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Eigenständiges Lernen bringt Begabte weiter.

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Claudia Resch wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für Begabtenförderung während der Lehrerausbildung.

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Fünfzehn bis zwanzig Prozent der Schüler jeden Jahrgangs haben das Potenzial dafür, sehr hohe Leistungen zu bringen. Davon gehen Begabungsforscher aus. Um diese auch nutzen zu können, brauchen sie vor allem eine förderliche Lernumgebung, sagt Claudia Resch, Geschäftsführerin des Österreichischen Zentrums für Begabtenförderung und Begabungsforschung. Das Zentrum veranstaltet von Donnerstag bis Samstag einen Kongress zur Begabungs- und Exzellenzförderung. "Nicht jedes Kind ist hochintelligent, aber viele haben das Potenzial dazu, sehr gute Leistungen zu erbringen, wenn alle Faktoren passen", erklärt Resch. In Österreich ist das allerdings nicht der Fall.

Wenige Höchstleistungen

Für Höchstleistungen sind die österreichischen Schüler nicht bekannt. Es gibt keine zentralen Zahlen dazu, wie viele Kinder etwa eine Schulklasse überspringen oder früher eingeschult werden. Bei der Pisa-Studie aus dem Jahr 2009 gehören beim Lesen aber nur fünf Prozent der Schüler und Schülerinnen zu jener Gruppe, die Spitzenleistungen lieferte. Im OECD-Durchschnitt sind es sieben Prozent. In Mathematik, wo die Leistungen der österreichischen Schüler allgemein besser sind, bringen 13 Prozent Spitzenleistungen. Der Durchschnitt liegt hier bei 20 Prozent.

Zur Begabungsförderung gibt es verschiedene Instrumente. Schüler können etwa eine Klasse überspringen oder früher eingeschult werden. Eine andere Möglichkeit ist das "Drehtürmodell": Hier können besonders gute Schülerinnen und Schüler in bestimmten Fächern den Unterricht einer höheren Schulstufe besuchen oder während der Unterrichtszeit an eigenen Projekten arbeiten. An manchen Schulen werden eigene "Begabtenklassen" angeboten. Auch Sommerakademien und ein Studium als außerordentlicher Student an der Universität sind möglich. Die spezielle Förderung während des Unterrichts sollte aber im Regelschulwesen ankommen, meint Resch vom Zentrum für Begabtenförderung, sie selbst ausgebildete AHS-Lehrerin ist.

"Förderung nicht systematisch"

Das sei im aktuellen österreichischen Schulsystem allerdings noch nicht der Fall. Drehtürmodelle etwa gebe es nur vereinzelt. "An den Regelschulen passiert die Förderung derzeit leider noch nicht systematisch." Oft würden im Unterricht alle gleichzeitig dasselbe lernen. Genau das ist im Sinne der Begabtenförderung aber falsch. "Die Schüler brauchen ein förderliches Lernumfeld", sagt Resch. Dazu müssten sich Lehrer und Eltern an den Interessen des Kindes orientieren. Wichtig sei zudem, dass die Schüler selbstständig lernen und selbstständig Erfahrungen machen.

In der Praxis könnte das dann so aussehen: Anstatt die Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkriegs mit allen Schülern zu erarbeiten, könnte man bei manchen Schülern die folgende offene Aufgabe stellen: "Wie würde Europa möglicherweise heute aussehen, wenn Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte?"

Intelligenz-Mythen

Oft würden sich Lehrer nicht trauen, mehr Begabungsförderung anzubieten. Dabei seien die gesetzlichen Möglichkeiten gegeben, wie zum Beispiel durch Grundsatzerlass zur Begabtenförderung 2009. Ein Problem ist laut Resch auch, dass es unter anderem bei Lehrern Mythen über "hochbegabte" Schüler gebe. "Viele glauben, ein Kind muss ein halber Einstein sein, um Begabtenförderung zu brauchen." Es gebe aber sehr viele, die das Potenzial dazu haben.

Überhaupt sei es überholt, die Leistungsfähigkeit eines Kindes am Intelligenzquotienten zu messen. "Das greift zu kurz. Wichtiger als die kognitiven Fähigkeiten sind Motivation und Fleiß oder auch Persönlichkeitseigenschaften wie Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten." Eltern müssten nicht die Intelligenz ihres Kindes prüfen lassen, um festzustellen, ob es hochbegabt sei. "Wenn das Kind im Vergleich zu den anderen Kindern im selben Alter überdurchschnittliche Leistungen und Interesse zeigt, dann ist es begabt."

Lehrer sollen mehr lernen

Was sollte die neue Regierung umsetzen, um die Begabungsförderung zu verstärken? Resch wünscht sich vor allem, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer künftig in ihrer Ausbildung über Begabtenförderung lernt. Außerdem sollte es in jedem Kindergarten, in jeder Schule und jeder Hochschule eine Ansprechperson für Pädagogen und Eltern zum Thema Begabtenförderung geben. Das Schulsystem an sich spielt laut Resch für die Begabtenförderung kaum eine Rolle, "wenn jedes Kind bei seiner Begabung abgeholt wird". Sie spricht sich deshalb auch nicht gegen eine Gesamtschule aus. Sie hat nur die Befürchtung, dass zusätzliche Lehrer sich dann hauptsächlich um schwache Schüler kümmern. "Es hat aber jedes Kind laut Gesetz das Recht auf Förderung." (Lisa Aigner, derStandard.at, 6.11.2013)