Das jährliche Aussetzen kapverdischer Karettschildkröten auf Fuerteventura ist am touristenfreien Strand von Cofete mittlerweile selbst zum touristischen Event geworden.

Foto: Tobias Wolf

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Flüge von Wien nach Fuerteventura zum Beispiel mit Air Berlin oder Iberia, meist mit einem Zwischenstopp. Die Busverbindungen auf der Insel sind überraschend gut, freilich erreicht man mit den Öffis dennoch nur Städte, darunter aber auch Morro Jable im interessanten Westen. Alle Verbindungen: de.fuerteventura.com/Bus-Fahrplane. Abgelegene Orte im Westen erreicht man nur mit dem Mietauto oder manchmal besser zu Fuß. Geführte Wanderungen an der Westküste, zu Vulkanen oder Stränden werden unter anderem von Andreas Caliman angeboten; deutschsprachige Halbtagestouren ab 45 Euro pro Person. www.fuertescout.com

 

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Seit 2009 ist die Kanarische Insel Fuerteventura ein Biosphärenreservat, damit sind auch ambitionierte Umwelt- oder Artenschutzprogramme verbunden. Vor allem der Westen der Insel ist überraschend wild geblieben, hier liegen Schutz-zonen oder zum Baden ungeeignete Strände neben solchen, die sich sehr wohl dazu eignen. Unterkunft im Westen: das Coronado Beach Resort (Morro Jable), Apartments ab 97 Euro ; alternativ im Norden und im Zentrum der Insel: Hotel Rural Mahoh (Villaverde), DZ mit Frühstück ab 52 Euro. Hotel Casa Isaítas (Pájara), DZ mit Frühstück ab 85 Euro

 

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Die beste Reisezeit für Fuerteventura ist ab sofort bis Dezember - vor allem wegen des milden Wetters und der relativen Windstille. Grundsätzlich ist die Insel aber als Ganzjahresziel interessant. Alle relevanten touristischen Informationen gibt es unter: www.visitafuerteventura.com. Weitere Auskünfte erteilt dasSpanische Fremdenverkehrsamt per E-Mail unter: viena@tourspain.es oder im Netz unter: www.spain.info. Wer mehr über das von der EU geförderte Schildkröten-Projekt Pelagos und dessen Ergebnisse erfahren will, findet zumindest englischsprachige Infos unter: www.proyectopelagos.org

 

Die Autos sind geparkt, schon werden am Strand von Cofete die Handy- und Kompaktkameras gezückt. Die ersten Paparazzi stehen hinter einer Reihe von grauen, geschlossenen Plastikboxen. Aus ihnen dringt ein leises rhythmisches Schaben. Nun heben einige Tierpfleger vom Projekt Pelago gleichzeitig die Deckel von den Kisten und fordern herumstehende Besucher auf, die 14 Schildkröten fest an den Flanken zu fassen.

Ihre Panzer wurden mit Vaseline eingerieben, damit sie während der Autofahrt nicht austrocknen. Sie sind wirklich rutschig, man muss schon fest zupacken. "Vorsicht, die hat starke Kiefer", warnt eine Mitarbeiterin vom Schildkrötenprojekt Pelago, als sich eine Frau dem in der Luft rudernden Tier von vorn nähert. Es schlägt kraftvoll mit den Vorderflossen, als ob es nicht erwarten kann, endlich in den Fluten des Atlantiks zu verschwinden.

Touristen und Tortugas

Nicht nur Touristen lieben Fuerteventuras warmes Wasser, den feinen Sand und die milde Sonne. Meeresschildkröten tun das ebenso. Acht Arten leben rund um die kanarische Insel. Dort, wo es kaum Fischfang, wenig Schiffsverkehr und sauberes Wasser gibt.

Eine dieser Arten ist die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta). Sie ist vom Aussterben bedroht, woran auch der Welttierschutztag jedes Jahr am 4. Oktober erinnert. Im Spanischen heißt diese Art tortuga boba, ein aussagekräftiger Name: Die "depperten Schildkröten" - so die Übersetzung - lieben es nämlich, sich auf der Wasseroberfläche treiben und von der Sonne wärmen zu lassen. Diese Angewohnheit ist ihr Verhängnis: Früher, als es noch viele gab, konnten Fischer die Tiere sprichwörtlich aus dem Wasser klauben, denn sie scheinen keine Fluchtgedanken zu hegen.

Licht und andere Faktoren

Schildkrötenfleisch war und ist eine Delikatesse, obwohl der Handel damit heute verboten ist. Auf den Kapverden etwa, rund 1500 Kilometer südlich der Kanaren, machen Wilderer den Tieren das Leben schwer. Zudem haben Meeresschildkröten einen komplizierten Reproduktionszyklus, der stark von äußeren Faktoren abhängt. Karettschildkröten werden erst mit 15 Jahren geschlechtsreif. Dann verlassen die Weibchen einmal im Jahr das Wasser, um Eier abzulegen. Dazu suchen sie den Strand auf, an dem sie geschlüpft sind. Er muss dunkel und warm sein, ist er beleuchtet, orientieren sich die Jungtiere beim Schlüpfen an der künstlichen Lichtquelle und finden nicht zum Wasser.

2006 hat die Inselregierung von Fuerteventura beschlossen, wieder Karettschildkröten auf Fuerteventura anzusiedeln. Das Projekt heißt Pelagos und wird von der EU finanziert. Vor vielen Jahren waren die Tiere dort noch heimisch. Talismane von Ureinwohnern und Schilderungen des spanischen Eroberers Gadifer de la Salle aus dem 15. Jahrhundert belegen das. Heute sind sie aus ganz unterschiedlichen Gründen verschwunden: Krebse und Menschen plündern ihre Gelege, viele Strände wurden verbaut und beleuchtet, das Wasser ist mit Motorenöl und Plastik verschmutzt.

Fuerteventura hat aber trotz touristischer Massifizierung große Gegenden unberührt gelassen, vor allem an der Westküste. Schildkröteneier werden von den kapverdischen Inseln geholt und dort vergraben, also sozusagen umgesiedelt. Man hofft, dass die ersten Weibchen in elf Jahren auf Fuerteventura Eier ablegen.

Um das Überleben der Art zu sichern, hocken sich jedes Jahr Freiwillige auf den Kapverden hinter die Schildkrötenweibchen, um ihnen während der Ablage wortwörtlich ein paar Eier unterm Hintern wegzustehlen. Diese bringen sie mit Leichtflugzeugen zu einem schwer zugänglichen Punkt auf Fuerteventura, an den Strand von Cofete. Dort vergraben sie die Eier im Sand. Sind die Jungtiere geschlüpft, werden sie in einer Aufzuchtstation auf der anderen Inselseite aufgepäppelt. Mehr als 700 Tiere wurden auf diese Weise schon aufgezogen.

Die Freilassung ist jedes Jahr ein Ereignis. Schüler, Journalisten, Politiker und Touristen werden eingeladen. Im Konvoi fahren alle über eine kurvenreiche Schotterpiste bis nach Cofete. Die Straße verschiebt sich nach einem starken Regen gerne um ein paar Meter oder verschwindet ganz im Geröll der kargen Hügel. Hat man die letzte Kurven hinter sich, öffnet sich der Blick, und der überwältigende Strand liegt vor einem. Er ist unglaubliche 35 Kilometer lang. An den Hängen davor sieht man ein paar Hütten, eine Bar, einen Parkplatz, einen Friedhof, ein Hirtendenkmal und eine Villa aus den 1940er-Jahren. Sonst ist nur Sand, Wasser und Himmel auszumachen. Zum Baden und Surfen ist der Strand wegen der Strömungen zu gefährlich. Aber den Schildkröten taugt er.

Die Ewigkeit und ein Moment

Hier fühlt man die Ewigkeit: ewiger Wind, ewiges Rauschen. Doch für die Tiere aus der Plastikbox hat das ewige Warten bald ein Ende, ihr Moment ist fast gekommen. Zuvor allerdings will man ihnen wenigstens ein Mal in die Augen geblickt haben - oder vielmehr ins Auge. Man sieht ja nur eines, denn sie sitzen seitlich am Kopf, sind klein und dunkel.

Das erste Tier rudert weiter in der Luft. Schließlich setzt das Grüppchen am Strand die nächsten vier Schildkröten in den Sand, mit dem Kopf in Richtung Meer. Sofort kriechen sie der Brandung entlang, den Wellen entgegen, langsam, rhythmisch. Endlich scheint ihr Rudern einen Sinn zu haben. Anfangs fliegt noch Sand, dann, nahe der Brandung, hinterlassen die Flossen tiefe Spuren. Die erste Welle spült über die glitschigen Vaseline-Panzer. Die Schildkröten kriechen weiter, langsam, beständig. In der nächsten Welle sind sie verschwunden. (Brigitte Kramer, DER STANDARD, Album, 5.10.2013)