Foto: Georges Desrues

Stefano Bellotti

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Was auf ersten Blick wie ein verwahrloster Weingarten wirkt, hat bei Stefano Bellotti (unten) System: Auf seinem Hof gedeihen naturbelassene Weine der Sonderklasse.

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Foto: Rione Magnusson für Johnér Images / Corbis

Dass er ein Trittbrettfahrer sei, ist wohl das Letzte, das man Stefano Bellotti vorwerfen kann. Bereits in den 1980er-Jahren, also gut dreißig Jahre bevor eine Handvoll Jungwinzer und Weinjournalisten einen Trend auslöste, der inzwischen ganz Europa ergriffen hat, setzte der norditalienische Weinbauer auf biodynamischen Anbau, vertraute auf Spontanvergärung und verzichtete auf den Zusatz von Schwefel. "Es war nicht immer leicht, gegen den Strom zu schwimmen", sagt er, "so lange ist es gar nicht her, da lagen hypertechnisierte Weine im Trend, von Natürlichkeit oder Naturbelassenheit wollte damals keiner was wissen, Leute wie mich hielt man für weltfremde Spinner, die alles dafür taten, um auf ihren Weinen sitzen zu bleiben."

Doch die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen gelten sogenannte natürliche Weine, vins naturels, orange wines, vini veri oder unter welchem Namen und in welcher Form sie sonst noch auftreten, als das Nonplusultra des modernen Weinbaus, erzielen Spitzenpreise und werden in den besten und renommiertesten Restaurants serviert - von Mailand über Paris bis London und Stockholm.

Naturbelassene Weine hoch im Kurs

"Leute wie Stefano Bellotti sind wahre Pioniere, zu denen etliche junge Winzer heute mit Respekt, ja Bewunderung aufsehen", sagt etwa der ehemalige Sommelier des mythischen Kopenhagener Restaurants Noma und angesehene Weinimporteur Pontus Elofsson, "er war einer der Ersten, die Weine erzeugt haben, die völlig unverfälscht schmecken." Tatsächlich stehen naturbelassene Weine wie jene Bellottis wohl nirgendwo so hoch im Kurs wie in den angesagten Lokalen Skandinaviens, wo der Italiener einen Ruf als wahre Legende genießt. "Es stimmt schon, dass ich neben den Franzosen, die sich als Erstes für meinen Wein interessierten, den Skandinaviern am meisten zu verdanken habe", sagt der Winzer, "vor allem die Dänen scheinen sie zu mögen, in Schweden und Norwegen ist es etwas schwieriger, weil sie wegen des staatlichen Monopols bisher nur in Restaurants verkauft werden." Weniger günstig sei die Situation hingegen in Deutschland und Österreich. "Dort legt man zwar sehr viel Wert auf biologischen Anbau, verlangt aber gleichzeitig nach Weinen, die konventionell schmecken, und das tun meine nun mal nicht."

Bellottis Weingut "Cascina degli ulivi" liegt in der Provinz Alessandria, an der Grenze zwischen Piemont und Ligurien. Die Landschaft ist lieblich, die Vegetation üppig, das Weingut selbst in Wahrheit ein Bauernhof. Und zwar einer wie aus dem Bilderbuch: mit freilaufenden Hühnern und Gänsen, mit grasenden Rindern, Pferden und Ziegen und üppigen Gemüsegärten. Und den überwucherten, biodynamischen Weingärten gleich hinterm Hof.

Weinbau allein war ihm zu wenig

"Bauer zu sein, das war mein Lebenstraum", sagt Bellotti, der in der Großstadt Genua aufgewachsen ist, "der Landwirtschaft gehört meine Leidenschaft, Weinbau allein wäre mir einfach zu wenig gewesen." Auf Biodynamik indessen habe er nicht immer gesetzt. "Das schien mir am Anfang viel zu esoterisch, mit Kuhhorn eingraben und so weiter, irgendwie hatte ich Angst davor." Ausprobiert hat er es dann dennoch - und war von den Resultaten zuerst überrascht, danach überzeugt. "Man muss eben pragmatisch sein, darf nicht die Augen verschließen vor etwas, das wissenschaftlich nicht messbar ist", sagt er. Denn materialistisches Denken könne in Wahrheit nur Totes messen, nicht aber Lebendiges, und um das gehe es schließlich bei der Biodynamik.

Das Gebiet ist jenes des Gavi, des wohl einzigen namhaften Weißweins des Piemont, der aus der Traubensorte Cortese gekeltert wird. Doch Bellotti baut auch andere Weiß- und Rotweinsorten an, darunter lokale Klassiker wie Nebbiolo, Barbera und Dolcetto, aber auch Welschriesling, Sauvignon Blanc und Muskateller.

Im Laufe der Jahre ist seine Weinanbaufläche von einem auf 25 Hektar angewachsen. "Natürlich kommt es mir entgegen, dass in letzter Zeit so viel über biodynamischen Anbau, über naturbelassene Weine und den Verzicht auf Schwefel gesprochen wird", sagt er und kann diese Entwicklung durchaus als "Revanche" für die Anfeindungen und den Spott der Vergangenheit genießen. "Aber in Wahrheit sind wir eine winzige Minderheit, ein paar hundert Weinbauern in ganz Europa. Hier im Piemont gibt es Kellereien, die haben mit Landwirtschaft und Natur nichts am Hut. Jede Einzelne erzeugt mehr Wein, als wir alle zusammen." Zum Abendessen im angeschlossenen Agriturismo gibt es hausgemachte Pasta aus selbst angebautem Weizen, dazu Fleisch und Gemüse und Käse vom Hof. Und natürlich die hauseigenen Weine. Und dass der eine oder andere darunter vielleicht etwas allzu natürlich schmeckt, spielt in einem landwirtschaftlichen Gesamtkunstwerk wie der "Cascina degli ulivi" dann auch keine Rolle. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 15.11.2013)