Den Verlockungen der Musikindustrie seit vielen Jahren zu widerstehen - das zählt nicht zum Schlechtesten, was man über Musikschaffende sagen kann. Wer seine Lieder zehn Jahre lang konsequent im Eigenverlag veröffentlicht, dabei 70.000 Tonträger absetzt und die Angebote diverser Major Labels ein ums andere Mal ausschlägt, der oder die hat sich ganz offenbar eine Meinung gebildet - zur Frage, wie viel Kompromiss Musik verträgt, die im Kern kompromisslos ist.

Kompromisslos im Wortsinn

Dota Kehr, die sich zu Beginn ihres musikalischen Schaffens „Kleingeldprinzessin" nannte, kann überhaupt auf eine Bilderbuch-Vita in Sachen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit verweisen. So ist sie als Straßenmusikerin viele Jahre durch die Welt getingelt. Auch nichts für Menschen, die primär des Fames willen in die Branche drängen.

Als man ihr 2011 den deutschen Kleinkunstpreis überreicht hat, bedankte sie Dota Kehr mit den Worten: „Ich wusste gar nicht, dass ich Kleinkunst mache." Die Auszeichnung geht aber völlig in Ordnung, denn Dota Kehr schreibt Texte auf einem Niveau, das man in der deutschen Popmusik sonst eher sucht. Das Goethe-Institut hat das schon 2006 begiffen und lädt Dota Kehr nach Russland ein. 2009 folgt Neuseeland, 2010 dann Zentralasien.

Konkrete Poesie

„Dota vertont Konsumkritik und Sehnsüchte so poetisch wie kaum jemand im deutschsprachigen Musikgeschäft - so zärtlich, witzig und gesellschaftskritisch erzählt, wie es Tucholsky für die Zwanziger tat" schriebt Die Zeit über ihre Musik. Große Worte. Aber nicht zu groß. "Wo soll ich suchen" heißt nun also Dota Kehrs neue, schon elfte Platte – und wer im Plattenladen nicht so recht weiß, wo er die suchen soll, der oder die könnte es in der Rubrik "Chanson" versuchen. Im großen Pop-Container hat Dota Kehr natürlich auch Platz. Und man kann sie umstandslos dem Singer-Songwritertum zuschlagen.

Auf der Platte empfängt und umfängt uns Dota Kehr wortmächtig mit kleinen Berichten aus dem Leben und widmet sich dabei umstandslos den großen Fragen. Die bekanntlich oft in kleinen Dingen stecken. Das Licht, die Luft, der Himmel, das Wasser, der Sommer, das geliebte Du. All das. Das ist aber niemals kitschig tranig oder gar pathetisch. Es ist ergreifend unironisch. Die Lieder, stets dominiert von Kehrs starker heller Stimme, eröffnen augenblicklich einen atmosphärischen Raum, der sich musikalisch vertraut anfühlt und sprachlich dennoch auf mehr verweist. Dieses Mehr macht die Musik so interessant.

Flügel an den Füßen, Schelm im Blick

"Der Tag ist so klar, und der Himmel ist so schön", heißt es im Eröffnungstrack etwa, getragen von zarten Gitarrenschlägen und Akkordeon. Das ist völlig unironisch, aber auch nicht "cheesy" .Track zwei, das temporeiche "Warten auf den Wind" gemahnt musikalisch dann überhaupt eher  ein raueres Blumfeld-Stück. "Der Mensch ist perfekt, wenn er tut, was er kann" heißt es schließlich in "Du musst dich nicht messen". Der Track ist kein Aufruf, das Hobby zum Beruf zu machen und die Ausbeutung des Menschen der Effizienz halber in Selbstverwirklichung umzutaufen: "Ruh dich aus, setz dich hin! Es gibt für alle zu essen. Und Wasser und Luft. Du musst Dich nicht messen" heißt es im nächsten Moment.

Auch "Wo soll ich suchen" hat Dota Kehr ihr klangliches Spektrum mit Gastmusiker erweitert: Da sind Blechbläser, die zunächst als elegische Blaskapelle, dann als energiegeladene Bigband auftreten. Da gibt es Streicher, die in Kombination mit dem Akkordeon die karg-klare Stimmung des Titelstücks verstärken. Mit detailreich ausgefeilten Arrangements und unter die Haut gehenden Harmonien (mitunter kommt einem Jim O'Rouke in den Sinn) gelingt Dota Kehr eine intensive Vertonung  ihrer Licht- und Schatten-Lyrik. In Deutschland tourt Kehr seit längerem mit Band, im Duo oder solo durch ausverkaufte Hallen. Aus gutem Grund. (red, dieStandard.at, 8.10.2013)

Tourdaten:

18.10.  SALZBURG, ArgeKultur

19.10.  WIEN, Porgy & Bess

20.10.  GRAZ,  Bang Bang Club

Foto: Sandra Ludewig
Foto: Sandra Ludewig
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