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Occupy wollte keine Diskussion über einen anderen Kapitalismus, sondern einfach gar keinen Kapitalismus, sagt Wolf Lotter: "Das waren selten ahnungslose Proteste."

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Bilder einer Ausstellung: Geschenkartikel aus einem Verlag zum Thema "Schwarzarbeit"

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Ob diese Art von Geschenk Lotters Sympathie hat? Keine Ahnung - nicht gefragt.

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Das Buch "Zivilkapitalismus" ist im Pantheon-Verlag erschienen.

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Der Autor und Brandeins-Mitbegründer Wolf Lotter findet in seinem neuen Buch "Zivilkapitalismus, wir können auch anders", dass jetzt die Zeit für den mündigen Bürgerverbraucher und den Zivilkapitalismus gekommen ist. Im Interview erklärt der gebürtige Österreicher, warum Occupy zum Scheitern verurteilt war, Apple mehr Religion als Marke ist, er ausgerechnet Schwarzarbeiter als Vorbild empfiehlt und liefert eine Handlungsanleitung für den besseren Kapitalismus - weil keiner sei keine Lösung ist Lotter überzeugt.

derStandard.at: Sie empfehlen uns mehr Kapitalismus gegen die Auswüchse desselben. Wie darf man sich das denn vorstellen?

Wolf Lotter: Wer einen besseren Kapitalismus will, darf nicht jammern, sondern muss gestalten. Nur haben unsere gesellschaftlichen Eliten schlicht und ergreifend zu wenig ökonomische Bildung, um in diesem System ökonomisch zu intervenieren – also  um die Auswüchse des Finanzsystems, der großen Unternehmen, der internationalen Warenflüsse, überhaupt der Prozesse, die mit Ökonomie zu tun haben, zu verändern und besser zu machen.

derStandard.at: Das kann ich im Endeffekt über Umwege als Wähler oder etwas direkter als Konsument…

Lotter: Das kann man auch als jemand, der in der Lage ist, selbst ein Unternehmen zu gründen und als Bürger seine eigene Ökonomie in den Griff zu kriegen. Wir stellen uns immer vor, dass wir alles, was wir uns wünschen, an eine Wirtschaft, an die Politik oder an eine Organisation delegieren können. Das funktioniert aber nicht.

derStandard.at: Da fallen mir gleich die Heerscharen der Einpersonenunternehmen ein, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel zu haben. Wie soll man das ernsthaft jemandem schmackhaft machen?

Lotter: Ein sehr schönes Beispiel. Die meisten kreativen Unternehmen, die meisten EPUs haben eine fachliche Ausbildung. Sie sind zum Beispiel Designer, Texter oder PR-Berater. Ökonomische Grundbildung fehlt meistens.  Sie wären gerne Unternehmer – einige auch, weil ihnen sehr oft nichts anderes übrig bleibt – aber sie haben nicht das Handwerkszeug. Und in unserer Kultur gelten Selbständige auch noch als die, die es nicht zum Angestellten geschafft haben, als billiger Dienstnehmerersatz. Das kann doch nicht so bleiben, zumal die Zahl der Selbständigen wächst. 

derStandard.at: Und woher nehmen wir den ökonomisch gebildeten Jungunternehmer?

Lotter: Vom Himmel fällt er nicht. Ich empfehle Selbstausbildung, praktischen Wirtschaftsunterricht in den Schulen, mehr Hinwendung zur Selbstständigkeit und nicht auf Wunder warten. Seit der Aufklärung haben immer wieder versucht, viele Versprechen der Emanzipation zu lösen oder diskutieren sie zumindest. Bei der Wirtschaft ist es schlicht und ergreifend so, dass die Leute sich sagen, dass ist mir zu mühsam. Das sollen andere erledigen - und wenn etwas schiefgeht, dann sind auch die anderen schuld. Damit bleibt man hilflos und abhängig. Soll das etwa der Bürger der Zivilgesellschaft sein, einer, der immer am finanziellen Tropf von irgendjemand hängt?

derStandard.at: Damit wären wir beim dritten Wegen, den Sie ausfindig gemacht haben zwischen Kapitalismus und Antikapitalismus: Den Zivilkapitalismus. Würde das nicht Unterstützung im Bildungssystem erfordern? In Österreich gibt es sehr viele beharrende Kräfte gegen eine Änderung desselben – auch auf Seiten der Konservativen, die sich unter anderem auch aus Unternehmerkreisen rekrutieren.

Lotter: Es gibt mittlerweile in allen Parteien in Europa Leute, die sich mit Unternehmensentwicklung beschäftigen. Aber sie beschäftigen sich immer mit dem klassischen industriekapitalistischen Unternehmen. Ich kenne das aus der Nähe sehr gut: Niemand interessiert sich hier für die wirtschaftlichen Emanzipation des Bürgers. Und deshalb versagt unser Bildungssystem kläglich dabei, selbständige und handlungsfähige Bürger zu erziehen. Das ist politisch gewollt. Dass im Bildungsangebot ausgerechnet ein Fach fehlt, wo ich lerne ein Unternehmen zu gründen, finanziell und wirtschaftlich selbstständig zu werden, das ist ja eigentlich absurd.

derStandard.at: Schön und gut. Aber es hilft auch nichts, wenn Herr Lotter und ich es gut fänden, wenn es so etwas gäbe.

Lotter:  Wenn Sie auf die Politik warten, dann können sie lange warten. Weder die ÖVP noch die SPÖ noch sonst irgendeine Kraft haben ein Interesse, es mit selbstständigen Bürgern zu tun haben zu wollen. In einer Zivilgesellschaft müssen die Leute sich selbst aktivieren und auch ihre Rechte einfordern. Der Bürger ist kein hilfloser Idiot. Das Grundprinzip ist die Frage: Bin ich ein emanzipierter Bürger oder einer, der sagt, es geht eh nix.

derStandard.at: Sehen Sie das Prinzip einer Zivilökonomie schon irgendwo verwirklicht? Wie gefallen Ihnen zum Beispiel die zahlreichen Initiativen, bei vor allem jungen Menschen, die sich von vielen scheinbaren Gesetzmäßigkeiten verabschieden? Die etwa Dinge Teilen statt haben, Lebensmittel am Handel vorbei selbstständig organisieren?

Lotter: Das geht sehr in die Richtung, die ich mir vorstelle. Es gibt eine ganz klare Entwicklung zur zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation. Wir diskutieren heute über eine Share-Economy, auch wenn es da sehr unterschiedliche Definitionen gibt, was das ist. Tatsächlich bedeutet es, dass ich mir die Teile der Ökonomie, die mir vorher vorenthalten waren, durch Selbstorganisation erschließen kann.

Ich kenne sehr viele junge Leute, die Genossenschaften gründen, als Unternehmensmodell hochinteressant. Die in Arbeitsgemeinschaften arbeiten, weil sie sagen, wir brauchen nicht nur diese hilflose Variante der Einzelunternehmen, sondern wir bündeln unsere Talente. Das sehe ich sehr stark dort, wo die Politik ihre Versprechen nicht mehr halten kann.

derStandard.at: Gerade der moderne junge Mensch, der sich ja durchaus als sehr kritisch empfindet, agiert gleichzeitig auch sehr zwiespältig. Stichwort iPhone und Co. Da wird gewartet auf das neueste Modell, wie auf den Messias – aller Kritik zum Trotz. Wie geht das zusammen?

Lotter: Die Welt ist halt widersprüchlich, weil der Mensch das ist. Die Leute glauben, wenn sie bestimmten Moden oder Marken folgen, gehören sie zu den Guten. Gerade bei Apple kann man das sehr gut sehen. Das ist quasi eine Religion und keine Marke mehr. Aber wer sind wir, dass wir das den Menschen vorwerfen? Wenn so viele Hunderte Millionen Menschen unbedingt ein iPhone haben möchten, dann hab ich nichts dagegen.

Ich bin gar nicht für Maßhalten, aber ich bin für Nachdenken darüber, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen und welche Prozesse wir auslösen und das geht nur mit ökonomischem Grundverständnis. Wer Ethik in die Märkte bringen will, wer Nachhaltigkeit will, der muss zuerst einmal wissen, wie Wirtschaft funktioniert. Erst dann können wir Entscheidungen treffen, die wirklich was bringen. Die heute übliche billige Moralisierung der Märkte ist einfach nur eine Ausrede, der leichteste Weg. Wir müssen die Dinge radikal ändern, damit sie besser werden.

derStandard.at: Sie erkennen noch andere zarten Vorboten dessen, dass die Menschen anfangen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Verwirklicht sehen Sie das bei den Schwarzarbeitern. Das meinen Sie nur im Scherz oder, dass ich mir das zum Vorbild nehmen soll?

Lotter: Doch, sicher. Sie werfen dem Staat nicht einfach widerstandslos Steuern in den Rachen. Das ist ziviler Ungehorsam. Der kleine Mann hinterzieht als Schwarzarbeiter pro Jahr in Deutschland um die 300 Milliarden Euro. Gleichzeitig regen sich alle über Uli Hoeness auf. Das ist natürlich populistische Heuchelei. Wer schwarz arbeitet, glaubt, dass er im Recht ist, dass ihm das zusteht und dass das gut für ihn ist. Er sieht halt nicht, dass das auch schlechte Schulen für ihre Kinder, schlechte Straßen, schlechte Krankenhäuser und vieles mehr bedeutet.

derStandard.at: Kehren wir zurück zu ihrem eigentlichen Thema: Dem Kapitalismus die Ursache für alle Fehler zuzuschreiben, dagegen haben sie allerhand einzuwenden. Sie vermissen einen wirklichen Streit zum Thema. Hat nicht Occupy gerade das versucht und ist damit kläglich gescheitert?

Lotter: Occupy wollte keine Diskussion über einen anderen Kapitalismus, sondern einfach gar keinen Kapitalismus. Das waren selten ahnungslose Proteste, die wir da gesehen haben. In Frankfurt am Main hat man vor der EZB demonstriert statt vor einer Universalbank. Also man hat gegen eine politisch kontrollierte Organisation demonstriert, gegen die Politik, nicht den Kapitalismus. Aber aus Versehen.

Es gibt sicher überall, auch bei Occupy, interessante Leute, mit denen man fachlich gut streiten kann. Aber die Mehrheit ist halt so wie 68 – Demonstrationstourismus. Antikapitalismus, der nichts von Kapitalismus versteht, wird immer lächerlich und wirkungslos bleiben. Das gilt fürs Feuilleton genauso wie für die Straße.

derStandard.at: In Ihren Augen gilt ja für den Kapitalismus quasi die Unschuldsvermutung ...

Lotter: Nein. So ist das nicht. Es gibt eine ganze Menge von Vorhaltungen dem Kapitalismus gegenüber. Es kann schon sein, dass eine ganze Reihe davon sogar richtig ist. Aber man muss sich fragen ob alle menschlichen Unzulänglichkeiten wie Gier, Neid, Raub, Betrug, Erpressung, Gewalt dem Kapitalismus geschuldet sind. Was die Krise betrifft, so ist die Idee, das es eine Verschwörung von Banken gegeben hat, die sich bereichert haben, hübsch. Aber sie ist auch grundnaiv. Die Banken haben geliefert, die Politiker und auch die Leute haben gerne genommen und nicht darauf geschaut, dass sie doppelt über den Tisch gezogen werden. Nämlich in dem Sinn, als sie im Nachhinein für die Schäden aufkommen, vorher wahrscheinlich noch einen teuren Kredit bezahlt oder einen Ramschkredit gezogen haben. 

Es ist ein bisschen zu einfach zu behaupten, es gäbe ein System, dem man alles in die Schuhe schieben kann. Immerhin hat dieses System dafür gesorgt, dass Sie in einem Wohlstand leben, auf dessen Grundlage Sie ganz andere Entscheidungen treffen können, als wenn Sie im täglichen Existenzkampf  leben. So schlecht ist das nicht. (Regina Bruckner, derStandard.at, 21.10.2013)