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Was tun, wenn die Mutter sagt: "Ich will nicht ins Heim"?

Foto: apa

Wir werden erfreulicherweise immer älter. 1961 wurden Männer in Österreich durchschnittlich 66,5 Jahre alt, 2012 immerhin 78,1 Jahre. Bei Frauen stieg die durchschnittliche Lebenserwartung in diesem Zeitraum von 78,1 auf 83,3 Jahre. Das bedeutet aber nicht, dass viele das hohe Alter gesund erleben: Chronische Krankheiten, Bewegungseinschränkungen und nicht selten Demenz kennzeichnen den letzten Lebensabschnitt. Das erleben derzeit nicht nur viele Alte, sondern auch ihre Kinder.

Und das kann das Leben von beiden - Kindern wie Eltern - vor ganz schöne Herausforderungen stellen. Das kann emotional wie finanziell sehr belastend sein. Wie damit umgehen? Was tun, wenn die 90-jährige Mama alleine nicht mehr zurechtkommt, aber sagt: "Ich will nicht in ein Heim"? Die Kinder sind ja meist berufstätig (ganz abgesehen davon, dass Heime ziemlich viel kosten können). Es gibt die Heimhilfe und die 24-Stunden-Pflege, aber auch das erfordert eine ziemliche psychologische Umstellung - Tag und Nacht ist jetzt ein (zumindest anfangs) fremder Mensch in der Wohnung, für viele ist das eine ungewohnte Situation.

Verdrängen und Hinausschieben

Kinder und Eltern können die neuen Lebensnotwendigkeiten verdrängen und die Konsequenzen hinausschieben. Man kann dem alleine lebenden Elternteil ein Alarmarmband mit Verbindung zu einer Rettungszentrale kaufen; man kann sich eine Zeitlang irgendwie behelfen. Aber wenn die nächtlichen Besuche im Unfallkrankenhaus nach Stürzen häufiger werden; wenn die Unfallabteilung die Mutter mit drei gebrochenen Rippen schon nach einem Tag wieder aus dem Krankenhaus draußen haben will, weil die Spitäler sparen müssen und die alten Leute ohnehin schon in Gangbetten liegen; wenn es auch bei völliger geistiger Gesundheit und starkem Autonomiewunsch der betroffenen Person einfach nicht mehr geht: Dann muss man praktische Lösungen suchen.

Davon gibt es eine ganze Palette: Pflege durch Verwandte; zeitweise Unterstützung durch eine Heimhilfe; Übersiedlung in ein Senioren- oder Pflegeheim; 24-Stunden-Pflege durch (meist ausländische) Pflegerinnen oder Pfleger. Das alles wird durch den Sozialstaat Österreich subventioniert, und zwar recht ansehnlich. Aber es bleibt noch einiges über, es hat alles seine Vor- und Nachteile - und so begibt man sich auf die Suche nach der besten Lösung.

440.000 beziehen Pflegegeld

Die Dimension des Themas im alternden Land Österreich ist gewaltig: Rund 440.000 Menschen beziehen Pflegegeld (die Zahl blieb über die letzten Jahre stabil). Das ist eine öffentliche Geldleistung, mit der die betroffene Person professionelle Heimhilfe oder auch geeignete Verwandte für die Betreuung zahlen kann. Es gibt sieben Pflegestufen, für die erste bekommt man derzeit 154 Euro monatlich, für die siebente 1.655 Euro. Das Pflegegeld wird unabhängig vom Einkommen (der Pension) gewährt.

Im Jahr 2012 brachte der Bund dafür 2,4 Milliarden Euro auf. Weitere 235 Millionen (ansteigend bis 2016: 350 Millionen) werden an die Bundesländer ausbezahlt, denn auch die subventionieren Pflege und bekommen so eine Subvention der Subvention.

Was sich der Staat leistet

Der Staat leistet also einiges. Es gibt sogar noch mehr Zuschüsse: Wenn man eine 24-Stunden-Pflege braucht, kann man zusätzlich zum Pflegegeld eine Förderung beantragen. Voraussetzung sind Pflegestufe 3 und ein Einkommen unter 2.500 Euro (das Pflegegeld gilt nicht als Einkommen). Der Höchstsatz der Förderung beträgt bei selbstständigen Betreuerinnen oder Betreuern 550 Euro pro Monat (bei zwei einander abwechselnden Personen), bei unselbstständigen 1.100 pro Monat (ebenfalls bei zwei).

Das kostet den Staat derzeit 54 Millionen plus fünf Millionen für die Länder und betrifft 17.000 Fälle. Das bedeutet, dass rund 40.000 meist selbstständige Pflegerinnen (die Mehrheit kommt aus der Slowakei oder aus Rumänien) hier arbeiten. Ohne die wäre die 24-Stunden-Pflege unmöglich. Der ÖGB hatte die gute Idee, sie zur Anstellung zu zwingen, was die Kosten verdoppeln würde. Sozialminister Rudolf Hundstorfer lehnte vernünftigerweise ab.

Die Praxis läuft meist gut

Es gibt dutzende Vereine und Gesellschaften, die diese Pfleger und Pflegerinnen vermitteln. Nicht alle sind komplett seriös (der Konsumentenschutzverein hat einige getestet), aber meist läuft die Praxis recht gut. Die Frauen verdienen viel mehr als zu Hause - die Honorare bewegen sich je nach Pflegestufe zwischen 1.700 und 2.500 Euro -, sie können meist gebrochen bis sehr gut Deutsch, wissen mit Medikation umzugehen und sind meist gut ausgebildet. Welche Agentur und welche Personen für den Vater oder die Mutter und ihre spezifische Situation am besten passen, muss man per Mundfunk oder durch Versuch und Irrtum herausfinden.

Genug Platz in der Wohnung?

Das erste Problem in diesem Zusammenhang ist, den vielleicht störrischen Elternteil dazu zu bringen, jemand permanent in die Wohnung zu lassen. Problem Nummer zwei ist - vor allem in Wien - die Wohnung selbst. Ist sie groß genug, dass die Betreuer oder Betreuerinnen ihr unbedingt erforderliches eigenes Zimmer haben?

Sind beide Probleme unlösbar, steht die Frage des Heims zur Entscheidung an. Der Vorteil: Vater oder Mutter haben dadurch eine "Ansprache" mit Gleichaltrigen. Der Nachteil: In manchen Heimen herrscht eine nicht gerade angenehme Atmosphäre. Sehr gut zu überlegen: Heimplätze sind (wegen der Bau- und Verwaltungskosten) relativ teuer. Die Heime sind subventioniert, aber die öffentliche Hand holt sich das über einen Großteil der Pension und des Pflegegeldes der betreuten Person zurück. Und: Die betreute Person muss ihr Vermögen angeben. Dieses wird bis auf einen Rest von 4.000 Euro zur Deckung der Kosten herangezogen (meist beim Ableben). Den Kindern vorher alles zu überschreiben hilft nur, wenn das schon vor Jahren passiert ist.

Streitfall Pflegeregress

Damit sind wir wieder bei der Frage der Finanzierung. Das Sozialministerium sagt: Vorläufig ist die Pflege ausfinanziert. In der Steiermark gibt es hingegen als einzigem Bundesland den sogenannten Pflegeregress. Die Kinder müssen verpflichtend die Kosten der Pflege (bis zehn Prozent des Einkommens) ersetzen. Manche halten das für gerecht. Abgesehen davon, dass die Kinder ohnehin in praktisch jedem Fall irgendeine Leistung erbringen: Wäre es nicht besser, wenn man schon eine zusätzliche Finanzierung braucht, die individuell sehr unterschiedliche Belastung auf eine gesetzliche  Versicherung oder eine Steuer zu verteilen? Das WIFO spricht sich in einer Studie für eine Steuer aus.

Man sieht, emotional und finanziell-praktisch gibt es beim Thema Pflege einen Haufen Bedenkenswertes. Verglichen mit früheren Zeiten sind das freilich Luxusprobleme. Aber wer je in einem überfüllten Krankenhaus, einem trostlosen Heim gestanden ist oder gar selbst Mutter und Vater zu pflegen versucht hat, der weiß, dass man sich besser rechtzeitig informieren und kümmern sollte. (Hans Rauscher, derStandard.at, 10.10.2013)