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"Armutsbekämpfung wird keine Phrase mehr sein", verspricht Chinas Präsident Xi Jinping.

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Wie er dabei vorgehen will, soll am Wochenende klarer werden.

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KP-Generalsekretär Xi Jinping verlor mitten in der Provinz sein Gesicht. Ein Jahr, nachdem er zum Partei-, Armee- und dann noch zum Staatschef in Personalunion aufstieg, ist er manchen seines Volkes noch ein Unbekannter. Als er jüngst, auf Inspektionsreise in der Armutsregion von Hunan, mit einem Pulk lokaler Funktionäre eine Hütte betrat, wusste die Bewohnerin nicht, welch wichtiger Besucher da kam: "Zenmo chenghu nin?" (Wie soll ich Sie anreden?) Ein eilfertiger Parteischulze sprang ein: "Das ist doch der Generalsekretär."

Xi fragte die Bäuerin Shi Pazhuan, wie alt sie sei. Als er "64 Jahre" hörte, sagte der 60-Jährige: "Dann bist du meine ältere Schwester." Er versprach ihr: "Armutsbekämpfung wird unter meiner Führung keine Phrase mehr sein."

Volksnah und reformfreudig gibt sich der Parteichef auf seiner Inspektionstour bei den Allerärmsten des Landes, bevor er dieses Wochenende den dreitägigen Wirtschaftsparteitag des Zentralkomitees in Peking eröffnen wird. Zumindest schilderten das die Staatsmedien so. Überall, wohin er reist, melden sie, dass der mächtigste Mann der Volksrepublik seine Absicht bekundet, den Startschuss zu "allumfassenden Reformen" zu geben.

Das sind große Worte vor dem dritten ZK-Plenum seit der Neuwahl des Zentralkomitees im November 2012. Peking will den künftigen Entwicklungskurs neu festlegen. Das Versprechen eines Wirtschaftswandels kommt mitten in einer Zeit innerer politischer Spannung durch die rabiate Disziplinierung oppositioneller Kräfte und die Reideologisierung der Gesellschaft. Seit Amtsantritt hat Xi alles daran gesetzt, seine Macht über Partei, Armee und Regierung systematisch zu festigen. Mit Antikorruptions-, Säuberungs- und Ideologiekampagnen nach altem maoistischem Muster verschaffte er sich unangefochtenen Respekt. Auch hat er durch Verfolgung von Online-Oppositionellen der Partei erneut die Meinungsführerschaft in den Medien verschafft. Justiz und Polizei haben mit hunderten Festnahmen Dissidenten und Bürgerrechtler eingeschüchtert.

Die Partei hypt ihr Plenum

Xi hält offenbar die Zeit für reif, einen marktwirtschaftlichen Reformschub anzustoßen - in einer Zeit fallender Wachstumsraten und verbreiteter Skepsis, ob China der Übergang von der exportabhängigen Werkbank der Welt zur binnenmarktorientierten Wirtschaftsmacht gelingt. Die Öffentlichkeit weiß allerdings nicht so recht, was die Partei auf ihrem Plenum beschließen wird. Selbst die patriotische Global Times gestand: "Ohne Details über die geplanten Reformen bleibt nur, nach Spuren in dem zu suchen, was Chinas Führer sagen oder Medien berichten." Die aber sind genauso manipuliert wie die Meldung über die Bäuerin, die angeblich den Parteichef nicht kannte, und die Xi als Volkstribun erscheinen ließ.

Die Bedeutung, die der Parteikonferenz angedichtet wird, scheint gehypt zu sein, um das Wirtschaftsumfeld positiv zu stimmen: Seit Beginn der Reformen 1978 hat die KP immer auf ihren dritten ZK-Plenarsitzungen nach Gesamt-Parteitagen neue wirtschaftliche Richtlinien absegnen lassen, die intern längst festgelegt waren. Die Konferenz selbst ist streng geheim, erst Wochen später sickert durch, welche Interpretationen sich hinter den Worthülsen aus dem offiziellen Kommuniqué verbergen. Auch diesmal deutet wenig darauf hin, dass es transparenter zugeht.

Parteichef Xi hatte sich im Oktober zu vorsichtigem Umgang mit neuen Reformen bekannt. "China ist ein großes Land. Es kann sich nicht leisten, in grundsätzlichen Bereichen drastische Fehler zu machen, die dann zu weit gehen, um noch korrigiert oder zurückgenommen werden zu können." Mut zum Handeln sei zwar nötig, aber nicht, ohne vorher "sorgsam die Schritte zu überlegen".

Solche Äußerungen fachen Spekulationen an, ob sich der neue starke Mann eher als Reformer, Ideologe oder Nationalist entpuppen wird. Diese Frage treibe viele um, sagt ein lange Jahre als Parteipropagandist arbeitender Politikforscher. Er will seinen Namen nicht genannt sehen.

Seine Bekannten schauten beim kommenden Plenum weniger auf Signale für neue Reformen. Für sie sei wichtiger, welche Rolle Xi spielen wird. Die intellektuelle Öffentlichkeit stecke ihn derzeit in drei Schubladen. Viele Enttäuschte sehen in ihm einen linksorthodox denkenden Nationalisten. Eine zweite Gruppe hoffe, dass in ihm ein Pragmatiker mit noch zurückgehaltener Reformagenda steckt.

Nur noch wenige gehörten zur einst viel größeren Gruppe jener, die hofften, dass Xi das Zeug zum großen Reformer habe. Sie berufen sich auf seinen Vater Xi Zhongxun. Der einstige enge Mao-Kampfgefährte habe sich nach 16 Jahren der Verfolgung durch Mao am Ende zum Reformer entwickelt. Eine Erfahrung, die vielleicht auch den Sohn prägte. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 8.11.2013)