"Die Bundeshymne zu hören ist ein geiles Gefühl." Barbara Rett im Gespräch mit Thomas Geierspichler.

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Natürlich würde er gern Fußball spielen, und er hasst es, im Rollstuhl zu sitzen, aber der mehrfache Weltmeister, Weltrekordhalter und Olympiasieger Thomas Geierspichler hat seine Realität angenommen - und als erfolgreichster Sportler Österreichs das Beste daraus gemacht. Bei der Siemens Academy of Life sprach er mit Barbara Rett über sein Leben, seine Motivation und seine persönlichen Herausforderungen.

Ein wesentlicher Unterschied liegt für ihn darin, ob man sein Schicksal nur akzeptiert oder ob man es auch realisiert. Akzeptieren ist für Geierspichler negativer besetzt und eher eine Belastung, die im Gegensatz zum Realisieren keinen Verhandlungsspielraum zulasse. Erst wenn man etwas realisiert habe, könne wieder neue Kraft geschöpft werden. "Das tut weh, aber erst dann findet man Wahrhaftigkeit", sagt Geierspichler. Neben dem Glauben und der Bestimmung ist die Wahrhaftigkeit der dritte Begriff, der sein Leben leitet.

Unfall 1994

Unverschuldet veränderte ein schwerer Autounfall 1994 sein Leben radikal. Seither ist er von der Hüfte abwärts gelähmt. Von der Opferrolle hat er sich aber verabschiedet. Der Glaube habe ihm dabei geholfen. Zunächst sei er in ein Loch gefallen und habe versucht, mit Drogen und Alkohol seinen Schmerz zu verdrängen. Durch den Glauben habe er nicht nur "zum Kiffen und Saufen" aufgehört, sondern auch dem Unfalllenker vergeben können. "Den Lenker belastet es noch immer, wenn er mich sieht, und ich würde ihm die Last am liebsten nehmen, denn ich bin ein total glücklicher Mensch", sagt Geierspichler.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Anif bei Salzburg, war am Sonntag in die Kirche gehen Pflicht. Zum Glauben habe er aber erst gefunden, als er nach seinem Unfall Bekannte besuchte, die "wirklich gläubig waren, die Bibel lasen, aber ganz normale Leute waren mit Auto, Haus und einem normalen Beruf. Da war ich sehr skeptisch." Sie hatten ihm auch eine Bibel geschenkt. Beim Nachhauseweg hatte er darin geblättert und ein Satz, der zu seinem Lebensmotto wurde, hat sein Leben abermals radikal verändert: "Alles ist möglich dem, der da glaubt."

Radikale Wendungen

Von einem Moment auf den anderen hörte er zu rauchen und trinken auf. "Ich war schräg drauf und habe geglaubt, ich muss so sein wie Jesus, und habe mich 30 Tage nur von Wasser und Tee ernährt." Doch genau diese Zeit habe ihm beim Realisieren geholfen. Und: "Auch wenn ich nicht der bin, der ich gern sein möchte, geht das Leben weiter. Und ich möchte das Beste daraus machen."

Der Glaube wiederum habe ihm bei seiner Bestimmung geholfen. Durch diese Wende wurde ihm klar: "Ich will, dass die österreichische Bundeshymne einmal für mich gespielt wird." Und nach hartem und jahrelangem Training kann er heute sagen: "Die Bundeshymne zu hören ist ein geiles Gefühl."

Das Rennrollstuhltraining hat ihn anfangs fast in tranceartige Zustände versetzt. "Ich bin gefahren, gefahren, gefahren und habe gewartet, bis die Grenze kommt - nur: Die ist lange nicht gekommen." Als sie dann da war, habe es ihm erst recht Spaß gemacht. Zuerst im Geist die körperlichen Grenzen zu überwinden und dann auch physisch sei das tiefste Gefühl, das er je erlebt habe. "Große Glücksgefühle sind nur dann möglich, wenn der Geist mit dem körperlichen Schaffen in Symbiose ist."

Bestimmung ist für ihn aber ein laufender Prozess. "Ich bin jetzt am Samen säen für die Zukunft", sagt er. Aber nur wer bei der Suche nach seiner Bestimmung authentisch bleibe, könne auch andere motivieren.

Konzentration auf die Ziellinie

Ziele müsse aber jeder über sich selbst definieren und nicht gegen andere. Bei Wettkämpfen sei für ihn auch nicht entscheidend, wen es zu schlagen gelte, er konzentriere sich ausschließlich auf die Ziellinie. Mit den Änderungen bei den Paralympics in London 2010, wo die Langstreckenbewerbe eineinhalb Jahre vor den Spielen gestrichen wurden, war er "voll fertig, und im ersten Moment hatte alles keinen Sinn mehr".

Dennoch hat er nicht aufgegeben, sondern für die Kurzstrecke trainiert, sich aber auch darauf eingestellt, erstmals ohne Medaille zurückzukommen. Für Bronze über 400 Meter hat es trotzdem geklappt. Kritik übt er am Umgang mit dem Behindertensport. Neben dem Wegfall einzelner olympischer Bewerbe wurden auch die Behindertenklassen aufgehoben. Schwerbehinderte können leistungsmäßig aber nicht mit Leichtbehinderten mithalten. Für beide sei der Sport aber extrem wichtig.

Von den politisch korrekten Bezeichnungen für Behinderte hält er wenig. "Denn es kommt immer darauf an, wie man mit anderen Menschen umgeht." (Gudrun Ostermann, DER STANDARD, 16./17.11.2013)