Das Steam-Universum expandiert 2014 mit dem Spiele-Betriebssystem SteamOS, Wohnzimmer freundlichen PC namens Steam Machine und einem neuen Spiel-Controller.

Foto: Valve
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Mehr als ein Jahr lang erwartete die Spielerschaft unter dem kolportierten Codenamen "Steam Box" die Ankündigung einer neuen Generation des Spiele-PCs des Branchenurgesteins Valve. Ende September folgte innerhalb einer Woche nach den Monaten der Berichte und Spekulationen schlussendlich ein Dreischlag: Der Hersteller von Kultspielen wie "Half-Life" und "Portal 2"gab nicht nur die Entwicklung der erwartenden Steam Machines samt Touch-Controller bekannt, sondern auch die Schaffung eines eigenen Betriebssystems, das speziell auf die Bedürfnisse von PC-Spielern zugeschnitten sein soll.

SteamOS heißt die vielleicht bedeutendste der drei Ankündigungen. Es ist ein offenes und kostenloses Betriebssystem basierend auf Linux, das dank einer für große Bildschirme geeigneten Benutzeroberfläche und der Optimierung auf Multimediaanwendungen Valves Vision vom Wohnzimmer-PC für jedermann wahr machen könnte. Und blickt man auf den Werdegang der US-Firma, ist es den 400 Mitarbeitern rund um Mitbegründer Gabe Newell zuzutrauen, dass sie und nicht Microsoft Bill Gates 30 Jahre alten Traum vom PC auf jedem Schreibtisch ins Wohnzimmer ausweiten. Wenngleich die Revolution nicht über Nacht geschehen dürfte.

Eine Frage der Inhalte

SteamOS zeichnet sich durch eine Vielzahl an positiven Eigenschaften aus. Es wird zur Veröffentlichung im Laufe der kommenden Monate frei zugänglich sein, nutzt das Open-Source-Konzept von Linux und wird sich auf jedem neuen und vorhandenen Computer mit Intel- oder AMD-Prozessor installieren lassen. Das macht es für alle interessierten Nutzer unmittelbar verfügbar. Lästige Vertriebswege über Händler können die Verbreitung also nicht aufhalten. Die Offenheit des System sorgt wiederum dafür, dass Hardware- und Softwarehersteller leichter Änderungen und Innovationen vorantreiben können.

Das allein ist bekannter Weise aber kein Garant für einen Erfolg. Auch die bisherigen diversen Linux-Distributionen wie Ubuntu sind kostenlos erhältlich und konnten sich am Desktop dennoch nicht gegenüber Microsofts Platzhirsch Windows durchsetzen. Der primär entscheidende Faktor für den Erfolg einer Plattform sind die dafür verfügbaren Programme und Inhalte. "Das große Problem, das Linux zurückhält, ist der Mangel an Games. Die Leute realisieren nicht, wie sehr Videospiele die Kaufentscheidung von Konsumenten beeinflussen", erklärte Firmenchef Newell Ende Juli. Will man Windows wirklich die Stirn bieten, muss der Weg über die Inhalte erfolgen. Computerspiele sind, auch dank der immer kleineren Bedeutung von Büroanwendungen für Privatkunden, heute eine der treibenden Kräfte für die Neuanschaffung eines Windows-PCs. Über 50 Prozent der rund 1,2 Milliarden Gamer weltweit spielen 2013 auf einem PC. In über 9 von 10 Fällen nutzen diese PC-Spieler einen Computer mit Microsoft-Betriebssystem. Und hier kommt Valve ins Spiel: Denn 50 Millionen der umsatztreibenden Kernzielgruppe dieser Spielerschaft beziehen ihre Games und Online-Dienste über Valves PC-Spieleplattform Steam. Will man ein PC-Spiel erfolgreich vertreiben, führt kaum ein Weg an Steam vorbei. Um SteamOS als Betriebssystem für Gamer durchzusetzen, muss die Portierung der Inhalte oberste Priorität haben. "Wir wollen es für die 2.500 Spiele auf Steam so einfach wie möglich machen, auf Linux zu laufen", bestätigte Newell bereits im Vorfeld zur SteamOS-Ankündigung.

Sanfter Übergang

Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgen die Entwickler zwei Wege. Einerseits optimiert man sein Betriebssystem, um ein ideales Umfeld für Games-Schaffende zu kreieren. Windows benötigt für sich allein so viele Ressourcen, dass ein Teil der Hardware-Leistung moderner Rechner gar nicht für die eigentlichen Anwendungen genutzt werden kann. Valve will daher bereits Partnerschaften mit "führenden" Spielherstellern geschlossen haben, die SteamOS bei der Entwicklung ihrer kommenden Games berücksichtigen. Würden "Call of Duty", "FIFA", "Assassin's Creed" und Co. 2014 nicht nur für Konsolen und Windows erscheinen, sondern auch für SteamOS und dort womöglich auch noch besser laufen als auf Windows, wäre das ein sehr starker Grund für viele Spieler zu wechseln.

Andererseits verfolgt Valve Möglichkeiten, einen sanften Übergang zu realisieren. Ein Windows-Nutzer, der etwa mit dem Gedanken liebäugelt, sich einen kleinen Wohnzimmer-PC für Multimediaanwendungen anzuschaffen - sei es eine künftige Steam Machine, ein selbst gebastelter Rechner oder auch ein Mac Mini - wird seinen alten Windows-Computer im Zusammenspiel mit SteamOS weiter nutzen können. Mit einem Steam-Client auf einem PC kann man jedes seiner Steam-Spiele über das lokale Netzwerk (Wi-Fi oder Ethernet) an das SteamOS-Gerät streamen. Das ist auch praktisch für Spieler, die einen leistungsstarken Gaming-PC in ihrem Arbeitszimmer haben, aber ihr Rechenmonster zum gemütlichen Zocken auf der Couch nicht neben dem Fernseher aufbauen wollen. Hier würde ein kleiner, günstiger SteamOS-PC zum Streamen reichen.

Neue Welt, neue Chance

Mit ein Grund, weshalb sich Linux am Desktop nie durchsetzen konnte ist, dass Windows bereits etabliert war, als das Open-Source-Betriebssystem noch in den Kinderschuhen steckte. Wie stark dieser Faktor bei der Durchsetzung von Plattformen zum Tragen kommt, sieht man anhand des Smartphone- und Tablet-Marktes, auf dem Linux in Form von Android dominiert. Als Googles Android 2008 das Licht der Mobile-Welt erblickte, standen dem offenen System bis auf Apples geschlossene iPhone-Serie alle Türen zu den Hardware-Herstellern offen. Mit großer Verspätung gestartet, steht heute Microsofts Windows Phone der Übermacht Android gegenüber. Auf das Jahr des Windows Phones werden Konsumenten wohl ebenso lange warten müssen, wie auf das Jahr des Linux-Desktops.

Wohnzimmer-PCs sind ebenso wie einst Mobiles ein neuer, noch weitgehend unerschlossener Markt. Es gibt viele integrierte Systeme und Multimedia-Boxen (die meisten nutzen übrigens Linux) und Spielkonsolen, doch weder Microsoft noch Apple haben hier bislang ein allumspannendes System durchsetzen können. Wenn es Valve schafft, eine Plattform und - ebenso wichtig - ein Nutzererlebnis anzubieten, das die Konsumenten ebenso gerne annehmen wie iOS oder Android auf dem mobilen Sektor, hat SteamOS eine Chance, sich als Medienzentrum zu etablieren und ein neues Ökosystem zu erschaffen, in dem Software- wie Hardware-Herstellern freie Hand gelassen wird. So wie es in den vergangenen Jahren Android gelang.

Starke Konkurrenten

Mit einem funktionierenden Wohnzimmersystem könnte SteamOS Windows am PC-Markt daher einiges an Wasser abgraben. Umso interessanter ist, dass im Kampf um den Fernseher Microsoft gar nicht einmal der größte Gegenspieler ist. Neben der Vielzahl an Streaming-Boxen (AppleTV, Boxee Box, Roku, etc ...), Kabel- und Sat-Receivern haben hier seit Jahrzehnten Spielkonsolen eine Sonderstellung. Sie sind günstig, bieten viel Leistung und lassen sich bequem vom Sofa aus bedienen. Die jüngsten Iterationen, Nintendos Wii U sowie Sonys und Microsofts kommende PlayStation 4 (PS4) und Xbox One sind zudem weit stärker auf die Multimedianutzung fokussiert als ihre Vorgänger. Speziell die PS4 und die Xbox One umarmen genauso stark wie die PC-Plattform Steam den Vertrieb und Konsum von Online-Inhalten und die Vernetzung von Anwendern.

Funktionell werden sich die Spielkonsolen von morgen und Valves Wohnzimmer-Betriebssystem ergo wenig schenken, was der Etablierung von SteamOS nicht gerade zuträglich ist. Plant Valve auch diesen Markt anzugreifen, muss man zudem zwei weitere Hürden überwinden: Preis und Marketing. Egal welche Steam Machine man sich zusammenstellt, will man effektiv die gleiche Leistung wie eine PS4 oder Xbox One haben oder im besten Fall auch etwas mehr, wird man aufgrund der hohen Optimierung und der starken Skalierungseffekte bei der Massenfertigung immer günstiger mit einer Konsole aussteigen. Zudem kann selbst ein hoch profitables Unternehmen wie Valve nicht das Marketingkapital von multinationalen Konzernen wie Sony oder Microsoft stemmen. Valve entgegenkommt, dass es als Unternehmen im Privatbesitz agiler und fokussierter als börsennotierte Konzerne agieren kann. Überdies dürfte der Verkauf von gebrandeten Steam Machines der Bewerbung und Verbreitung seines Betriebssystems helfen.

Aus der Nische heraus

Valves Strategie wird es wohl sein, wie zur Anfangszeit von Steam, aus der Nische heraus den Markt zu erobern. Zur Veröffentlichung 2003 wenig geliebt, spielen heute mehr als 50 Millionen Menschen über die PC-Plattform. Mit der Schaffung eines universellen, offenen und kostenlosen Systems für Hardwarehersteller und Spieler und der Anvisierung neuer Märkte hat SteamOS zumindest das Potenzial weit größer als seine Ursprungssoftware zu werden und so auch Microsofts Windows ernste Sorgen zu bereiten. Ein Plan, der in jedem Fall aber einige Jahre zur Entfaltung benötigen wird. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 6.10.2013)