Vor den Nullerjahren war sie noch eine vom Zwiebelgeruch geschwängerte, schwer einsehbare Welt in den Wiener Substandard-Zinshäusern. Mittlerweile hat sie es zum Lieblingsargument rechtspopulistischer Politiker gebracht und wird von Kommentatoren und Kolumnisten gerne aufgegriffen: die Parallelgesellschaft, die zum gefährlichen Pendant einer gelungenen Integration stilisiert wird.

So ist aus der schemenhaften Skizze ein Bedrohungsszenario geworden. Wovor man sich in Österreich zu fürchten müssen glaubt, beschreibt die stellvertretende Chefredakteurin des "Kurier", Martina Salomon, pointierter als andere: "Die Austro-Türken stammen mehrheitlich nicht aus der modernen Oberschicht, sondern aus ländlichen Gebieten mit niedrigem Bildungsstand. In vielen Wiener Bezirken haben sie quasi ihr Dorf wiedererrichtet: mit eigenen Geschäften, Medien, Lokalen und sogar mit (von der Stadt geförderten) Kindergärten, in denen man nicht Deutsch spricht, dafür islamische Bräuche hochhält." Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kritisierte im vergangenen Wahlkampf vor allem die "türkische Parallelgesellschaft, die nicht im Traum daran denkt, unsere westlichen Werte zu akzeptieren".

Beide Befunde, der journalistisch kommentierende und der politisch populistische, zielen auf eine vermeintlich klare Abtrennung der Welten ab: Hier der ungebildete anatolische Türke, der seit 9/11 auch gerne des religiösen Radikalismus verdächtigt wird, dort der aufgeklärte, urbane (Bildungs-) Bürger. Doch obwohl sowohl Salomon als auch Strache im Namen einer angeblich homogenen Mehrheitskultur sprechen: Diese strikte Zweiteilung ist eine Schimäre.

Von Einwanderern wird Integration gefordert, angeblich um ein Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern. Das knüpft an die Vorstellung einer Höherwertigkeit der eigenen Vorstellungen und Normen gegenüber jenen der Migranten an und meint im besten Fall Teilhabe und Chancengleichheit.

Im schlechteren Fall wird durch das simple und unreflektierte Gerede von der "Parallelgesellschaft" Angst produziert, sodass als einzig sicherer Weg dann die möglichst punktgenaue Anpassung – die Assimilation – gilt. Eine solche wird es so schnell nicht geben, das beweist ein Blick in die USA: Auch dort gibt es seit Jahrhunderten nebeneinander existierende, konkurrierende Milieus, also "Parallelgesellschaften". Zerfallen sind die Vereinigten Staaten daran nicht. (Olivera Stajić, DER STANDARD, 8.10.2013)