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Proteste in Dammaj

Foto: APA/EPA/Mohammed

Im Jemen stellt der jüngste Gewaltausbruch im Norden des Landes, wo Huthi-Kämpfer die Stadt Dammaj belagern und beschießen, nicht nur frühere Waffenstillstandsabkommen in der Region Saada in Frage, sondern den ganzen Prozess der nationalen Versöhnung: Die National Dialogue Conference (NDC) sollte ja bereits im September nach sechsmonatiger Tagungszeit zum Abschluss kommen. Eines ihrer Resultate muss die Einigung auf die Richtlinien für eine Verfassung sein, in der sich die mit dem Zentralstaat unzufriedenen Gruppen und Regionen wiederfinden. Neben der sezessionistischen Bewegung des Südens sind das eben die Huthis, die 2004 gegen die Hauptstadt Sanaa die Waffen ergriffen – und die nach dem Rücktritt von Langzeitpräsident Ali Abdullah Saleh 2012 gelobten, den Konflikt innerhalb der NDC zu lösen. Die jüngste Eskalation könnte nun, auch wenn sich nicht wie früher Huthis und der jemenitische Staat gegenüberstehen, alles gefährden.

Der „Huthi-Aufstand" ist nach Hussein Badreddin Huthi benannt, einem zaiditischen religiösen und politischen Führer, der im Juni 2004 seinen Clan und eine erweiterte Anhängerschaft zu Demonstrationen gegen die Saleh-Regierung aufrief. Die brutale Repression der Proteste rief umso heftigere Reaktionen der Huthis hervor, die sich bald zu einem Aufstand auswuchsen. Eines der aktuellen Themen war die Kooperation des Jemen mit den USA im „war on terror" nach 9/11 und die amerikanische Irak-Invasion 2003, aber die Huthi-Rebellion ist wohl ein klassischer Konflikt zwischen einer marginalisierter, unter Druck geratener Peripherie und einem schwachen Zentralstaat. Hussein Badreddin Huthi wurde im September 2004 von Regierungstruppen getötet, der Aufstand wurde von seinen Brüdern fortgeführt. Eine der vertrauensbildenden Maßnahmen innerhalb des Nationalen Dialoges war übrigens im Juni 2013, dass die Behörden die sterblichen Überreste Hussein Badreddins an die Huthis übergaben.

Da es sich bei den Zaiditen, zu denen die Huthis gehören, um eine schiitische Untergruppe handelt, wurde von Beginn an der Iran beschuldigt, hinter dem Aufstand zu stecken: Mit den Huthis wolle Teheran eine „Hisbollah auf der Arabischen Halbinsel" gründen, die gegen die Interessen der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung arbeite und sich mit anderen Schiiten in der Region kurzschließen werde. Dieser Vorwurf kam nicht nur von der jemenitischen Regierung, sondern vor allem aus Saudi-Arabien, das im November 2009 auch kurzfristig militärisch in den Konflikt eingriff, als es zu grenzübergreifenden Attacken der Huthis kam. 2013 nahm Saudi-Arabien seine Jahre zuvor abgebrochenen Arbeiten an einem Sicherheitszaun entlang der Grenze zum Jemen wieder auf.

Schiiten sind nicht gleich Schiiten

Die Zaiditen sind in der Tat Schiiten, aber so genannte 5er-Schiiten – im Kontrast zu der größten Gruppe, den 12er-Schiiten, mit ihren zwölf Imamen. Die einfache Version der Geschichte geht so: Die ersten vier Imame in der Reihe, die mit Ali, dem Cousin und Schwiegersohn des Propheten, beginnt, haben 5er- und 12er-Schiiten gemeinsam, in der Nachfolge des 4. Imam Ali Zain al-Abidin (der bei den 5ern nicht den gleichen hohen Rang hat wie die ersten drei) gab es jedoch eine Spaltung: Die (späteren) 12er-Schiiten folgen Alis Sohn Mohammed al-Baqir, die 5er dessen Sohn Zaid, der der Richtung ihren Namen gab. Die Zaiditen gründeten mehrere Dynastie, unter anderem im Nordjemen ein Königreich, wo sie bis zur Revolution 1962 an der Macht waren. Dogmatisch stehen sie den Sunniten näher als den 12er-Schiiten, was von ihren Gegnern aber beharrlich ignoriert (oder nicht einmal gewusst) wird.

Nach der Ausrufung der Republik im Nordjemen bekämpften die Zaiditen beziehungsweise die Loyalisten in einem achtjährigen Bürgerkrieg die neue Ordnung (übrigens am Anfang mit Unterstützung Saudi-Arabiens, während Ägypten aufseiten der Republikaner kämpfte). Nach Kriegsende wurde die Provinz Saada von Sanaa vernachlässigt – und noch mehr nach der Wiedervereinigung von Nord- und Südjemen im Jahr 1990, als sich die Zentralregierung bald in einem sezessionistischen Krieg mit dem Süden wiederfand.

Wahhabitischer Druck

Dazu kam aber auch der zunehmende konfessionelle Druck: Durch die massive Ausbreitung des puristischen salafistischen Wahhabismus von Saudi-Arabien aus wurden die Zaiditen plötzlich, was früher nicht so der Fall war, quasi als minderwertige Muslime, wenn überhaupt, betrachtet. Was die Stadt Dammaj, die von den Huthis in den vergangenen Wochen beschossen wird, dabei für eine Rolle spielt, schildert der Journalist Theo Padnos in seinem Buch „Undercover Muslim: A Journey into Yemen": Dort, in seinem Heimatort, hatte in den 1980er Jahren einer der spirituellen Väter jener Fanatiker Unterschlupf gefunden, die 1979 die Große Moschee in Mekka besetzt hatten. Muqbil al-Wadi gründete in Dammaj eine kleine salafistische Schule, die nach 9/11 so richtig zu boomen begann. Auch viele Islamisten aus dem Westen lassen sich demnach dort ausbilden. So wurde Dammaj mit seinem „Dar al-Hadith" (Haus der Überlieferung – gemeint sind die überlieferten Sprüche des Propheten Mohammed) zu einer salafistischen Hochburg – und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Studenten auch in die Kämpfe gegen die Huthis involviert waren. Die Huthis sind für sie, wie alle Schiiten, „Rafidah", Ablehner des Islam.

Bei den Salafisten denkt man automatisch an den Export aus Saudi-Arabien, aber die Sache ist weit komplizierter als das: Gerade wegen dieser militanten Gruppen – und dem Waffenhandel zwischen ihnen – hatte Saudi-Arabien ja ursprünglich seinen Grenzzaun zu bauen begonnen. Diese Salafisten gelten sozusagen als Muslimbrüder-infiziert, das heißt mit umstürzlerischem, revolutionärem Potenzial gegen die herrschende Ordnung. Das sieht man weder in Riad noch in Sanaa gerne – was wiederum helfen könnte, den jemenitischen Nationalen Dialog doch noch zu retten, denn, wie gesagt, die Huthis kämpfen diesmal nicht gegen Regierungstruppen, sondern gegen diese Gruppen.

Autonomie für die Zaiditen

Allerdings liegt auch auf der Hand, dass Saudi-Arabien einiges daran liegt, um eine Art autonomes Huthi-Gebiet an seiner Grenze zu verhindern: Für Riad ist das ein von Teheran gesponsertes Komplott, und vor allem könnten auch die saudi-arabischen Schiiten im Osten des Landes auf die Idee kommen, ihnen stünde mehr Autonomie zu. Aber natürlich wären zumindest föderalistische Ansätze für den Jemen nötig, will man die Huthis und den Süden befrieden.

Vielleicht ist die derzeitige Eskalation sogar mit der Hoffnung der Huthis auf einen Durchbruch im Nationalen Dialog verbunden: Die Huthis, die die Provinz Saada weitgehend kontrollieren, wollen den salafistischen Stützpunkt in ihrem Gebiet in Dammaj ein für alle Mal ausmerzen. Auf die Zivilbevölkerung in der Stadt, die wie schon Ende 2011 wieder von jeder Hilfe abgeschnitten unter Belagerung und Beschuss liegt, wird dabei keine Rücksicht genommen. Der Uno-Sondergesandte für den Jemen, Jamal Benomar, konnte zwar vor einer Woche eine Waffenruhe erwirken, um Hilfe nach Dammaj zu bringen und Verletzte zu evakuieren, aber dieser Waffenstillstand bröckelte von der Stunde an, in der er geschlossen wurde. Und die Spillover-Gefahr in andere Gebiete ist groß. (derStandard.at, 9.11.2013)