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Studie: Auf einem stabilen Buchmarkt wachsen E-Books um 270 Prozent.

Foto: dpa/Arne Dedert

Die Berliner Schriftstellerin Sarah Khan hat kürzlich etwas getan, was sonst nur Popstars tun: Sie hat eine Single veröffentlicht. Sie trägt den Titel Der Horrorpilz, ist 45 Seiten lang und handelt von einer Bedrohung gigantischen Ausmaßes, die auf die Buchbestände dieser Welt zukommt. Der Horrorpilz ist eine Genre-Erzählung, die von einer ziemlich großen, ironischen Geste geprägt ist.

Denn Sarah Khan macht sich hier in kaum verschlüsselter Form darüber lustig, dass dem Erfolgsmedium Buch (Papier, Text, Einband) gerade der Garaus gemacht wird. Der Pilz, das wäre wahlweise Google (wo man in großem Stil weiterhin Bücher digitalisiert) oder Amazon (das sich gerade zu einem großen Downloadportal umbaut) oder iTunes oder was immer sonst sich an die Stelle der etablierten Strukturen setzt, die bisher die Buchbranche bestimmt haben.

Den Gipfel der Ironie stellt der Erscheinungsort von Der Horrorpilz dar: Die literarische Single kam direkt bei Amazon heraus und kann damit nur auf dem Kindle gelesen werden. Zwar steht auch hier noch ein Verlag dahinter, allerdings kein herkömmlicher. Er heißt "mikrotexte" und ist auf kleine Formate in digitaler Form spezialisiert.

Die große Metapher, dass das Buchwesen irgendwie infiziert ist, passt perfekt in die Zeit. Denn einerseits funktioniert das alles immer noch ganz normal, wie man auch auf der Buch Wien sehr schön sehen kann: Bücher werden produziert, Autorinnen und Autoren lesen daraus, Menschen kaufen, lesen, schenken.

Andererseits ist da dieses Unbehagen, wie lange genau das noch so weitergehen wird. Denn das Ding, das künftig die Funktionen einer ganzen Reihe älterer Medien übernehmen soll, wird gerade definiert. Ob es sich dabei um ein Telefon, eine Uhr, eine Brille oder sonst etwas leicht Tragbares handelt, wird sich weisen. Sicher aber ist, dass es sich dabei auch um eine Zeitung, ein Lexikon, eine Landkarte und ein Buch handeln wird. Alle diese ehrwürdigen Medien passen inzwischen in die kleinen elektronischen Apparaturen, und so müssen sich ganze Branchen mit diesem neuen Begriff vertraut machen: Endgeräte.

Lange Schrecksekunde

Der deutschsprachige Buchhandel hat sich in diesem Jahr von der langen Schrecksekunde erholt, in die er durch den rasanten Aufstieg der Online-Konkurrenz, vor allem des größten, inzwischen aus verschiedenen Gründen sehr umstrittenen Anbieters Amazon, versetzt wurde. Seit einigen Monaten ist ein Gerät auf dem Markt, das als die Antwort auf den Kindle konzipiert wurde.

Der Tolino, hinter dem der Weltbild-Verlag gemeinsam mit u. a. Hugendubel und Thalia steht, ist auch eine Alternative für alle diejenigen, denen Amazon zu krakenartig den kommunikativen Alltag beherrscht. Allerdings kommt auch der Tolino um Bündnisse mit den digitalen Giganten nicht herum: Die Deutsche Telekom ist ein wichtiger Partner, noch wesentlicher ist aber, dass es neuerdings auch ein Tolino-Tablet auf Basis des Google-Betriebssystems Android gibt.

All diese Bemühungen gelten einem Marktsegment, das im deutschsprachigen Raum noch relativ klein ist: Im mittleren einstelligen Bereich bewegt sich der Anteil der elektronischen Bücher bisher, für das diesjährige Weihnachtsgeschäft soll er auf zehn Prozent wachsen. In Amerika liegt er in bestimmten Bereichen schon bei einem Viertel, wobei dies vor allem den Bereich "fiction" betrifft.

Publikationsunordnung

Die Erfolgsgeschichte des Tolino ist insofern zu relativieren, als sie im Grunde ein weiteres Konzentrationsphänomen darstellt. Kleinere Ketten wie die südwestdeutschen Osiander-Buchhandlungen oder gar einzelne Händler können (oder wollen) die entsprechenden Investititionsanteile nicht aufbringen, bleiben also auf das gute alte Buch beschränkt.

Für Verlage gelten wiederum andere Kalkulationen: Sie müssen jeweils genau durchrechnen, welche Formen des E-Publishings sich für sie lohnen. Bei dem kürzlich in Berlin zu Ende gegangenen einschlägigen Kongress ging der Tenor immerhin in die Richtung, dass die Verlage keineswegs mehr zu zögerlich in diese Entwicklung einsteigen. Allerdings ist eine der Konsequenzen der neuen Publikationsunordnung, dass die Verlage insgesamt in ihrer entscheidenden Funktion unter Druck geraten. Darauf deutet auch die im September veröffentlichte Deklaration einer Autorengruppe Fiktion hin, zu der neben Katharina Hacker und Ingo Niermann auch die digital schon lange aktive Elfriede Jelinek gehört.

Hier machen sich Schreibende für die Potenziale des elektronischen Publizierens stark, von denen sie sich auch größere Freiheit und Flexibilität gegenüber den Verlagen erwarten. Voraussetzung dafür bleibt der positive Gesamtbefund, mit dem die Deklaration beginnt: "Nie wurde so viel gelesen und geschrieben wie heute." (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 21.11.2013)