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"Wenn man auf der Longlist steht, hofft man, auf die Shortlist zu kommen, aber das ändert nichts daran, dass dieser Preis an sich in mancher Hinsicht äußerst problematisch ist", sagt Autor Thomas Stangl.

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STANDARD: Es gibt nicht viele Autoren Ihres Ranges, die sich im Literaturbetrieb so zurückhaltend bewegen wie Sie. Ist das Absicht?

Thomas Stangl: Sie können es auch Unvermögen nennen. Ich fühle mich in einer Position am Rande wohler. Es würde mir nicht liegen, alle möglichen Nebenaufgaben zu übernehmen, überall präsent zu sein und so weiter. Außerdem bin ich in diesen Sachen nicht besonders gut; warum sollte ich also ständig so tun als ob und mich dabei nicht wohlfühlen.

STANDARD: Weil es der Betrieb verlangt?

Stangl: Es ist ja nicht so, dass ich mich völlig verweigere. Ich versuche für meine Bücher das zu machen, was notwendig ist, und dazu gehören auch Interviews, Lesungen etc. Aber im Wesentlichen geht es um meine Bücher und darum, was das Beste für sie ist.

STANDARD: Und das wäre?

Stangl: Dass ich mich wirklich darauf konzentriere, sie so gut wie möglich zu schreiben. Ich bin ja Schriftsteller und kein Performer.

STANDARD: Schließt denn das eine das andere aus?

Stangl: Nein, gar nicht. Ich habe einen Grundrespekt vor Schreibarten, die meiner ganz fern sind, und auch vor ganz anderen Weisen, sich im Literaturgeschäft zu bewegen.

STANDARD: Schreiben und schreiben lassen?

Stangl: Natürlich ist es auch wichtig, dass es Kritik gibt und nicht jeder so tut, als würde ihm alles gefallen. Es braucht eine literarische Öffentlichkeit, in der verschiedene Positionen auch in Konfrontation miteinander geraten.

STANDARD: Gibt es die denn in Österreich?

Stangl: Immer weniger, fürchte ich. In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es ja auch und gerade in Österreich Positionen, die eine wirklich unterschiedliche Grundhaltung zur Literatur zum Ausdruck brachten - grob gesagt, hier die eher sprachorientierten, dort die politisch engagierten Autoren. Eine Diskussion über solche grundsätzlichen Fragen gibt es heute kaum mehr.

STANDARD: Warum?

Stangl: Vielleicht weil allgemein das Bewusstsein im Schwinden ist, dass es bei Literatur um etwas Grundsätzliches geht und sie nicht nur ein Dienstleistungsgewerbe in der Unterhaltungsindustrie oder ein abseitiges Hobby ist. In einem kleinen, leicht überschaubaren literarischen Feld wie Österreich ist die Gefahr groß, dass es nur mehr um irgendwelche persönlichen Freundschaften oder Feindschaften geht.

STANDARD: Die meistzitierten Figuren aus Ihrem jüngsten Roman sind "zwei bösartige Gnome", die im Februar 2000 "mit einer Bande von Gaunern und Faschisten die Macht im Land übernommen haben". Überrascht Sie das?

Stangl: Das ist eine griffige Formulierung, die sich natürlich als Ansatzpunkt für Journalisten anbietet, auch wenn das nicht so von mir intendiert war.

STANDARD: Was war intendiert?

Stangl: Über Ausnahmezustände zu schreiben; über persönliche, aber eben auch politische.

STANDARD: Nahezu ausnahmslos begeistert von Ihren Büchern zeigt sich die Kritik. Wie konnte ausgerechnet ein entschiedener Nichtperformer wie Sie so ungebremst in den deutschsprachigen Feuilletonhimmel aufsteigen?

Stangl: Es stimmt, dass ich mit der Kritik viel Glück hatte. Das hat aber bis zu einem gewissen Grad wohl auch damit zu tun, dass sich von vornherein nur Kritiker für meine Bücher interessieren, die prinzipiell einen Zugang zu meiner Art von Literatur haben. Ich könnte mir einige Kritiker vorstellen, die mit meinen Büchern wenig anfangen können und sie dann auch entsprechend rezensieren, aber die halten sich zumeist von meinen Büchern fern.

STANDARD: Bestimmt möchten Sie jetzt Namen nennen.

Stangl: (lacht) Unbedingt.

STANDARD: Sind Sie enttäuscht, dass "Regeln des Tanzes" nicht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis gelandet ist?

Stangl: Das ist eine ambivalente Sache. Wenn man einmal auf der Longlist steht, hofft man natürlich, auf die Shortlist zu kommen, aber das ändert nichts daran, dass dieser Preis an sich in mancher Hinsicht äußerst problematisch ist.

STANDARD: Warum hofft man als Autor auf einen "äußerst problematischen" Preis?

Stangl: Weil er für Bücher, die keinen großen Marketingapparat hinter sich haben, eine der wenigen Möglichkeiten ist, breit wahrgenommen zu werden. Ursula Krechel ist das beste Beispiel dafür, die macht ja alles andere als leicht zugängliche Unterhaltungsliteratur. Und wenn man durch so einen Preis plötzlich die zehnfache Auflage hat, kann einem das nicht egal sein. Das ist ein ökonomischer, auch aufmerksamkeitsökonomischer Faktor, den man als Autor nicht ignorieren kann.

STANDARD: Wer wird Ihrer Vermutung nach in Kürze die Auflage seiner Bücher verzehnfachen?

Stangl: Ich denke, dass Terézia Mora und Marion Poschmann gute Chancen haben, und beide hätten es, was die literarische Qualität ihrer Bücher angeht, hoch verdient.

STANDARD: In Ihrem Kurztext "Doppelte Buchführung" heißt es in einem mit 1. März 2002 datierten Eintrag: "Kontostand zu Ihren Gunsten € 42,29. Die einfachste Taktik ist es, möglichst wenig zu leben, der Raum verengt sich nach und nach immer weiter. Ich gehe nicht mehr ins Kino, nicht in Konzerte, niemals essen. Es ist keine Taktik, sondern ein Zustand oder ein Prozess, den ich beobachte. Ein Stillstand oder eher ein langsames Im-Boden-Versinken, wie in einer tückischen Düne." Wie lange hätten Sie damals noch durchgehalten, wenn es mit dem Schreiben als Beruf bald darauf nicht doch noch funktioniert hätte?

Stangl: Ich könnte jetzt etwas kokett antworten und sagen, dass ich ja noch immer nicht weiß, ob es funktioniert. Jeder Text muss ja ganz neu geschrieben werden und kann scheitern.

STANDARD: Und wie würden Sie weniger kokett antworten?

Stangl: Dass ich es nicht weiß, man es im Nachhinein nie wissen kann. Ich weiß nur, dass für mich Lesen und Schreiben von jeher die ergiebigsten Formen gewesen sind, mich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.

STANDARD: Wünschen Sie sich manchmal hinter diesen Punkt, an dem Sie vom weitgehend unbekannten zu einem renommierten Autor geworden sind, zurück?

Stangl: Na ja, niemand zu sein ist eine Art von Freiheit und lässt einen riesigen Raum von Möglichkeiten, der von keiner Wirklichkeit eingeholt werden kann.

STANDARD: Empfinden Sie eine ähnliche Form des Unbehagens ob der sogenannten Wirklichkeit und ihrer alltäglichen Sprechweisen wie viele Ihrer Romanfiguren?

Stangl: Ja, ganz eindeutig ja. Vielleicht ist das auch eine der geheimen Wurzeln des Schreibens, dass man versucht, für dieses normale Sprechen, zu dem man sich unfähig fühlt, einen Ersatz zu finden und dann in diesem Ersatz einen Reichtum entdeckt, der im alltäglichen Sprechen nicht zu finden ist.

STANDARD: Wie darf man sich diesen erschriebenen Reichtum vorstellen?

Stangl: Durch das Schreiben entsteht eine Struktur, und durch diese Struktur entsteht eine Art Freiheit, ein Mehr an Wissen, an Wirklichkeit. Schreiben hat immer auch etwas mit Befreiung zu tun. Das ist mir sehr wichtig, dass etwas zu einem Satz hinzukommt, das über eine Aussage hinausreicht, auch über jene, die ich mir eventuell vorher ausgedacht habe.

STANDARD: Sie schreiben einmal, dass Sie an der Literatur beinahe, ohne Literatur aber ganz gewiss erstickt wären. Muss man sich für die Literatur ganz riskieren, wenn sie wahrhaftig sein will?

Stangl: Ich denke, dass man es den Büchern anmerkt, bei denen die ganze Existenz dahintersteckt, was diesen Büchern etwas ganz Besonderes gibt. Andererseits weiß ich nicht, ob wirklich jemals die ganze Existenz drinstecken kann oder ob es nicht immer irgendeinen Raum des Verschwiegenen oder des Nichtgesagten im Hintergrund gibt, der dann auch dem Fast-Ganzen, das Literatur geworden ist, erst seine Besonderheit gibt.

STANDARD: Als letzten Schutz oder als letztes Geheimnis?

Stangl: Beides.

STANDARD: In Ihrer Dankesrede zur Verleihung des Erich-Fried-Preises 2011 heißt es: "Die Welt ist so, wie sie ist, man kann sie nicht lieben, aber man kann sich auch nicht auf ihren Zusammenbruch freuen; für die Zukunft ist nichts Besonderes vorgesehen." Hat sich an diesem Befund zwischenzeitlich etwas geändert.

Stangl: Nein. Aber natürlich gibt es immer das Besondere und das, was man lieben kann. (Josef Bichler, Album, DER STANDARD, 5./6.10.2013)