Bild nicht mehr verfügbar.

Filmreif: Mit der eigenen Endlichkeit ist schwer zurechtzukommen, lieber sieht man sich Tode als Fiktion im Kino an. Allerheiligen ist einer der wenigen offiziellen Anlässe, über das "End of Life" nachzudenken. 

Foto: Corbis

Umfallen und tot sein: Das wünschen sich die meisten, um sich weder mit dem Sterben auseinandersetzen oder - noch schlimmer - über die eigene Endlichkeit sprechen zu müssen. Als narzisstische Kränkung hat Sigmund Freud den Tod bezeichnet. Eine zentrale Aufgabe der Medizin ist es, ihn so lange wie möglich hinauszuzögern.

"Auch beim Sterben wollen die Menschen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten moderner Medizin in Anspruch nehmen," sagt Herbert Watzke, Leiter der Palliativstation am Wiener AKH. Die wenigsten hätten den Mut, die letzten Tage zu Hause zu verbringen, auch deshalb, weil sie es ihren Angehörigen nicht zumuten wollten.

Mehr als die Hälfte stirbt im Krankenhaus

Der nicht einfache Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft schlägt sich auch in den Zahlen nieder. Mehr als die Hälfte aller Österreicher stirbt im Krankenhaus. In konkreten Zahlen waren das 2012 exakt 40.604 von insgesamt 79.436 Menschen und damit 51,1 Prozent.

Zu Hause starben 21.241 (26,7 Prozent), 13.281 (16,7 Prozent) in Heimen. Dieses Verhältnis ist seit 30 Jahren mehr oder weniger stabil. Eine Verdreifachung hat nur bei den Todesfällen in Pflegeheimen stattgefunden. Dort starben 2012 13.281 Menschen (16,7 Prozent), 1988 waren es nur 5,2 Prozent.

Diese Veränderungen spiegeln den demografischen Wandel wider. Die Österreicher werden durch die medizinische Versorgung zwar immer älter, aber damit auch kränker. Krankheiten, die früher unheilbar waren, werden in chronische Leiden verwandelt. "Nicht nur für Patienten ist der drohende Tod eine Niederlage, sondern auch für die Ärzte im Spital, die plötzlich nicht mehr heilen können," sagt Thomas Nagy, Gründer des Vereins Trauerweile, einer Initiative, die hinterbliebene Angehörige begleitet. Nach tausenden Gesprächen ist er sich sicher: "Sterben ist die allerpersönlichste Angelegenheit der Welt, und rückblickend ist ein Tod immer dann gut, wenn er in Frieden passiert," sagt er.

Der Hightech-Medizin ausgeliefert

Die Realität sieht anders aus. Alte Menschen mit akuten Beschwerden werden zumeist in die Notaufnahmen der Krankenhäuser eingeliefert, wo allein schon aus rechtlichen Gründen alle Möglichkeiten der Hightech-Medizin aufgefahren werden müssen.

"Weil unsere Gesellschaft nicht vorbereitet ist, wird Sterben an Krankenhäuser delegiert, aber das Krankenhaus ist kein geeigneter Ort. Wer stirbt, braucht Zuwendung und Zeit, im Akutbetrieb gehen diese Bedürfnisse unter", sagt Michael Breitschopf, Leiter von Akutgeriatrie und Palliativstation im Krankenhaus zum Göttlichen Heiland in Wien, wo man sich auf die Behandlung alter Menschen spezialisiert hat.

Dort wird "mit Augenmaß" behandelt, so Breitschopf, und das bedeutet, dass Menschen mit einer Reihe von Vorerkrankungen weder überdiagnostiziert noch übertherapiert, sondern so stabilisiert werden, dass sie wieder nach Hause können. Oberste Priorität sei, die Autonomie der Menschen so lange wie möglich zu erhalten, und das sei auch ein wichtiges Ziel auf der Station für Palliativmedizin, die er im Krankenhaus zum Göttlichen Heiland leitet.

Palliative Zwischenstation

"Medizinisch kümmern wir uns um die Lebensqualität. Es geht um maßgeschneiderte Schmerztherapie, aber vor allem auch um die Wünsche von Patienten", sagt Breitschopf. Durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Patienten auf der Palliativstation sind 15 Tage. 80 Prozent werden nach Hause entlassen und, wenn es nicht anders möglich ist, in die Obhut der Mitarbeiter des mobilen Hospizes der Caritas Wien übergeben.

Karin Böck ist dort Pflegedienstleiterin. "Wir ermöglichen Leben und Sterben zu Hause", auch für sie hat das Wünscheerfüllen oberste Priorität. Im Gegensatz zum Spital gäbe es in der Hospizbetreuung mehr Freiräume. Für viele geht es in der letzten Phase des Lebens darum, Belastungen loszuwerden. "Schmerzen haben viele Ebenen, sie können rein körperlich, aber auch seelisch oder durch soziale Probleme verursacht sein", sagt sie. Körperliche Beschwerden bekommt man durch Opiate sehr gut in den Griff, für seelische Beschwerden helfen Gespräche.

Lebensqualität durch Zuwendung

Als problematisch sieht Böck, dass zunehmend mehr Menschen alleine und am Ende ihres Lebens ohne soziales Netzwerk leben und viele Konflikte dadurch einfach nicht mehr gelöst werden könnten. "Leben nicht verkürzen, aber das Sterben nicht verlängern" sei die Aufgabe des Hospizes, sagt Böck, und Gründe dafür, sterbenskranke Patienten wieder zurück ins Spital zu schicken, seien unbeherrschbare Schmerzen, Atemnot, starke Übelkeit oder Blutungen. Auch Angehörige, die mit der Situation nicht zurechtkommen, können eine Krankenhauseinweisung notwendig machen, so Böck.

"Es kommen immer wieder auch Menschen in ihren letzten Tagen aus Pflegeheimen zu uns, weil das Personal dort die Verantwortung für den Tod nicht übernehmen will", sagt Palliativmediziner Breitschopf, der hofft, dass sich diese für Patienten schwierige Situation in den nächsten Jahren durch neue, multiprofessionelle Betreuungskonzepte verändern wird.

"Dass es keinen Sinn macht, sehr kranke Menschen, die nichts mehr essen wollen, über Sonden zu ernähren, wurde in Studien eindeutig bewiesen", sagt er. Das Wissen, dass es in den letzten Tagen und Wochen vor allem um Lebensqualität durch Zuwendung und ein Mindestmaß an medizinischer Intervention geht, setze sich zunehmend auch in den Betreuungsinstitutionen durch.

End-of-Life-Discussion

Palliativmediziner Herbert Watzke kann dieses Wissen sogar durch Studien belegen. In der Palliativmedizin haben sich sogenannte "End-of-Life-Discussions" als Instrument im Arztgespräch bewährt. Mit unheilbar Kranken wird explizit gesprochen, wie sich die folgenden Wochen und Monate gestalten werden. Erwartungen, Ängste und die entscheidende Frage, wer für die Pflege verantwortlich sein wird, sind wichtige Punkte.

Wie entlastend diese Gespräche sind, ist durch eine Studie an Lungenkrebspatienten eindrücklich im New English Journal of Medicine (Jennifer Temel et al.: NEJM 363:733-742, 2010) bewiesen. Patienten nach End-of-Life-Diskussionen waren in ihrer letzten Lebensphase weniger depressiv, fühlten sich wohler und lebten dadurch durchschnittlich sogar um zwei Monate länger.

Watzke baut im AKH derzeit Palliativteams auf, die ihr Wissen auf sämtlichen anderen Stationen des Krankenhauses und besonders auf der Onkologie verbreiten."Menschen haben fast bis zum letzten Atemzug Ziele", bestätigt Breitschopf.

Was für Menschen, die mit dem Tod von Berufs wegen vertraut sind, eine große Erleichterung beim Erfüllen letzter Wünsche wäre, sind Patientenverfügungen. Die wenigsten kümmern sich darum. "Sie sind ein Weg, Menschen kennenzulernen und auch dann entsprechend handeln zu können, wenn Kommunikation nur mehr eingeschränkt möglich ist", sagt Böck. (Karin Pollack, DER STANDARD, 29.10.2013)