Die ernährungswissenschaftliche Leiterin des Projekts Daniela Wewerka-Kreimel scannt im Spar-Markt Lilienfeld Produkte ein.

Foto: FH St. Pölten / Ernst Piller

Der Pfeil am bunten Balken zeigt die Bekömmlichkeit der Lebensmittel an. Bei Milch werden Functional Food-Produkte natürlichen Lebensmitteln vorgezogen.

Foto: derStandard.at/tinsobin

Zu diesen Mini-Pralinen gibt es keine Alternativen, dafür spricht eine zusätzliche Information zur Energiebilanz Bände.

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Den ungesunden Lebensmitteln geht es an den Kragen: In Deutschland wird einmal mehr über eine Fett- und Zuckersteuer diskutiert, und in den USA sollen gesundheitsgefährdende Transfette bald der Vergangenheit angehören. Hinter den staatlichen Bevormundungstendenzen bei Lebensmitteln stehen harte Fakten: Laut Österreichischem Diabetesbericht 2013 sind weltweit rund 366 Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt, in Österreich sind es zwischen 573.000 und 645.000, die Mehrheit leidet an Typ-2-Diabetes.

Als Hauptursachen der Typ-2-Diabetes gelten Übergewicht und Adipositas, Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte. Symptome, die meist durch eine hochkalorische, kohlenhydrat- oder fettreiche Ernährung sowie Bewegungsmangel bedingt sind. So sind aktuell 40 Prozent der Österreicher übergewichtig, wobei das im Bauchbereich gespeicherte Fett besonders negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben soll.

Diätologische Datenbank

Beim Übergewicht setzt die "Elektronische Einkaufshilfe für eine 'zuckerbewusste' Ernährung" an, die innerhalb des letzten Jahres an der FH St. Pölten entwickelt wurde. "Gesunde Ernährung beginnt mit dem Einkaufen", sagt Ernst Piller, Leiter des Instituts für IT-Sicherheitsforschung der Fachhochschule (FH) St. Pölten und Leiter des Projekts Elektronische Einkaufshilfe. Am Anfang stand die Beobachtung, dass viele, insbesondere ältere Menschen, bei der Auswahl gesunder Lebensmittel durch große Produktvielfalt und wenig Wissen darüber überfordert seien.

Seit 4. November stehen in einem Spar-Markt in Lilienfeld vier Barcodescanner, die Lebensmittel nach ihrem Gesundheitswert beurteilen und Kunden im Geschäft über ein Gesamtergebnis aus Fett, Kohlenhydraten, Ballaststoffen, Zucker und Kalorien informieren. Bis Ende März 2014 sind die Geräte in der Testphase, eine Ausweitung auf mehrere Supermarktketten mit Filialen in ganz Österreich ist angedacht.

Tablet und Scanner

Die Einkaufshilfe besteht aus Tablet und Scanner und basiert auf einer Datenbank, in die Nährwertinformationen von derzeit rund 2.600 Produkten eingespeist sind. Das Procedere ist einfach, das Gerät orientiert sich vor allem an der Zielgruppe der Senioren. Diese sind am Häufigsten von Diabetes-2 betroffen.

Voraussetzung für die Nutzung ist, dass ein Produkt verpackt ist und über einen Strichcode verfügt. Die Packung wird mit dem Barcode unter den Scanner gehalten, am Monitor erscheint eine leicht verständliche Bewertung in Form eines rot-gelb-grünen Balkens, auf dem ein Pfeil die Bekömmlichkeit des Produkts für Diabetiker anzeigt. Bei ungünstigen Lebensmitteln schlägt die Einkaufshilfe Alternativen vor. Zusätzlich werden Informationen zur täglich empfohlenen Verzehrmenge angezeigt oder zur Bewegung, die erforderlich ist, um das Produkt abzubauen.

Naturprodukt versus Functional Food

Die Lebensmittelanalyse erfolgt innerhalb von Produktclustern, wie zum Beispiel Joghurt- oder Toastsorten. "Bei als 'wenig empfehlenswert' eingestuften Produkten werden ernährungsphysiologisch günstigere Alternativprodukte aus demselben Cluster vorgeschlagen, zum Beispiel ein fettärmeres Joghurt statt ein Sahnejoghurt, oder Toast aus Vollkornmehl statt Weißmehl", erklärt Daniela Wewerka-Kreimel, FH-Dozentin am Departement für Gesundheit und Soziales der FH St. Pölten und ernährungswissenschaftliche Leiterin des Projekts.

So soll anstatt nach Coca Cola zu Cola Zero oder Cola Light gegriffen werden, anstatt nach Vollmilch zur fettreduzierten Milch, anstatt nach Fruchtaufstrich zu künstlich gesüßtem Pudding.

Dass naturbelassene Lebensmittel mit einem höheren Anteil an Zucker oder Fett für gesunde Menschen empfehlenswerter sind als fettreduzierte, mit Süßstoff versetzte und vielleicht noch künstlich aromatisierte und gefärbte Functional Food-Produkte, bestreitet die Ernährungsexpertin nicht: "Grundsätzlich braucht man für eine ausgewogene Ernährung gesunder Menschen keine fettreduzierten, künstlich gesüßten Lebensmittel, doch auf Diabetiker trifft das nicht zu", sagt sie. "Wenn gerne süß gegessen wird, ist künstlicher Süßstoff wirklich empfehlenswerter als Zucker."

Zu manchen Produkten weiß der Rechner keine Alternativen, wie etwa bei den Mini-Pralinen eines Schokladenherstellers, die stark im roten Bereich liegen. Dafür spricht die zusätzliche Information zur Energiebilanz Bände: Zum Abbau einer einzigen Praline bedarf es eines 25 minütigen Spaziergangs.

"Wir können niemandem etwas verbieten. Wir wollen auch Nahrungsmittel wie Butter oder Schokolade nicht schlecht machen", sagt Projektleiter Piller im Hinblick auf als ungesund eingestufte Lebensmittel. So zeigt die Einkaufshilfe beim Scannen von Schokolade nicht immer ein Ersatzprodukt an, das um vieles besser ist. Dafür erscheinen am Monitor  Zusatzinformationen etwa zur täglich empfohlenen Menge.

Fett ist nicht Fett

Vor allem eine Gewichtsreduktion hilft Diabetikern, die Blutzuckereinstellung zu verbessern. Darüber hinaus gilt es durch große Zuckermengen verursachte hohe Blutzuckerspitzen zu vermeiden. Unter diesem Blickwinkel spielen diverse Zusatzstoffe, E-Nummern, künstliche Aromen etc. bei der elektronischen Einkaufshilfe laut Wewerka-Kreimel keine große Rolle und werden auch nicht berücksichtigt.

Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die Art des Fettes, vor allem im Hinblick auf gesättigte oder ungesättigte Fettsäuren. Das liegt allerdings nicht an der Relevanz für Diabetiker und auch nicht der Software, sondern daran, dass Angaben wie diese auf den meisten Produkten fehlen. Denn die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln beruht nach wie vor auf freiwilliger Basis. 

Alle Überlegungen und Entscheidungen, die in die Datenbank der Einkaufshilfe eingeflossen sind, begründen sich auf  Ernährungsempfehlungen bei Diabetes und unter anderem auf das internationale WHO Nutrient profiling (Nährwert-Profil-Modell). Weshalb das Gerät für gesunde, normalgewichtige Menschen, die sich etwas bewusster ernähren möchten, nur eingeschränkt empfehlenswert ist. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 18.11.2013)