"Es geht nicht um eine didaktisch konzipierte Wissensvermittlung, sondern um die Verpflichtung der Wissenschaften, selbst eine tragende und kritische Rolle in den öffentlichen Diskursen zu übernehmen."

Foto: Standard/Fercher

Dieser Tage verlieh das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur zum sechsten Mal den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung. Dass in Österreich erst seit wenigen Jahren die Bemühungen um Fort- und Weiterbildungen prämiert werden, mutet seltsam an. Spätestens seit die Europäische Kommission 2000 ein richtungsweisendes Memorandum zum "lebenslangen Lernen" veröffentlicht hatte, wäre mit einer Aufwertung dieses Bildungssektors zu rechnen gewesen. Doch trügt der Schein auch hier. Der Staatspreis für Erwachsenenbildung gehört in Wirklichkeit zu den ältesten staatlichen Auszeichnungen der Zweiten Republik, allerdings präsentierte sich diese unter wechselnden Bezeichnungen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen, sodass sich schon allein aus der Geschichte dieses Preises eine kleine Theorie der Erwachsenenbildung in Österreich ableiten ließe.

Am Beginn stand der "Förderungspreis für Volksbildung", der erstmals im Jahre 1956 an Viktor Frankl vergeben wurde. Diese Vergabe war Auftakt und Programm. Prämiert wurden die Bemühungen eines Neurologen und Psychotherapeuten, der nicht zuletzt seine Erfahrungen aus den Konzentrationslagern verarbeitete, um sich der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Verantwortung des Einzelnen radikal zu stellen: Trotzdem Ja zum Leben sagen. In der Denomination des Preises schwingt aber auch die bildungspolitische Situation dieser Jahre mit. Der Riss verlief nicht, wie heute gerne konstatiert, zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Schichten, sondern schlicht zwischen den (vermeintlich) Gebildeten und dem Volk.

Defizite kompensieren

Gleichzeitig - und dieser Gedanke reicht weit zurück, bis in die Gründerzeit der Volkshochschulen und die Anfänge der Arbeiterbildungsvereine - war es stets ein Anliegen engagierter Menschen gewesen, das "Volk" an der "höheren" Bildung und den damit verbundenen Einsichten und Möglichkeiten auch dann zu beteiligen, wenn dies in den offiziösen Bildungslaufbahnen nicht vorgesehen war.

Volksbildung meinte immer zweierlei: Kompensation der durch vorenthaltene Bildungschancen bedingten Defizite und Teilhabe an den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften. Über weite Strecken verstanden sich diese Bemühungen auch als sozialpolitische Anstrengungen mit emanzipatorischem Anspruch. Berufen konnte man sich da gut und gern nicht nur auf die Bildungskonzepte der Arbeiterbewegung, sondern auch auf Wilhelm von Humboldt, der Bildung als ein Projekt zur Selbstgestaltung durch Weltaneignung gesehen hatte, von dem kein Mensch ausgeschlossen werden dürfe. Bildung, nach Humboldt der letzte Zweck unseres Daseins, war so immer auch als das entscheidende Lebensprojekt erwachsener Menschen gedacht gewesen.

Ende der Volksbildung

1974 war es mit der Volksbildung vorbei, der Förderungspreis wurde nun für Erwachsenenbildung vergeben. Die Umbenennung war Programm. Die Öffnung der tradierten Bildungseinrichtungen für breite Teile der Bevölkerung in den ersten Jahren der Ära Kreisky ließ die alte Trennung zwischen Volk und Bildungsbürgertum zumindest programmatisch obsolet erscheinen, zugleich setzte sich die Einsicht durch, dass die klassische Vorstellung, dass es im Leben eines Menschen aufeinanderfolgende Phasen der Ausbildung und Bildung, der beruflichen Tätigkeit und des Ruhestandes gäbe, den gesellschaftlichen Wirklichkeiten immer weniger entsprach. Erwachsenenbildung war schon damals durchdrungen von dem Imperativ, dass man nie aufhören könne, Neues zu lernen. Die betriebliche und die berufliche Weiterbildung, die Konzepte von Umschulung und der Erwerb von Zusatzqualifikationen bestimmten dieses Konzept, und prämiert wurden Personen und Institutionen, die diese Vorgaben realisieren konnten.

Die Entdeckung, genauer: Wiederentdeckung des Erwachsenen als lernendes und bildungsfähiges Wesen führte 1984 zur Transformation des Förderungspreises in einen Staatspreis, der allerdings wenig später in einen "Staatspreis für Erwachsenenbildung, Büchereiwesen und Volkskultur" umbenannt und bis zum Jahre 1998 in dieser Form vergeben wurde. Das ganze Dilemma der Erwachsenenbildung ließe sich an dieser Bezeichnung demonstrieren. Oszillierend zwischen einem humanistisch-emanzipatorischen Anspruch auf "Bildung für alle", Förderung einer Bildungsinfrastruktur, die sich noch um das Medium "Buch" zentrieren konnte, und einer sanft angedeuteten Opposition von Hochkultur und Volkskultur spiegelte sich darin eine Unentschlossenheit wider, die dem Bildungsbegriff selbst inhärent zu sein scheint. Denn dieser schwankt immer zwischen Exklusion und Inklusion, Entfaltung und Kompensation, Förderung und Forderung, Freiheit und Verpflichtung.

"Bildungschampions"

Nach 1999 verschwanden das Buch und die Volkskultur in dem Nichts, aus dem sie aufgetaucht waren, die Erwachsenenbildung aber blieb. Nun allerdings wurde sie dem Geist der Zeit erneut anverwandelt. Globalisierung, Rankings und Wettbewerb waren angesagt, und so konnte es nicht ausbleiben, dass nun in Österreich "Bildungschampions" gekürt und prämiert wurden. Auch die Bildung der Erwachsenen war nun etwas, bei dem man in erster Linie besser zu sein hatte als andere, der Slogan, der diese Neufassung des Staatspreises begleitete, lautete dann auch "Lernen bringt's". Das entsprach ganz den Vorstellungen der Europäischen Kommission, die "lebenslanges Lernen" nahezu ausschließlich als Qualifizierungsprogramm sah, das vor allem die Wettbewerbsfähigkeit des Europäischen Wirtschaftsraumes und die berufliche Flexibilität, Mobilität und Anpassungsfähigkeit der Einzelnen an den Arbeitsmarkt steigern sollte: optimale Nutzung von Humankapital.

Bildung degenerierte zu einem mentalen Fitnessprogramm, das die Menschen zunehmend in einen Wettlauf um Zusatzqualifikationen, Zertifikate, Abschlüsse und Investitionen in die Ich-AG hetzte. Gleichzeitig nahm die Sorge um Randgruppen und Bildungsverlierer zu, Programme und Projekte, die deren Defizite ausgleichen und ihre Chancen am Arbeitsmarkt erhöhen sollten, wurden zunehmend wichtiger. Seitdem gilt Bildung nicht mehr als Ausdruck der Conditio humana, sondern als Ressource, und wer diese nicht ausschöpft, handelt verantwortungslos.

2008 wurde die Vergabe des Staatspreises für Erwachsenenbildung - der Name blieb - dann erneut modifiziert. Er wird seitdem in Sparten vergeben, neben dem Erwachsenenbildner oder der Erwachsenenbildnerin des Jahres wird auch eine Auszeichnung für einen wechselnden Themenschwerpunkt vergeben (2013: politische Bildung) sowie ein Preis für Wissenschaft und Forschung. Dass mit Letzterem nun der rührige Historiker, Universitätslehrer und Wissenschaftsorganisator Hubert Christian Ehalt ausgezeichnet wurde, kann auch als Signal gewertet werden, dass in der wechselhaften Geschichte dieses Preises dann doch etwas durchgehalten hat, was einst als vornehmste Aufgabe der Erwachsenenbildung verstanden worden war: Aufklärung.

Streben nach Bildung

Ehalt, der seit über einem Vierteljahrhundert die "Wiener Vorlesungen" konzipiert und organisiert, hält wie wenige an dem Projekt der Aufklärung und einem damit verbundenen Konzept von Erwachsenenbildung fest. Es geht dabei weniger um Kompensation biografisch bedingter Bildungsdefizite, auch nicht um Fortbildung im Sinne von Qualifikationszuwächsen, sondern schlicht um die alte und stets neue Idee, dass das Streben nach Bildung an sich ein Kennzeichen eines erwachsenen, mündigen Bürgers ist. Das Interesse und Engagement für die Wissenschaften, das Gemeinwohl und die Entwicklung der Gesellschaft, für die Fragen der Zeit, Kunst und Kultur kennzeichnen diesen Typus, und ihn will Hubert Christian Ehalt durch seine Initiativen ansprechen.

Dahinter steht der Gedanke, dass - entgegen einer heute vielfach vertretenen Meinung - Wissenschaft nicht nur etwas ist, das sich in spezialisierten Journals ereignet und deren Qualität bibliometrisch erfasst und über Impact-Faktoren ermittelt wird, sondern ein Unternehmen, das selbst einen öffentlichen und damit bildenden Charakter hat. Es geht also nicht um eine didaktisch konzipierte Wissenschaftsvermittlung, sondern um die Verpflichtung der Wissenschaften, selbst eine tragende und kritische Rolle in den öffentlichen Diskursen zu übernehmen. Die Bürger, die sich bei den Wiener Vorlesungen über Entwicklungen in den Naturwissenschaften und der Ökonomie, über Historikerdebatten und philosophische Zeitdiagnosen, über Bioethik und Kunstraub aus erster Hand informieren, wollen weder ein Leben lang beschult werden noch ihre Wettbewerbschancen erhöhen, sondern schlicht jenem Bildungsanspruch folgen, der sich aus dem Status des Erwachsenen selbst ergibt. Wo Erwachsenenbildung gelingt, ist sie frei von allen Gesten der Bevormundung, Nachschulung und Kompensation. Dass solches in einer Stadt wie Wien möglich ist, dafür sorgt ihr langjähriger Wissenschaftsreferent. Hubert Christian Ehalt hat den Preis für Erwachsenenbildung zu Recht erhalten. (Konrad Paul Liessmann, DER STANDARD, 16.11.2013)