Das Haus in der Grundsteingasse, nach seiner Adresse "GG68" genannt, wurde von den Graffiti-Künstlern Knarf, Bazuco, Shida und Momo verziert.

Foto: michael matzenberger/derstandard.at

Barbara Daxböck (Feschmarkt): "Unserer Szene tut es gut, mit schwierigen sozialen Situationen konfrontiert zu werden. Das hält einen am Boden."

Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Kamila S. (Bewohnerin): "Ohne Ula, Barbara und Margot wäre meine Familie sicher obdachlos oder verhungert."

Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Malika T. (Bewohnerin): "Kamila und ich klopfen täglich gegenseitig an unsere Türen und fragen, ob es schon eine Wohnung gibt."

Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Ula Schneider (Soho Ottakring): "Unsere Hilfe hat schon Grenzen, wir sind ja keine Behörde. Dafür ist es oft schneller und erfolgreicher, wenn wir beim Amt anrufen."

Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Zeichnungen der Kinder in den Büroräumen der Vereine.

Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Margot, Barbara und Kamila hieven drei Euro-Paletten ins Dachgeschoß. Mit ein paar Bierkisten soll daraus ein Bett für Kamilas Großmutter entstehen, die aus Polen anreist, um ihrer Familie während des Siedelns beizustehen. Sie müssen demnächst aus ihrer Wohnung ausziehen. Kamila, ihr Mann und ihre zwei Kinder schlafen auf einer breiten Matratze am Boden. Das möchte Kamila ihrer Großmutter in der mit zwei kleinen Radiatoren beheizten Zweizimmerwohnung nicht zumuten.

Seit April vergangenen Jahres lebt die Polin Kamila mit ihrer Familie in dieser Wohnung im Haus in der Grundsteingasse 68 im 16. Wiener Gemeindebezirk. Jedoch war von Anfang an klar, dass die Wohnung nur für einen befristeten Zeitraum zwischen ein und zwei Jahren genutzt werden kann.

Sie ist aber nicht die Einzige, die nun von der Generalsanierung des Hauses betroffen ist. Für das Dreimäderlkollektiv vom "Feschmarkt", den Urbanismusforschern von "Onorthodox - trackling urban issues" und dem Verein "Soho in Ottakring" endet der Zwischennutzungsvertrag für die Büro- und Veranstaltungsräume im Erdgeschoß des Gebäudes ebenfalls. Im Gegensatz zu einigen Familien wissen sie aber, wo sie ab November unterkommen.

Wohnung auf Zeit

Kamila hat in ihrer Wohnung weder WC und Dusche noch eine Waschmaschine. Die alten Fenster sind undicht. Zur Verfügung gestellt wurde sie ihr vom Verein Ute Bock. Dieser vergibt in der Regel keine Wohnungen an EU-Auslandsbürger. Im Fall von Kamila wurde aber eine Ausnahme gemacht. Die 34-Jährige ist dem Verein für die Unterkunft dankbar. "Ute Bock hat sehr viel für uns getan", sagt sie.

Dreimal hat Kamila in diesem Jahr ihre Kisten gepackt und zweimal erleichtert wieder ausgeräumt. Jedes Mal wurde ihr und den anderen acht im Haus lebenden Flüchtlingsfamilien vom Verein Ute Bock mitgeteilt, dass die Zwischennutzung des Hauses um ein paar Monate verlängert werde. Im August wurde den Bewohnern schließlich gesagt, dass sie Ende Oktober ihre Wohnungen verlassen müssen.

Nun sind alle über die bevorstehenden Auszüge traurig. Nach anfänglicher Skepsis hat sich zwischen Kulturschaffenden und Flüchtlingsfamilien eine enge Gemeinschaft gebildet. "Am Anfang haben wir gar nicht gewusst, dass Familien von Ute Bock in dem Haus untergebracht sind", sagt Margot von "Onorthodox".

Nachbarschaftliche Hilfe

Der Verein Ute Bock kümmere sich primär um die Unterkunft der Hilfsbedürftigen; wenn danach Probleme entstehen, könne Bock nicht mehr viel Betreuung bieten, dafür sei der Verein zu überfordert, vermutet Ula von "Soho Ottakring". "Hätten wir von vornherein gewusst, dass hier Flüchtlingsfamilien wohnen, hätten wir uns darauf einstellen können und schon viel früher unsere Hilfe angeboten."

Irgendwann ist es aber von selbst dazu gekommen: Selten verging dann ein Arbeitstag im Büro, an dem nicht einer der Bewohner vorbeikam, manchmal auch einfach nur zum Reden. "Es kam uns so vor, als ob wir die kommunikative und therapeutische Funktion der Imbissstube Hanni, die vorher in den Räumlichkeiten beheimatet war, übernommen haben", erinnern sich Margot, Ula und Barbara.

Um etwas Geld reinzubekommen, hat Kamila in den Vereinsräumlichkeiten einen Flohmarkt organisiert, auch Kindergeburtstage und Weihnachten wurden dort gemeinsam gefeiert. "Ohne Ula, Barbara und Margot wäre meine Familie sicher obdachlos oder verhungert", sagt Kamila. Trotzdem habe die Hilfe Grenzen. "Wir sind ja keine Behörde. Dafür ist es oft schneller und erfolgreicher, wenn wir beim Amt anrufen", sagt Ula. Zum Beispiel als ein Kind plötzlich nicht mehr wie üblich vom Schulbus abgeholt wurde. "Ich habe dann herumtelefoniert, und es hat sich herausgestellt, dass das Kind, nachdem es krank gewesen war, nicht mehr gesund gemeldet wurde", erzählt Margot.

Brennpunkt des Zusammenlebens

Das Zusammenleben im Haus lief aber nicht immer reibungslos ab: Zu Beginn habe es Probleme mit einer Familie gegeben, die sich gegenüber den anderen Bewohnern nicht rücksichtsvoll verhalten habe. Gemeinsam wurden die ausgearteten Streitereien aber bald beruhigt. Auch dass der Rettungswagen öfter vorgefahren ist, war für Margot, Ula und Barbara eine ungewohnte Situation. Denn viele der Flüchtlinge sind nicht krankenversichert und verschleppen daher Krankheiten, sagt Ula. "Natürlich ist das hier ein Brennpunkt, und man sieht auch negative Sachen", sagt Kamila.

Aber nicht nur mit den Kulturschaffenden, auch zwischen den Familien sind enge Freundschaften entstanden. Malika, die 44-jährige Tschetschenin und Nachbarin von Kamila, erzählt, dass sie sich bei der Wohnungssuche im Internet helfen. Täglich klopfen sie gegenseitig an die Tür und fragen nach, ob die andere schon eine Wohnung gefunden hat. Genau wie Kamila weiß auch Malika nicht, wo sie ab November mit ihrer fünfköpfigen Familie unterkommen soll.

Kamila würde am liebsten in der Gegend bleiben, da ihre siebenjährige Tochter Martyna im 16. Bezirk die erste Klasse einer Volksschule besucht. "Die Schule meiner Tochter ist für mich der einzige Fixpunkt hier in Wien", sagt Kamila. Die Kinder hätten täglich im großen Vereinslokal gespielt und einen Freundeskreis aufgebaut. Ständig das Umfeld wechseln zu müssen sei sowohl für sie als auch die Kinder eine enorme Belastung.

Modernes Konzept für Zusammenleben

"Wir haben unser Bestes gegeben und Ute Bock sicherlich auch", sagt Margot. Aus ihrer Sicht sollte bei Zwischennutzungsprojekten auch eine Organisation wie etwa die Gebietsbetreuung mehr Kompetenzen erhalten. Zum Beispiel indem sie die Koordination und Zusammensetzung solcher Häuser übernimmt. Profitieren würden davon alle: "Unserer Szene tut es gut, mit schwierigen sozialen Situationen konfrontiert zu werden. Das hält einen am Boden", sagt Barbara.

"Ein Patentlösung für eine solche Symbiose, wie sie hier entstanden ist, gibt es aber wahrscheinlich nicht", fürchtet Margot. Denn wichtig ist aus ihrer Sicht, dass die Unterstützung nicht durch Zwang, sondern immer auf freiwilliger Basis erfolgt, sodass die Motivation beibehalten bleibt. "Es soll auf keinen Fall eine Abhängigkeit entstehen", sagt Margot. Das Miteinander in der Grundsteingasse 68 sei für sie aber ein Konzept, wie modernes Zusammenleben in Zukunft stattfinden kann. (Elisabeth Mittendorfer, Maria von Usslar, derStandard.at, 29.10.2013)