Beide Teams traten in ihrer gewohnten Formation an. Das 4-1-4-1 der Austria war für die Überbevölkerung des offensiven Zentrums durch Atleticos 4-4-2 allerdings nicht wirklich gewappnet. Hätte Nenad Bjelica aus der Mittelfeld-Viererkette einen Spieler zurückgezogen, hätte aber einfach mehr Druck über die offensiven Außenverteidiger der Gäste gedroht. Der Unterschied war in jeder Hinsicht einfach zu groß.

Grafik: ballverliebt.eu

Das 1:0: Atletico zieht die Austria-Defensive mit fünf Leuten aus der Formation. Diego Costa zieht Kaja Rogulj aus dem Abwehrbund und macht ein Abwehrloch auf, das erst James Holland füllt. Im geschaffenen Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld bringt die Austria keinen Druck auf Koke und als Holland herausrückt um den Pass auf Turan zuzustellen, stößt Außenverteidiger Luis Felipe dankbar vertikal in das Abwehrloch.

Screenshot: Sky Sport Austria (bearbeitet)

Die Hoffnung, unterschätzt zu werden, erfüllte sich für die Austria gegen Atletico Madrid am Dienstag nicht. Die Madrilenen reisten mit dem nötigen Ernst zum Auswärtsspiel ins Happel-Stadion, demonstrierten solange es nötig war ihre Klasse und feierten einen sicheren 3:0-Erfolg in Wien.

Nenad Bjelica stellte mit James Holland nur einen defensiven Mittelfeldspieler vor die Abwehr. Zwar stand die Mannschaft allgemein sehr tief, aber das traditionelle 4-1-4-1 bot doch immer wieder Raum rund um den Sechser, den Atletico auch ohne zu zögern bevölkerte. Aus der sehr beweglichen 4-4-2-Formation heraus wirbelten in dieser Zone die Stürmer Diego Costa und Raul Garcia sowie die Außenspieler Ardan Turan und Koke. Bei Ballverlust stellten diese Personen auch das Austria-Zentrum schnell zu und pressten es notfalls an. Endgültige Überforderung der Defensive trat vor allem ein, wenn auch noch ein Außenverteidiger in die Mitte zog. Vor allem Filipe Luis war dabei recht auffällig und leitete mit einem solchen Run auch das 1:0 von Raul Garcia (siehe Bildunterschrift) ein.

Kein kontrollierter Aufbau der Austria

Hinter dieser ersten Angriffsreihe der Gäste bemühten diese sich gar nicht mehr um allzu viel Kompaktheit und ließen ein größeres Loch. Allerdings fehlte der Austria die Qualität, das auszunutzen und den Ball überhaupt in diese Zone zu bringen. Immer wieder waren Abschläge (die zumindest bis zur Einwechslung von Roman Kienast ohne passenden Abnehmer waren) das letzte Mittel, um den Ball nach vorne zu bringen. Folglich gelang kaum ein kontrollierter Aufbau.

Der Austria schien damit auch ein wenig der Schneid abgekauft, von hinten rauszuspielen. In manchen Situationen reichte es dann schon, wenn zwei Spieler der Gäste sich einigermaßen geschickt in der Gegnerhälfte platzierten, um einen Abschlag zu provozieren. Ein Symptom dessen: Als Marko Stankovic nach 14 Minuten verletzt ausgewechselt wurde, hatte der Austrianer gerade vier Pässe angebracht und kaum mehr erhalten. Den erzwungenen Wechsel vom spielstarken Stankovic auf den großen, brav raufenden Kienast hätte Nenad Bjelica vermutlich ohnehin früher oder später vornehmen müssen. Die Unterlegenheit im Zentrum wurde dadurch zwar nicht besser, aber zumindest beschäftigte dann jemand Atleticos Abwehr bei Abschlägen wirklich.

Ende nach 20 Minuten

Das Problem für die Austria war: Schon sechs Minuten später war der Sack zu. Aus einem zu widerstandslos ausgeführten Konter machte Costa das 2:0. Danach ließen die Madrilenen etwas nach. Vor allem Dilaver wurde etwas mehr Raum gegeben und die Austria konnte endlich andeuten, wie sie gegen Atletico eigentlich spielen wollte. Die Schwächen der Atletico-Spielweise ortete man vor allem in der Spielverlagerung. Nicht zu unrecht: Espanyol Barcelona hatte das am Wochenende zum überraschenden Erfolg verholfen.

Die Rojiblancos leiten ihre Gegner gerne auf die Seite, verschieben dann stark gegen diesen Spielaufbau, um ein Kurzpassspiel zu unterbinden, den Ball zu erobern und die Post abgehen zu lassen. Sie sind dadurch aber für schnelle, hohe Spielverlagerungen auf die andere Seite und dortige schnelle Vorstöße etwas anfällig. Die Analyse passte also, denn die Austria probierte diese Situationen zu erzeugen. Aber wenn der Qualitätsunterschied zu groß ist, lässt sich oft halt auch mit guter Einstellung nichts machen. 

Nach dem zweiten Treffer erübrigt sich eine Analyse weitgehend. Atletico stellte sich deutlich tiefer auf und ließ der Austria zumindest in ihrer Hälfte mehr Platz. Man begnügte sich damit, aus einer konzentrierten Abwehr ohne größeres Risiko vielleicht zu Kontern zu kommen. Oft sorgte Atletico in diesem Schongang nicht mehr für Unruhe im FAK-Strafraum. Aus dem anfänglichen Ballbesitz-Defizit konnten die güldnen Veilchen so über den Rest des Spiels einen Gleichstand erzielen, der allerdings nicht viel zählt.

Wenige Torszenen

Obwohl Tore schon so manches Spiel zum Kippen brachten, hatte man nicht das Gefühl, dass das an diesem Abend geschehen wäre, hätte Philipp Hosiner bei seinem Pflichtsitzer in der 37. Minute nicht an die Latte sondern ein paar Zentimeter tiefer geschossen oder wären Kienasts viertelberechtigte Elferreklamationen kurz darauf erhört worden. Zusammen mit einem guten 30-Meter-Schuss von Florian Mader (50.) und einer guten Parade von Thibaut Courtois nach Kienast-Schuss (55.) wäre der Chancenpool der Austria damit erschöpfend beschrieben. Dazwischen räumte Costa mit dem 3:0 sämtliche Zweifel über die Kräfteverhältnisse aus, die den optimistischeren Austria-Anhängern vielleicht noch geblieben waren (54.).

Die Veilchen kämpften brav und waren gut eingestellt. Keiner spielte schlecht - insbesondere Mader, Daniel Royer und Kienast sogar recht gut. Nur zwei Vorwürfe kann man dem österreichischen Meister wohl machen. Der von Hosiner ausgelassene Anschlusstreffer hätte Atleticos Konzentration zumindest auf die Probe gestellt. Und die Treffer wurden dem Gegner ein bisschen zu einfach gemacht. Kaja Roguljs und Hollands etwas naives Rausrücken beim ersten, der unbedrängte Konter von Costa beim zweiten und der viele Platz, den Costa beim dritten Tor hatte: Solche Fehler lässt ein Team wie Atletico nicht durchgehen.

Titelanwärter

Für die Austria heißt es wohl, alles Augenmerk auf das Heimspiel gegen Zenit zu legen und zu hoffen, dass die anderen beiden Teams den St. Petersburgern nicht noch einmal so einen Sieg servieren, wie es Porto am Dienstag tat. In Madrid wird in zwei Wochen jedenfalls nur etwas zu holen sein, wenn Atletico sich von der Leichtigkeit der ersten Übung zur kompletten Arroganz verleiten lässt. Die Rojiblancos sind das stärkste Team der Gruppe. Sie gehören nicht zur allerersten Garde, aber haben wohl auch erwähnenswerte Chancen, die Champions League zu gewinnen.

Gegen die Austria benötigte der aktuelle zweite der Primera Division, der manchmal auch "bestes Atletí aller Zeiten" genannt wird, jedenfalls nur 20 Minuten, um die Kräfteverhältnisse klarzustellen. Danach schonte sich Diego Simeones Truppe für die vielen englischen Wochen, die ihr bevorstehen. Zwei Mal verkaufte sich die Austria in der Champions League bisher besser, als man sich das erwarten durfte. Das 0:3 am Dienstag zeigte den Veilchen erstmals die tatsächlichen Grenzen auf, die es für Österreichs Meister im wohl besten Fußballbewerb der Welt nunmal gibt. (Tom Schaffer, derStandard.at, 23.10.2013)