Daniela Strigl: "Seit August wird in der und um die Mariahilfer Straße eine hysterische Diskussion geführt, wird eine hysterische Politik gemacht."

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In Wien weiß man es und will es doch ständig bestätigt bekommen: Wien ist anders. Deshalb ist man auch auf seine Defekte stolz. Emphatisch verlautbaren die hiesigen Medien das Leitbild des Stadtneurotikers, und alle Beteiligten bemühen sich, ihm zu entsprechen. Auf der ganzen Welt funktionieren "Begegnungszonen" ohne viel Aufhebens? Ja, aber bitte nicht in Wien! Mia san mia: unbeweglich, stur, aggressiv.

Seit August wird in der und um die Mariahilfer Straße eine hysterische Diskussion geführt, wird eine hysterische Politik gemacht. Verkehrsberuhigung wurde Bürgererregung. Schließlich war auch noch Wahlkampf. Jetzt aber könnte man zur Vernunft kommen.

  • Erstens. Die Fußgängerzone ist eine gute Idee, weil sie den meisten Betroffenen viel mehr Vorteile bringt als Nachteile. Sie taugt aber nicht für gruppendynamische Grätzl-, Bezirks- und Stadtselbsterfahrungstrips. Derartiges muss man überlegen, diskutieren, beschließen und machen. Oder, wie die Fußgängerzone am Graben 1971, durch die Hintertür einführen: als Provisorium, das in dieser Stadt besondere Nachhaltigkeit verspricht.
  • Zweitens. Will man in einer Straße zwei unterschiedliche Zonen etablieren, muss man diese optisch unmissverständlich trennen, durch Belaggestaltung, nicht durch Ampellichter und einen wahnwitzig wuchernden Schilderwald. Das ist nämlich der Witz eines "shared space": Selbstregulierung durch Rücksichtnahme. Behält man über Monate die bestehende Fahrbahn bei, darf man sich nicht wundern, wenn's nicht optimal funktioniert. Grundkurs Verkehrspsychologie: In der kollektiven Wahrnehmung gehen Fußgänger nach wie vor dort, wo sie nicht hingehören. Fallen die Gehsteige weg, so werden Fußgänger nicht mehr optisch kanalisiert, Grenzen zwischen den Benutzergruppen verwischen, die durchschnittliche Geschwindigkeit sinkt. Nicht teure Pflastersteine sind die Steine der Weisen, sondern eine jeweils einheitliche Gestaltung ohne Niveauunterschiede.
  • Drittens. Haben die Stadtgrünen Angst vor der eigenen Courage bekommen? Ihr revolutionäres Potenzial scheint mit dem Neologismus "FußgängerInnenzone" erschöpft. Im Wochentakt werden Schilder und Hinweistafeln ausgetauscht. Die Ausnahme für Taxis (Zu- und Abfahrt) funktioniert nicht. Taxifahrer fahren einfach durch. Neuerdings hat man in der Kern-Fußgängerzone ein Transparent, das Radfahrer zum Schritttempo mahnte, abmontiert und eine 20km/h-Tafel aufgestellt. Das gelte, so die Polizei, nur auf der Busspur des 13A. Das steht aber nirgends. Und verstößt außerdem gegen die Straßenverkehrsordnung, die sinnvollerweise für alle Fahrzeuge, die eine Fußgängerzone ausnahmsweise befahren dürfen, also auch den Rad- und Lieferverkehr, Schrittgeschwindigkeit vorschreibt. Alles andere unterminiert ja wiederum den Vorrang des Fußvolks. Also gar keine echte Fußgängerzone?!
  • Viertens. Der 13A kann und soll natürlich bleiben. Es wäre widersinnig, würde just der öffentliche Verkehr durch die Verkehrsberuhigung behindert. Die von den Wiener Linien im August plötzlich behauptete Unmöglichkeit, mit dem Bus die Kernzone zu befahren, wurde von der Praxis längst widerlegt. Auf einer abgesenkten Spur wird der Bus psychologischen Vorrang genießen, selbst dann, wenn er keinen rechtlichen hat. Was kein Problem ist, wenn er die paar hundert Meter im Schritttempo absolviert. Liebe Busfahrer, macht euch bitte nicht ins Hemd! Hysterie ist nicht angebracht. Jahrelang ist etwa der 1A ohne Probleme mitten durch die dicht frequentierte Graben-Fußgängerzone gefahren, ohne eigene Spur, umsichtig gelenkt, im Schritttempo, aber flüssig.

"Sicherheit" ist hier ein anderes Wort für Bequemlichkeit. Aber Wiener sind Menschen und als solche vernunftbegabte Wesen. Die Gefährdung von Passanten steigt nicht mit der Größe des Fahrzeugs, sondern mit dessen Geschwindigkeit. Keine andere Stadt lässt sich ihre Verkehrspolitik von Buschauffeuren diktieren.

  • Fünftens. Der Bürgermeister ventiliert die Schnapsidee, just die Radfahrer, die von der großzügigen Raumlösung wirklich profitieren, von der Mariahilfer Straße zu verbannen. Damit hätte er das eigene Projekt endgültig abgemurkst. Die Neugestaltung hat nur Sinn, wenn sie einerseits radikal, andererseits umfassend ausfällt; ohne Kniefälle vor Kronen Zeitung oder Gewerkschaft oder Taxiinnung. Am ärgerlichsten freilich ist hier eine von oben verordnete Pseudodemokratie: Mit einer scheinheiligen Abstimmung über längst beschlossene Sachen stößt man alle vor den Kopf, die Gegner und die Befürworter.

Das heißt also: rasch und pragmatisch umbauen und für ein Jahr testen. Dann ist der neuen Mariahilfer Straße wohl eine lange Lebenszeit beschieden. Bis dahin erhoffe man sich Einsicht oder bitte um Erleuchtung. (Daniela Strigl, DER STANDARD, 2.11.2013)