Foto: APA/EPA/Knudsen

Sie ist immer da. Auf dem Nationalfriedhof in Arlington, wo das ewige Licht im Wind flackert und die Grabplatte zwischen groben Steinquadern aus Granit liegt. Im Arbeitszimmer der Bostoner Präsidentenbibliothek, in dem eine seiner Büsten aus dem Fenster auf den alten Hafen blickt. Und selbst an der ordinären Markierung auf der Elm Street in Dallas, wo ein Kreuz den genauen Ort anzeigt, an dem er angeschossen wurde.

Es ist diese dichte Atmosphäre des weihevollen Respekts, die alles überstrahlt und die alles überstanden hat. Sie lässt ihn, JFK, John Fitzgerald Kennedy, noch fünf Jahrzehnte nach seinem Tod unter dem Scheinwerfer gleißender Beliebtheit erstrahlen. Kein Politiker vor und nach ihm hat je eine solche Anziehungskraft auf die Menschen entfaltet, Lawinen von Literatur über die eigene Person losgetreten, Sympathierankings derart dominiert: Die 50 Jahre nach seinem Tod waren auch 50 Jahre voller unschöner Enthüllungen. Trotzdem sind zwischen 80 und 90 Prozent der Amerikaner davon überzeugt, dass JFK den Job des Präsidenten in seinen 1000 Tagen im Amt toll erledigt hat. In den von Historikern mitunter erstellten Top Ten der besten US-Präsidenten ist er immer dabei.

Warum hält sich der Mythos Kennedy seit dem 22. November 1963 so standhaft? Weshalb geben die auch nicht eben von akutem Charismamangel geplagten Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama gerne die Ministranten in diesem fortwährenden Requiem? Worum trauert Amerika, worum trauert die Welt nach den tödlichen Schüssen auf den 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten denn eigentlich noch immer?

Es ist die Verheißung des Aufbruchs. Mit "Jack", so nennen ihn die, die ihm besonders nahe sein wollen, wurde sie in Dallas hinterrücks gemeuchelt. Später haben Clinton, Obama und auch Reagan versucht, dieses Versprechen zu erneuern. Die Ungnade eines längeren Lebens ließ alle drei scheitern. Mit Kennedys Tod war auch die Verheißung gestorben - und lebt deswegen ewig.

Wer Kennedys Inspiration verstehen will, muss in die Zeit vor seiner Präsidentschaft blicken. Ende der 1950er-Jahre lebten die USA ihren amerikanischen Albtraum: Die Sowjets schossen 1957 einen ersten Satelliten in den Weltraum ("Sputnik-Schock"). In den Jahren zuvor hatte der irischstämmige Senator Joseph McCarthy, ein Freund der Familie Kennedy und insbesondere des Patriarchen Joseph Kennedy, hinter jeder Hecke in Washington einen Kommunisten ausgemacht und die Öffentlichkeit mit einer grotesken Menschenhatz verunsichert.

JFK selber, nach einigen Jahren im Repräsentantenhaus nun Senator, warnte 1958 in einer Rede eindringlich vor dem angeblichen Vorsprung der Sowjetunion in der Raketenrüstung. Die weniger hysterische Analyse des nüchternen Generals und Präsidenten Dwight D. Eisenhower, doch nicht der Propaganda des militärisch-industriellen Komplexes auf den Leim zu gehen, blieb daneben schal.

Der charmante, vertrauenswürdige, strahlende junge Senator versprach ein Ende der trübsinnigen Atmosphäre. Er stand - im Gegensatz zum linkisch wirkenden Vizepräsidenten Richard Nixon, der bei der Präsidentschaftswahl 1960 für die Republikaner gegen JFK antrat - für Aufbruch. Und mit dem knappen Wahlsieg, den der telegene Demokrat vor allem dem Fernsehen, den Frauen und den Jungwählern verdankte, änderte sich alles. Es war das Jahr des Generationenwechsels nach dem großen Krieg: Ein noch im 19. Jahrhundert Geborener übergab die Macht an den jüngsten je in den USA gewählten Präsidenten. Hollywood löste den Mief adretter amerikanischer Kleinstädte ab, ein Brahmane aus Boston den Kleinbürger aus Abilene, Kansas. Im Weißen Haus zogen Bonhomie und Disziplin aus, dafür stellten sich Optimismus, Vitalität, Glamour und Stil ein. Es war, als hätte jemand die Präsidentschaft wie die Fernseher zuvor von Schwarz-Weiß auf Farbe umgestellt.

In schwerer See

Der virile junge Präsident gab den Steuermann für Amerika und die freie Welt, gerade so, wie er gerne auf einer seiner Yachten posierte - locker, zuversichtlich, ohne Furcht vor schwerer See und dem Reich des Bösen. Dabei hatte er tatsächlich wenig in der Hand in seinen Jahren im Weißen Haus.

Was der Historiker und JFK-Mitarbeiter Arthur M. Schlesinger später in A Thousand Days aufschrieb, war der Pulitzer-Preis-gekrönte, aber milde Rückblick eines lebenslangen Kennedyianers. Seymour Hersh wusste in The Dark Side of Camelot anderes zu berichten: Amerikas bester Aufdeckungsjournalist schreibt von endlosen Frauengeschichten des unersättlichen Schürzenjägers, von Prostituierten, von mit Daiquiri bis zur Gefügigkeit abgefüllten Praktikantinnen, Groupies, Mafiabräuten und natürlich Marilyn Monroe. Er lässt Sicherheitsleute erzählen, die im Weißen Haus Schmiere stehen mussten, damit Jackie nicht unvermittelt dazukam, wenn es im Pool wieder einmal hoch herging.

Hersh legt dar, wie krank der junge Präsident tatsächlich war - er trug wegen quälender Rückenschmerzen ein Korsett und litt unter einer Nebennierenrinden-Insuffizienz, der Addison-Krankheit -, wie viele Medikamente (inklusive rätselhafter gespritzter Cocktails eines gewissen "Dr. Feelgood") er schluckte. Die Öffentlichkeit wusste nichts davon, im Gegenteil, ihr wurde das Bild eines hochleistungsfähigen Politikers vorgetäuscht.

Der Aufdecker beschreibt auch, wie wenig politisch weiterging. Das meiste von Kennedys "New Frontier"-Programm bleibt im Kongress stecken, obwohl er den ausgefuchsten "Master of the Senate" Lyndon B. Johnson zu seinem Vizepräsidenten gemacht hat (oder machen musste: "It's better having him inside the tent pissing out, than outside the tent pissing in"). Außenpolitisch ist er für das Fiasko der Schweinebucht-Invasion im April 1961 verantwortlich, wodurch Moskau auf die Idee kommt, Raketen samt Atomsprengköpfen auf Kuba zu stationieren. Nikita Chruschtschow kauft dem unerfahrenen Präsidenten beim Gipfeltreffen im Juni 1961 in Wien gehörig den Schneid ab. In Vietnam stockt Kennedy die Zahl der "Militärberater" von 700 auf 16.000 auf und autorisiert den Einsatz von Napalm und Entlaubungsmittel. Die Eskalation des Krieges, die Johnson später vorgeworfen wird, nimmt bereits unter JFK ihren Ausgang.

Superman zum Supermarkt

Kennedy setzt der Realität Träume entgegen. Die Russen mögen mit Juri Gagarin im April 1961 den ersten Menschen ins All geschossen haben, er verspricht ein Jahr später, dass die USA noch in diesem Jahrzehnt Astronauten zum Mond schicken werden. Seine Landsleute hören es mit Begeisterung, weil JFK wie "Superman zum Supermarkt" kommt, wie Norman Mailer schreibt, und ihnen alles erzählen könnte.

Die Unangreifbarkeit hält nicht nur bis zum 22. November 1963, als die im Verhältnis so armselige Figur des Lee Harvey Oswald Kennedys Leben nimmt. Sie steigerte sich durch die Rätselhaftigkeit des Mordes sogar. Robert Dallek, Kennedys Biograf, sagt: "Das Fernsehen hat unglaublich viel mit der Kennedy-Mystik zu tun. Es hat ihn in unserem Gedächtnis eingefroren, im Alter von 46 Jahren - jung, heroisch und charismatisch."

Deswegen ist und bleibt er, trotz all seiner Schwächen, eine politische Ikone, ein (inter)nationaler Mythos, eine große Göttergeschichte, die kleine Menschen so sehr brauchen, um zu leben. (DER STANDARD, 23.11.2013)