"Wir haben ein System, das die Bezieher von mittleren Einkommen bestraft", sagt Bernhard Felderer.

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"Österreich erlebt eine Pluralisierung des Parteiensystems", sagt Kathrin Stainer-Hämmerle.

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"Mehr direkte Demokratie würde die Akzeptanz von Entscheidungen erhöhen", sagt Meret Baumann.

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"Österreich hat zwei Arbeiterparteien - das ist eine Anomalie", sagt Wolfgang Müller-Funk.

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Wien - Österreich hat gewählt - und obwohl SPÖ und ÖVP weiter geschrumpft sind, steuert das Land wahrscheinlich wieder auf eine große Koalition zu. Wo bleibt da die demokratische Entwicklung, will STANDARD-Kolumnist und Moderator Gerfried Sperl am Montagabend im Haus der Musik in der Wiener Innenstadt von einer Expertenrunde wissen.

Anders als in Deutschland, wo laut Umfragen nun die Mehrheit der Bevölkerung von Schwarz und Rot regiert werden möchte, herrscht hierzulande "paradoxerweise" Unzufriedenheit mit dem Wahlergebnis, und es werde "der Stillstand" beklagt, erklärt Kathrin Stainer-Hämmerle. Immerhin, hält die Politologin aber fest, erlebt Österreich mit der "Pluralisierung des Parteiensystems", da es das Team Stronach und die Neos ins Parlament geschafft haben, gerade auch so etwas wie "eine europäische Normalisierung".

Montagsgespräch, Teil 1.

Bernhard Felderer hat eine Erklärung dafür parat, warum den vormaligen Großparteien, nun vor allem Pensionistenparteien, zunehmend der Mittelstand abhandenkommt. Den Vorsitzenden des Staatsschuldenausschusses verwundert es etwa nicht, dass ein Viertel der Neos-Sympathisanten Leute sind, die der ÖVP den Rücken gekehrt haben. "Wir haben ein Steuersystem, das die mittleren Einkommen bestraft", sagt Felderer. "Selbstständige, kleine Unternehmer werden mit einem Steuersatz von 50 Prozent geschröpft" - während die unteren Einkommensbezieher steuerbefreit seien und sogar die großen Firmen einen niedrigeren Steuersatz zahlen müssten.

Weil sich von der SPÖ wiederum immer mehr Facharbeiter und Angestellte abwenden und zu den Freiheitlichen überlaufen, habe Österreich mittlerweile "zwei Arbeiterparteien", deren Sozialpolitik sich kaum voneinander unterscheidet, konstatiert Kulturphilosoph Wolfgang Müller-Funk. "Eine Anomalie." Im Gegensatz zu Deutschland gäbe es hierzulande jedoch keine Lagerwahlkämpfe - und daher bräuchten ihre sozialen Vorschläge im Wahlkampf dann in einer Koalition mit der ÖVP "nie in die Tat umgesetzt werden".

Montagsgespräch, Teil 2.

Einig ist sich das Podium ob einer bedenklichen Entwicklung: Unter jungen Männern ist die FPÖ bereits stärkste Partei - "und das, obwohl es dort Tendenzen gibt, die in Deutschland nie geduldet würden, so Stainer-Hämmerle in Anspielung auf die rechten Umtriebe. Ob mehr direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild dem entgegenwirken könne, wie es die FPÖ verlangt, fragt Sperl Meret Baumann, Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung". Die Journalistin meint, dass mehr Abstimmungen wie bei den Eidgenossen zu "einer höheren Akzeptanz von Entscheidungen führen" würden - "auch wenn diese knapp ausgehen". Allerdings wollten Rot und Schwarz allzu hohe Hürden für Plebiszite errichten, die zu Gesetzesänderungen führen könnten, kritisiert Baumann.

Felderer lehnt mehr Volksentscheide kategorisch ab: "Ich fürchte mich davor, weil Populisten die Leute verführen könnten. Die beste Form ist und bleibt die repräsentative Demokratie." Ähnlich sieht das Müller-Funk, denn: Er bemisst den Anteil an "unverantwortlichen Politikern im Parlament" mit "30 Prozent". (Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 9.10.2013)