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V.n.l.r.: Moderatorin Karin Bauer (STANDARD), Chris Lohner (Good Will Ambassador Licht für die Welt), Siegfried Meryn (Stiftung Nein zu krank und arm), Ali Mahlodji (Watchado) und Willi Lemke, legendärer Manager des SV Werder Bremen und nun UN-Sonderbotschafter für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden im Tagungszentrum Schönbrunn.

Foto: Controller Institut/APA-Fotoserv

Eigentlich. "Eigentlich", sagen viele Menschen, würden sie ja gerne etwas anders machen in oder aus ihrem Leben, in ihrem Job oder außerhalb. Bloß: Getan wird es selten, meist bleibt es beim "eigentlich" .

Wie es gelingen kann, tatsächlich anders zu denken und zu handeln, hat sich der 20. Kongress für Non-Profit-Management (NPO) als Thema Mitte Oktober in Wien vorgenommen. Dies vor dem Hintergrund von durch knappere Ressourcen auch erzwungener Neuaufstellung wirkungsorientierter Organisationen im NPO-Bereich und in der öffentlichen Verwaltung. In alter Tradition waren dazu auch Einblicke in Lebensgeschichten Thema.

"Geht nicht gibt's nicht" nannte dabei etwa Willi Lemke, UN-Sonderbotschafter für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden, bekanntgeworden aber als Aufbaukraft des SV Werder Bremen, als sein tragendes Motto. Dass dem oft Hierarchien, Bequemlichkeit und das Berufen auf "haben wir aber immer so gemacht" entgegensteht, konnte er auch in der Politik erleben, als er mit seiner Kandidatur für das Bremer Bürgermeisteramt scheiterte. Die Mischung der Erfolgsgeheimnisse? Selbstreflexion, der große Wunsch, wirksam zu sein, nebst sorgfältiger Konsequenzenanalyse und einer dicken Haut, sagt Lemke.

Häme

Etwas anders oder etwas anderes zu machen ist ja bekanntlich leicht im wohltuenden Erfolgsapplaus - bei Misserfolg erntet eine solche Exponiertheit entsprechend auch besondere Häme. Lemke hat "jeweils nur kurz den Kopf eingezogen", sagt er. Der Wunsch, jetzt bloß nicht aufzufallen, habe jeweils nur kurz gewährt. Diese Kraft schulde er auch einem besonders liebevollen Elternhaus.

Die Schauspielerin, Moderatorin, Sprecherin, Buchautorin und Good-Will-Ambassador für Licht für die Welt, Chris Lohner, nennt ebendas auch als Nährboden - in ihrem Fall für ein frühes Ausbrechen aus gesellschaftlicher Übereinkunft, aus erwartetem Konzept, so die 70-Jährige: "Ich wollte mir nicht schnell einen Mann suchen und Kinder kriegen." Der finanzielle Antrieb, sagen Lohner und Lemke, sei zweitrangig für sie. Vielmehr gehe es darum, aus sich herauszuholen, was drinsteckt, beizutragen, was man vermag.

Ob Anecken nicht einsam mache? "Gar nicht, ich bin ja in guter Gesellschaft mit mir", gibt Lohner zurück, die das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien und den Preis für Zivilcourage trägt und derzeit an ihrem neunten Buch schreibt. Und auch bei ihr erscheint als Basis: Erforschen, wer man ist: "Ich habe ja nichts davon, wenn mich alle lieb haben, weil ich Erwartungen erfülle und mich dabei selbst nicht aushalte."

Leinwand

Wie sie ihre Tätigkeit in Afrika, Not, Elend, Verstümmelung, Hunger und Krieg aushalte? "Ich versuche, das möglichst wie auf einer Leinwand vor mir zu lassen. Natürlich gelingt das nicht ganz. Aber ich soll ja auch berührt werden, sonst kann ich nicht berühren." So sammle sie eine Menge Geld für Augenoperationen für die Organisation. Und wieder: "Wenn ich mit mir nicht kann, dann kann ich auch niemandem helfen, man muss bei sich anfangen." Dass einen manchmal die Ohnmacht anfalle - ja, aber das beflügle den Wunsch nach Wirksamkeit im jeweils möglichen Rahmen. Wer dann noch den Humor nicht vergesse, mit dem Ernsthaftes am besten zu transportieren sei, der könne gut wirksam werden.

Was der Durchsetzung der Vorstellungen einer besseren, gerechteren Welt entgegenstehen kann, berichtet Siegfried Meryn, Professor für Innere Medizin und Departmentleiter an der Medizin-Uni in Wien. Er hat die Stiftung "Nein zu krank und arm" ins Leben gerufen und war zunächst mit sehr viel Ignoranz konfrontiert. Auch was Spenden Vermögender betrifft: Dauernd sei ihm mit Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, mit "jetzt nicht", mit "alles sehr schwierig" begegnet worden.

Dass in Österreich 250.000 Kinder in Armut leben, dass Armut und Krankheit plus Scham über diese Lage eine besondere Ausgrenzung darstellen, darüber wollten sehr viele Menschen nicht besonders viel wissen.

"Es gibt so viele Stromlinienförmige, so wenig sich Auflehnende, so viele demütig Devote", so Meryn. Für ihn ist es Pflicht der Privilegierten, sich für bessere Rahmenbedingungen starkzumachen, dafür, dass Bildung und medizinische Grundversorgung niemanden ausschließen. Meryn: "Das Prekariat versetzt nicht in die Situation, reflektieren zu können - das ist ein Luxus."

Gesellschaftliche Liga

Reduziert eine solche klare aufrechte Haltung den Freundeskreis in der gesellschaftlichen Liga, die lieber wegschaut? "Ja, das hat oft Nachteile. Aber es ist die falsche Frage. Wenn ich vorher frage, ob es Nachteile haben wird, dann gehe ich den Weg wahrscheinlich nicht", so Meryn überzeugt. Das größere ganze Ziel: Eine solidarische Gesellschaft, "da verdrehen ja die Leute die Augen, wenn man das Wort Solidarität in den Mund nimmt". Dem stimmt Lemke vehement zu - es sei schwer erträglich, einen gesellschaftlichen Imperativ von "Wir müssen gierig sein" zu hören. "Ja, die Devise ist vorwiegend I, me & myself", so Meryn.

Radikal gebrochen hat Ali Mahlodji in seiner beruflichen Biografie: Mit eineinhalb Jahren kam er als Kind einer Flüchtlingsfamilie via Türkei nach Traiskirchen. Nach Schulabbruch hat er dann doch auf Absolvieren einer Ausbildung eingeschwenkt, als gut bezahlter Unternehmensberater gearbeitet. "Mit 26 habe ich mich gefragt: Wohin soll es in meinem Leben gehen?" Die Antwort hatte Konsequenzen: Er hat die Internetplattform Whatchado, ein Handbuch der Lebens- und Berufsgeschichten, gegründet, wo jene, die ihren Weg (noch) nicht gefunden haben und ratlos vor dieser Welt stehen, sich orientieren und Hilfe finden können. Mittlerweile gilt er als Herzeige-Sozialunternehmer und hat 25 Leute im Team. Mahlodji argumentiert ganz pragmatisch: "Wir haben hierzulande 80, vielleicht 90 Lebensjahre. Es liegt an uns, zufrieden zu sein. Jeder Tag, an dem das Leben keinen Spaß macht, ist ein verlorener - und es kann verdammt schnell vorbei sein."

Alle vier vereint ein ständiges Hinterfragen, ob sie mit den ihnen geschenkten Talenten und mit ihren erworbenen Kompetenzen auch alles das machen, was ihnen möglich ist. Alle vier berufen sich auf eine Kindheit, in der sie liebevoll heranwachsen konnten. Alle trägt ein Pflichtgefühl, aus dem heraus etwas für andere zu tun, die es selbst allein nicht können oder keine Stimme haben. Und alle haben gelernt, mit den Sonnen-, aber auch mit den Schattenseiten des solcherart Sichtbarseins umzugehen.

Auch wenn es schon ein wenig allzu bekannt klingt: "Auf die Schnauze fallen und aufstehen", wie Willi Lemke formuliert, gehört zum Grundrepertoire.

Ob das jeder im Kleineren oder im Größeren kann? Ja sicher, so die vier einhellig. Die anderen seien es nicht, bei denen anzufangen ist. Zuerst kommt der Blick in den Spiegel und der Auftrag an sich selbst. (Karin Bauer, Management STANDARD, 2./3.11.2013)