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Mitglieder von Chrysi Avgi auf dem Weg zu einem Gerichtstermin.

Foto: EPA/STR

Oberführer Nikolaos Michaloliakos und seine Getreuen sind die zweite Woche in Folge im Gefängnis in Athen, und die Staatsanwaltschaft bittet nun die Finanzpolizei um Amtshilfe, auf dass die Geldflüsse unter den Männern der Goldenen Morgenröte/Chrysi Avgi klarer würden (nicht nur der Männer: Bei Themis Skordelis, selbsternannte Vorkämpferin der verarmten Griechen und Aufwieglerin im Athener Stadtteil Agios Pantaleimonas gegen alle Immigranten, soll die Polizei ein Sparbuch mit modesten 145.000 Euro gefunden haben). Das nährt in Griechenland aber Zweifel, ob die Anklage gegen die Funktionäre der Nazi-Partei wegen Bildung einer kriminellen Organisation juristisch tatsächlich so wasserdicht sind, wie Regierung und Staatsanwaltschaft glauben machen wollen.

Dass der Untersuchungsrichter vergangene Woche drei Führungsfiguren von Chrysi Avgi wieder auf freien Fuß setzte, darunter Parteisprecher Ilias Kasidiaris, hat viele Beobachter verwundert. Die Anklage der Justiz sei zu weit gefasst und stehe auf wackligen Füssen, sagte die Anwältin Anni Paparousou in einem Interview, das Yiannis Baboulis, einer der namhaften investigativ arbeitenden Journalisten im Land, führte. Besser wäre gewesen, die Justiz hätte Klagen gegen einzelne Mitglieder von Chrysi Avgi aufgrund konkreter Tatbestände angestrengt; Paparousou vertrat Mitglieder der links-anarchisten "Feuerzellen" vor Gericht.

Einfaches Parteienverbot nicht vorgesehen

Kein Abgeordneter könne ohne Aufhebung seiner Immunität durch das Parlament strafrechtlich verfolgt werden, erklärt ein anderer Anwalt in Athen, der allerdings kein Staatsrechtler ist und deshalb nicht namentlich zitiert werden möchte. Das Immunitätsprinzip gelte aber nicht unumschränkt. Artikel 62 der griechischen Verfassung garantiert den Schutz eines Abgeordneten vor Verhaftung und strafrechtlicher Verfolgung, legt aber im letzten Satz fest, dass eine Aufhebung der Immunität durch die Parlamentsmehrheit nicht erforderlich ist, wenn der Abgeordnete in flagranti bei Begehung einer Straftat gestellt wird.

Nun ist die Rechtsauffassung hinsichtlich einer kriminellen Organisation - der Vorwurf, der den Funktionären von Chrysi Avgi gemacht wird - so, dass Mitglieder einer solchen Organisation fortgesetzt "in flagranti" Straftaten begehen. Artikel 187 des griechischen Strafrechts fasst die relevanten Straftaten zusammen (Mord, Raub, Meineid, Brandlegung, Dokumentenfälschung...) und legt eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft für Gründer und Mitglieder einer kriminellen Organisation fest. Das ist die Grundlage, auf der die Justiz vom 28. September an mit der Verhaftung von Abgeordneten der Goldenen Morgenröte begann. Ein einfaches Parteienverbot ist in der griechischen Verfassung, die 1975 nach den sieben Jahren der Militärherrschaft erlassen wurde, nicht vorgesehen.

Gegen mehr als 30 Parteimitglieder wird derzeit ermittelt, darunter sechs der 18 Parlamentarier. Einzelne Abgeordnete der Nazi-Partei hatten seit der Parlamentswahl vom Juni 2012 immer wieder ihre Immunität verloren. Zweimal bisher im Fall von Parteisprecher Ilias Kasidarias, dem die Beteiligung an einem Raubüberfall an einem Studenten im Jahr 2007 angelastet wurde - Kasidiaris war im vergangenen März mangels Beweisen freigesprochen worden - sowie der tätliche Angriff auf zwei Politikerinnen während einer Diskussionsrunde im Fernsehen; drei Abgeordnete der regierenden Konservativen von Nea Dimokratia stimmten im vergangenen März übrigens gegen die Aufhebung der Immunität von Kasidiaris - zwei von ihnen angeblich aus Versehen; der dritte erklärte, er wollte dem Nazi-Politiker die Gelegenheit geben, sich zu entschuldigen. Regierungschef Antonis Samaras, so heißt es jetzt, wollte vor seiner USA-Reise Anfang Oktober und vor Griechenlands EU-Präsidentschaft ab Jänner 2014 mit einem Mal Entschlossenheit gegenüber Chrysi Avgi demonstrieren.

Zwei neue Umfragen diese Woche zeigen allerdings, dass Verhaftungen und Anklagen der Justiz den Faschisten nicht sonderlich geschadet haben: Mit 7,8 und 6,9 Prozent sind sie weiter die - relativ gesehen - drittstärkste Kraft in Griechenland, vor den Sozialisten und hinter Nea Dimokratia und dem Linksbündnis Syriza. 6,97 Prozent oder 426.000 Stimmen hatte Chrysi Avgi bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 erhalten. (Markus Bernath, derStandard.at, 9.10.2013)