Lamm, wie es der Färinger richtig gern hat: Über Monate an der Luft getrocknet und fermentiert, wird „Skerpikjøt" zur überaus fordernden Delikatesse.

Foto: Georges Desrues

Kein Baum in Sicht, dafür extrem fischreiche Gewässer: die Färöer-Inseln im Nordatlantik.

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Dramatische Licht- und Schattenspiele prägen die karge, vom Wetter gebeutelte Landschaft der Inseln.

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Handtellergroße Miesmuscheln aus Färinger Gewässern werden unter anderem an das angeblich beste Restaurant der Welt, "El Celler de Can Roca" in Katalonien, geliefert.

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Eingesalzener Walblubber.

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Wale sind seit jeher ein wichtiger Teil der Nahrung.

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Wie auch der Folklore des Inselvolks.

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Der Spitzenkoch Leif Sørensen, Restaurant Koks.

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Wie schön, dass Sie uns besuchen kommen." Als Österreicher ist man ein gerngesehener Gast auf den Färöer-Inseln. Allerorts nur herzlicher Empfang, freundliches Lächeln und gefälliges Schulterklopfen - und dann ein paar Worte Fußball. "Man darf die Bedeutung des Sports für unser Land nicht unterschätzen", sagt Magni Arge, "ohne Fußball wüsste wohl kaum jemand in Europa, dass es uns überhaupt gibt." 

Niederlage für die Österreicher

Als Direktor der nationalen Luftlinie Atlantic Airways und als ehemaliger Sportreporter sollte Arge wissen, wovon er spricht. Immerhin war er es, der am 12. September 1990 die Ehre hatte, für den örtlichen Rundfunk das auf den Färöern wie in Österreich gleichermaßen unvergessene Fußballspiel zu kommentieren - das erste Wettbewerbsspiel überhaupt, zu dem die Amateurnationalmannschaft des Inselstaates je angetreten ist. Und das bekanntlich in einer mehr als blamablen Niederlage für die Österreicher endete.

Außer Menschen, die gerne über Fußball reden, begegnen dem Besucher auf den Färöern auch zahlreiche Schafe, die hier so gut wie überall grasen und eine bedeutende Rolle spielen im Leben der Bewohner dieses wohl isoliertesten Flecken Europas. Über Jahrhunderte bildeten sie die mit Abstand wichtigste Nahrungsquelle der Färöer; die Fische aus den klaren und fischreichen Gewässern gingen und gehen zum überwiegenden Teil in den Export. Außer Gräsern, Moosen und Flechten wächst kaum etwas auf den Inseln. Felder sind so gut wie keine zu sehen, lediglich Kartoffeln und Steckrüben werden angebaut.

Wappentier Schaf

Kein einziger Baum steht in der dramatisch schönen und eindrucksvoll kargen Landschaft. Geheizt wurde in früheren Zeiten mit Walfischtran, gebaut vorrangig mit Stein, Holz für die charakteristisch bunten Häuser musste damals wie heute importiert werden. Das Schaf sicherte das Überleben, ziert das nationale Wappen und prangt zudem als Logo auf den Bierflaschen der örtlichen Brauerei.

Eva úr Dímun ist Schafzüchterin. Ihre Farm liegt auf einer Insel namens Stóra Dímun, auf der außer ihr selbst, ihrem Mann und den beiden Kindern nur noch ihr jüngerer Bruder Janus und seine Familie leben. Zu erreichen ist die Insel allein über die raue See und einen Landungssteg, von dem sich ein mühsamer Fußweg die steilen Klippen hinaufwindet. Oder aber per Helikopter. An dessen Landeplatz holt Eva die Besucher ab und führt sie zu ihrem Hof, vorbei an grasenden Schafen, an ein paar Rindern und dem eigenen kleinen Schulgebäude für die nur drei Kinder, die hier leben. "Der Lehrer kommt montags per Hubschrauber und fliegt freitags wieder zurück in die Hauptstadt Thorshaven", erklärt die 35-Jährige. Angeschlossen an das Hauptgebäude steht der sogenannte Hjallur, ein luftdurchlässiger Holzschuppen, wie ihn zahlreiche Färöer (auch: Färinger) Haushalte besitzen. 

Wir nennen es "skerpikjøt"

"Geschlachtet werden die ausgewachsenen Schafe im Herbst, danach ihre Teile zum Trocknen und Reifen im Hjallur aufgehängt", sagt Eva und öffnet die Türe zu dem Schuppen. Drinnen herrscht ein strenger Geruch, der an irgendetwas erinnert zwischen überreifem Käse und einem Haufen Socken in einer Amateurfußballer-Umkleidekabine. "Wir nennen es ,skerpikjøt'", lacht Eva und greift zu einer Hammelkeule, die mit Schimmel überzogen ist. Der Brauch, die Lebensmittel an der frischen und salzhaltigen Seeluft vergären zu lassen, geht scheinbar auf die Wikinger zurück, die vor Jahrhunderten die Inseln besiedelten und auf diese Art Rationen für den Winter anlegten.

Mit einem scharfen Messer bearbeitet Eva die Schafskeule, säbelt das Fleisch in dünne Scheiben und reicht es dem eingeschüchterten Besucher. Optisch, keinesfalls im Geruch, erinnert das Ganze an italienischen Prosciutto - wenn da nicht die Schimmelschicht wäre. "Prosciutto ist genauso luftgetrocknet, wird aber zuvor eingesalzen, wodurch weniger Bakterien und Schimmelkulturen entstehen", sagt sie, "doch Salz war hierzulande zu teuer und zu selten, darum haben sich unsere Vorfahren eben so geholfen." Die purpurroten Fleischscheiben sind ziemlich zäh, ihr Geschmack zum Glück etwas milder, als ihr Geruch befürchten ließ.

Verwesung zur Wissenschaft erhoben

Doch vergären lassen die Färinger nicht nur das Schaffleisch, sondern auch vieles andere, das ihnen in die Finger kommt. Die Technik nennt sich "ræst" und wird auch auf frischen Fisch wie etwa Kabeljau angewandt und sogar auf das Fleisch der Grindwale, die hierzulande mehrmals im Jahr gejagt werden. "Natürlich dient "ræst" heute nicht mehr der Konservierung, sondern einzig und allein dem Aroma", sagt vollen Ernstes, und ohne eine Miene zu verziehen, Leif Sørensen, der Koch des Restaurants Koks, das als das beste des Landes gilt.

Tatsächlich haben die Färinger die Verwesung gewissermaßen zur Wissenschaft erhoben und unterteilen sie in drei Stufen, von denen sich die erste und harmloseste "bleytræstur" nennt und ausschließlich auf Fisch angewandt wird. Die zweite Stufe riecht und schmeckt schon entscheidend pikanter, wird "ræstur" genannt und eignet sich dazu, sowohl Fisch als auch Fleisch zu verfeinern. Als edelste Form der Verderbnis aber gilt "skarpræstur", das solche Fisch- und Fleischteile bezeichnet, die bis zu neun Monate haben schimmeln dürfen und deren ausgeprägter Hautgout nur den stärksten Wikinger und dessen Fußball spielende Nachfahren nicht umhaut.

Fleischfermentation

In die Premium-Kategorie "skarpræstur" fällt auch Eva úr Dímuns Hammelkeule. "Es ist nicht immer leicht, das ,skerpikjøt' genau so hinzubekommen, wie es schmecken soll", sagt die Schafzüchterin, "es hängt viel von der Witterung ab: Ist es zu warm, kann das Fleisch verderben, ist es zu kalt, entwickelt es nicht genug Geschmack."

Zu wenig intensiv oder noch intensiver also - beides nur schwer vorstellbar, wenn man gerade an einem Stück davon kaut.

Im Restaurant Koks, in der Hauptstadt Thorshaven, macht sich Leif Sørensen daran, das Abendessen zu bereiten. Das Lokal liegt im Føroyar, dem einzigen Nobelhotel des Landes, mit atemberaubendem Blick auf die Bucht und den Hafen des Städtchens. Sørensen gehört der Schule des Nordic Cooking an und versteht sich wie viele seiner skandinavischen Kollegen hervorragend darauf, die Produkte seiner Heimat zur Geltung zu bringen und nach modisch nordischer Art auf Steinen oder Ästen anzurichten und mit geräucherten Tannenzweigelchen zu dekorieren. 

Meeresfrüchte und Wildkräuter

"Mir macht es Spaß, extrem frische Produkte wie Meeresfrüchte und Wildkräuter mit den traditionellen, fermentierten Speisen zu verbinden", sagt der Küchenchef. Es sei noch nicht lange her, so Sørensen weiter, dass die Färinger sich für ihre deftige Küche schämten und stattdessen mit internationalen Gerichten die Besucher empfingen, doch habe sich das in den letzten Jahren geändert. "Ich habe das Gefühl, dass viele Besucher heute auch wegen unserer Küche herkommen", sagt Sørensen und serviert vermutlich deswegen ein ehrfurchtgebietendes Gericht namens Garnatalg, das aus vergorenem Kabeljau besteht, der in einer Sauce aus ranzigem Lammnierenfett daherkommt; und von dem man sich nur schwer vorstellen kann, dass es jemals die Nationalmannschaft ablösen könnte als größter Publicity-Träger der abgeschiedenen Inseln im hohen Norden. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 11.10.2013)