Adipösen Menschen wird nachgesagt, faul und willensschwach zu sein.

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Mehr als die Hälfte aller Deutschen leidet an Übergewicht, in Österreich ist jeder Fünfte von Adipositas betroffen. "Gerade weil Adipositas zu einer Volkskrankheit geworden ist, fällt es immer schwerer, gesicherte Sachkenntnis von populistischen Meinungen zu trennen", sagt Martina de Zwaan von der Medizinischen Hochchule Hannover (MHH), Direktorin der Klinik für Psychosomatik.

Einen Beitrag dazu liefert die 29. Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, die vom 3. bis 5. Oktober 2013 in Hannover stattfindet. Themen sind unter anderem Jugendliche mit Adipositas, Stigmatisierung der Erkrankung und neue Leitlinien zur Behandlung.

Vermindertes Selbstwertgefühl

Adipositas ist verglichen mit anderen körperlichen und psychischen Gesundheitsstörungen mit dem gesellschaftlich  am meisten akzeptierten Stigma belegt, sagt Anja Hilbert, vom Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum AdipositasErkrankungen in Leipzig. Dieses Stigma umfasst negative Stereotypen und Vorurteile. So wird adipösen Menschen nachgesagt, faul und  willensschwach zu sein.

"Tragisch ist, dass Menschen mit Adipositas die Tendenz zeigen, diese negativen Stereotypen für sich anzunehmen. Sie verinnerlichen die ihnen entgegengebrachten Vorurteile und werten sich selbst aufgrund ihres Übergewichts ab", sagt Hilbert. Dieses Selbststigmata führt zu einem verminderten Selbstwert, erhöhtem psychischem Leid und verringertem Bewältigungsverhalten. Dieses Verhalten beginne schon im Kinder- und Jugendalter.

In Deutschland leben mindestens 200.000 Jugendliche mit extremer Adipositas, sagt Martin Wabitsch vom Universitätsklinikum Ulm, Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft und Koordinator des BMBF-Verbundprojektes "Jugendliche mit extremer Adipositas". "In den Medien findet man Mädchen oder Jungen mit 150 Kilogramm und mehr oft als Attraktion und Anschauungsobjekte", sagt Wabitsch und ergänzt: "In Wirklichkeit geht es den betroffenen Jugendlichen schlecht. Ihre Lebensqualität liegt unterhalb der von Krebspatienten". Betroffene sind oft Schulverweigerer und haben aufgrund ihrer körperlichen Fülle keine Chance auf einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Viele leiden bereits unter Gelenkproblemen, nächtlichen Atmungsstörungen oder einem Altersdiabetes. 

Als Krankheit wahrnehmen

Alfred Wirth, Koordinator der neuen S3-Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas" aus Bad Rothenfelde, betont, dass Adipositas eindeutig als Krankheit definiert sei, die Behandlung daher von den Krankenkassen finanziert werden sollte. Dabei muss den Betroffenen und Angehörigen, aber auch Ärzten und Therapeuten klar sein: "Die Behandlung muss multimodal geschehen, ist aufwendig und dauert lange." Die Basis der Behandlung stellen Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie dar. Medikamentöse Therapien sollten nie ohne das Basisprogramm erfolgen, ebenso wie chirurgische Eingriffe. "Wir alle wissen, dass es schwer ist, sein Verhalten dauerhaft zu ändern, aber genau darum geht es", sagt Wirth. (red, derStandard.at, 4.10.20139)