Das "Bread and Puppet Theater" in Vermont tanzt Protesttänze in der Papiermaché-Kathedrale, stelzt für mehr Gerechtigkeit und schickt riesige Papierpuppen zu Demonstrationen. Zahlreiche Studierende machen bei dem politischen Zirkus mit.

Foto: STANDARD/Grillmayr

Der schottrige Pfad, der Wald und die Wiesen rund um die Papiermaché-Kathedrale werden von unheimlichen Gestalten bewohnt. Runde, verknautschte und riesenhafte Gesichter; elegant gehörnte Zeitgenossen; grüne, blaue, pinke Aufmachungen.

Sie führen ihre Gäste über den kühlen Lehmboden der riesigen Scheune, wo sich diese umzingelt von hunderten kartonfarbenen Papierfiguren wiederfinden, die die Holzwände der selbst ernannten Kathedrale säumen.

Peter Schumann hat zu Spiel und Tanz geladen. Wir sind auf seinem Anwesen nahe dem kleinen Ort Glover im US-amerikanischen Vermont. Neben dem Gebetshaus für Papiermaché-Gläubige und seinem Haus gehören eine Farm, weite Wiesen, Pinien- und Ahornwälder dazu.

Hier lebt und arbeitet die Kompanie des "Bread and Puppet Theater". Will man es in eine Schublade einordnen, trifft "politisches Objekttheater" zu. Wahrscheinlich würden auch die Worte "Anarcho-Zirkus" und "Hippies" fallen.

Als ich vor zwei Jahren Freunden erzählte, ich würde den Sommer über mit Bread and Puppet arbeiten, waren viele begeistert, andere fragten besorgt, ob es sich denn sicher nicht um eine obskure Kommune, gar Sekte handle.

Bread and Puppet feiert heuer sein 50-jähriges Bestehen. Dennoch ist das Theater bisher nur in einschlägigen Kreisen und kaum außerhalb Nordamerikas bekannt.

Schumann, der noch immer auf Vier-Meter-Stelzen vor dem bunt bemalten Tourbus tanzt, ist inzwischen 79 Jahre alt. Deutscher Herkunft, ging er als junger Bildhauer nach Amerika.

In Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg nahm seine Kunst ihr heutiges Gesicht an: Mit Papiermaché-Puppen marschierte er auf Friedensdemonstrationen auf. 1963 gründete er dann in New York das Bread and Puppet Theater, mit dem er etwa zehn Jahre später nach Vermont übersiedelte.

Zu seinen Einflüssen zählen die expressionistische Künstlergruppe "Die Brücke" und Bertolt Brecht. Noch heute ist Bread and Puppet hochgradig politisch. Sowohl die detailreichen Stücke der Theaterkompanie als auch der jährliche Sommerzirkus und die Auftritte bei den lokalen Umzügen kommentieren innenpolitische und internationale Aktualitäten. Es wird gegen Schiefergas-Fracking gesungen, für Homosexuellengleichstellung durch die Straßen gestelzt und mit riesigen Papierpuppen der Nahostkonflikt thematisiert - viele menschliche und papierene Performer inmitten bunter Kartonlandschaften auf improvisierten Bühnen.

Auf freiem Feld tobt sich Schumann besonders aus: Die Riesen-Marionette "Upriser" wird an einem Baumstamm hochgezogen. Und "Mutter Erde" fegt über die Wiesen: Meterlange Stoffarme mit enormen Papiermaché-Händen umarmen Zuschauer; mittendrin ein riesiges gütiges Gesicht.

Die meisten Bread-and-Puppeteers verstehen sich als Anarchisten. Und dieser Anarchismus ist durchaus lebbar. Schumann nimmt keine Subventionen, denn damit seien Abhängigkeiten zum Staat verbunden - "They say no strings attached, but there are always strings attached." Er zahlt aber Steuern - schließlich benutze er die Straßen.

Dabei müsste er keine zahlen, weil das Theater auch Bildungsstätte ist. Jeden Sommer kommen circa 40 "Apprentices" für einige Wochen. Sie erarbeiten und spielen den Wochenendzirkus und tragen die Puppen auf die sommerlichen Paraden. Die meisten sind Studenten; viele studieren Schauspiel, Theater oder Musik.

Brotlose Brotkunst

Sie zahlen einen Unkostenbeitrag und leben ein schönes, arbeitsames Hippie-Leben. Abwechselnd wird gekocht und werden Schweine und Enten gefüttert. Weniger beliebt ist das Ausräumen der Trockenklos. Gelebt wird autark und praktisch ohne Müll. Obst und Gemüse kommen aus dem Garten oder vom Nachbarsbauern.

Ein bisschen Geld kommt auch in den comichaft riesigen Hut, der nach den Shows durch das Publikum geht. Denn: "The last nation we believe in ... is donation!"

Dafür wird aber auch einiges geboten. Schumann bäckt für alle dunkles Sauerteigbrot. Es ist integraler Bestandteil seiner Kunst und namensgebend für das Theater. Bestrichen wird es mit Aioli - Petersilie, Öl, viel Knoblauch. Auch das ist ein Statement: "Damit die Leute besser riechen", sagt Schumann, "nach all der stinkenden Politik, die täglich um sie herum gemacht wird".

Schumanns Papierskulpturen füllen inzwischen renommierte Museen. Als Künstler wird er aber wenig wahrgenommen. Wird er zum Rednerpult gebeten, bringen die Gastgeber manchmal nicht mehr als ein paar dadaistische "Bibipapa"-Laute aus ihm heraus.

Diese Verweigerung hat mit dem "Cheap Art"-Prinzip zu tun: gegen elitäre Hochkultur und für leistbare Kunst. Schließlich sei diese lebenswichtig - und daher nicht vom Brot zu trennen.

Man kann über Bread and Puppet schmunzeln. Es nimmt sich selbst nicht allzu ernst, die politische Veränderung, für die es eintritt, dafür umso mehr. In Glover findet sich ein einmaliges, politisches Lebens- und Gesamtkunstwerk, dessen Anspruch ein absolut ernst zu nehmender ist. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 14.10.2013)