Eine Frau in den Vierzigern ist äußerlich unverändert wieder jung: Regisseurin und Hauptdarstellerin Noémie Lvovsky (Mitte) läuft in "Camille - Verliebt nochmal" ein paar Runden extra.

Foto: polyfilm

Wien - Camille ist Mitte vierzig. Ihr Ehemann, eine Jugendliebe, hat sie kürzlich wegen einer Jüngeren verlassen. Camille schlägt sich als Schauspielerin durch, die Angebote unterlaufen ihre Fähigkeiten bei weitem. Zu Silvester geht Camille auf die Party einer alten Freundin, auch die anderen aus der Clique sind da. Camille tanzt und betrinkt sich ordentlich, und auf dem Heimweg fällt sie hin. Als sie aufwacht, liegt sie im Krankenhaus, und ihre besorgten Eltern kommen, um sie abzuholen.

Das wäre nicht weiter erstaunlich, wenn Camille, die immer noch die 45-jährige Frau ist, die sie vorher war, nicht wüsste, dass ihre Eltern seit langer Zeit tot sind. Und wenn Mama und Papa ihr nicht sanfte Vorhaltungen machen würden: eine Party und Alkohol! Wo Camille doch bald wieder in die Schule muss.

Aller Widerstand ist zwecklos, Camille zieht zurück ins Kinderzimmer. Sie zieht sich die alten farbenfrohen Klamotten an, und niemand außer ihr selbst findet etwas daran, dass eine erwachsene Frau mitten unter Teenagern noch einmal in den 1980er-Jahren die Schulbank drückt.

Camille redouble, Camille bleibt sitzen, heißt deshalb auch der Originaltitel dieses Films, der fünften Kinoregiearbeit der französischen Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Noémie Lvovsky. Er gehört zu jener schönen, surrealen Unterabteilung der Komödie, in der einander zwei Zeit- und Wirklichkeitsebenen überlagern und die Hauptfigur als Einzige Zugang zu beiden Sphären hat.

Allerdings kann sie diese Erfahrung niemandem begreiflich machen - was für die Zuseher vor der Leinwand grandios komische Effekte produziert. Harold Ramis' Evergreen Groundhog Day ist ein exemplarisches Werk. Dessen ausgewachsener Held muss gewissermaßen erst erwachsen werden. Für Camille hingegen geht es darum, ihr älteres Ich noch einmal durchlässig zu machen für die Erfahrungen der Jugend - und sich so auf paradoxe Art mit ihrer Zukunft auszusöhnen, in der ihre besten Freundinnen schon auf sie warten.

Von vier Mädchen, die gemeinsam ins Gymnasium gehen, Freuden und Unsicherheiten des Erwachsenwerdens nicht immer gleich erfahren, einander aber stets die Treue halten, hat Noémie Lvovsky schon einmal sehr mitreißend und überzeugend erzählt: La vie ne me fait pas peur, das Leben macht mir keine Angst, hieß ihr zweiter Kinofilm von 1999, ein einfühlsames Stück Coming-of-Age-Kino, das sich ganz auf die jugendliche Sensibilität seiner Heldinnen einließ.

Weibliche Lebenswelten

Camille redouble verhält sich dazu wie ein schräges, um eine Dimension erweitertes Remake. Geblieben sind nicht zuletzt die tragende Rolle der Musik und das Glücksmoment des kollektiven Auszuckens beim Tanzen.

Um spezifisch weibliche Lebenserfahrung - mit Liebesbeziehungen, mit dem (ungelenken) Körper und dem Älterwerden mit oder ohne Kind - und um die dazugehörigen Gefühlslagen kreist das gesamte schmale Werk der Französin. Seit Anfang der Nullerjahre war Lvovsky, die seit ihrer Studienzeit auch eine Arbeitsgemeinschaft mit der Schauspielerin Valeria Bruni Tedeschi unterhält, vor allem als Darstellerin in Filmen anderer sehr präsent (hierzulande etwa: Le skylab, 17 Mädchen, Copacabana). Nun spielt die markante kleine Frau mit den eigentümlich lachenden Augen erstmals in einem eigenen Film die Hauptrolle: energetisch, mit Hang zum Burlesken und ohne Scheu vor Peinlichkeit.

Denn Camille beginnt mit ihrem Status und den vermeintlichen Möglichkeiten zu experimentieren. Das zeitigt herrliche Situationskomik, aber es geht nicht immer wunschgemäß auf. In Frankreich und auf Festivals außerhalb war Camille redouble bereits ein Riesenerfolg. Es ist schön, dass der Film - nach einer ausgelassenen Festivalpremiere im Vorjahr - nun auch bei uns regulär ins Kino kommt. Am besten gemeinsam mit guten Freundinnen ansehen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 3.10.2013)