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Immer der Nase nach: Ein verbessertes "Stallklima" für mehr Wohlbefinden verspricht der wissenschaftlich begleitete Schweinezuchtbetrieb im niederösterreichischen Berndorf.

Foto: Sebastian Willnow/dapd

Geburtenstationen auf neuestem Stand: Fußbodenheizung für die Ferkel und Klimaanlage für die Muttersau.

Foto: E. Hammerschmid

Die symbolische Schlüsselübergabe zur Eröffnung des Betriebs erfolgte in Form dieses wirklich sehenswerten Backwerks.

Foto: Hammerschmid

Siebeneinhalb Quadratmeter, ruhig, hell und freundlich, Fußbodenheizung inklusive: Das sind die Eckdaten der "Geburtenstationen" für Ferkel, die künftig auf dem Lehr- und Forschungsgut der Veterinärmedizischen Universität Wien (Vetmed) zur Welt kommen werden. Während das Ferkelnest per Fußbodenheizung auf angenehme 28 Grad erwärmt werden kann, garantieren mit Wasser gekühlten Wände in der Koje der Muttersau wohltemperierte 17 Grad. So ist es auf der Informationstafel zu lesen.

Fast wohnlich klingt auch der Rest der wissenschaftlich begleiteten Schweinezucht am Hof Medau in Berndorf, etwa 50 Kilometer südlich von Wien: Von einem "guten Stallklima", "Komfortzonen" und einer "Verbesserung des Wohlbefindens der Tiere" war bei der Eröffnung vergangene Woche die Rede.

Die nagelneuen Ställe - jeweils für werdende Muttersauen, zum "Abferkeln", also für die Geburt, zur Ferkelaufzucht und zur Mast - wirken bei der Präsentation eher nüchtern. Wie es die künftigen Bewohner finden, lässt sich schwer eruieren. Ebenso wenig, wie sich Geräusch- und Geruchswolken hunderter Tiere auf das Stallklima auswirken - die Eröffnung fand in Abwesenheit von Schweinen statt. Sie werden erst ab nächster Woche die Ställe beziehen. Dann dürfen Menschen nur noch in steriler Spezialbekleidung die Anlagen begutachten.

Gehobene Verhältnisse

In dem landwirtschaftlichen Musterbetrieb sollen nicht nur angehende Tierärzte ausgebildet, sondern auch neue Haltungssysteme, Tierschutz- und Hygienestandards auf die Probe gestellt werden. Mit einer Kapazität von 140 Plätzen für Muttersauen, 720 für die Ferkelaufzucht und 600 für Mastschweine entspreche der Hof der durchschnittlichen Größe eines heimischen Schweinebetriebs, sagte Vetmed-Rektorin Sonja Hammerschmid. 4,2 von insgesamt 4,9 Millionen Euro flossen vom Wissenschaftsministerium in das Forschungsgut, der Rest kam vom Land Niederösterreich und der Vetmed selbst.

Die Verhältnisse, unter denen die Schweine aufwachsen, sind gehoben im Vergleich zu konventioneller Massentierhaltung: Es steht deutlich mehr Platz zur Verfügung als gesetzlich vorgeschrieben. Für jedes Schwein gibt es einen eigenen Fressplatz, um Stress und Rangeleien ums Futter zu minimieren. Dazu sollen beheizte Liegeflächen ohne Spalten im Boden das artgerechte Ausruhen erlauben. Bei der Kastrierung werden die Ferkel betäubt.

Der wissenschaftliche Fokus liegt auf der Phase, in der die Ferkel gesäugt werden: Sauwohl sollen sich die Tiere fühlen, sobald sie das Licht des Abferkelstalls erblicken. Etwa durch ein offenes System, entwickelt von niederländischen Wissenschaftern und Landwirten, das nun erstmals in Österreich eingesetzt wird. Darin können sich Sau und Ferkel im Gegensatz zum üblichen "Kastenstand" in ihrem Abteil frei bewegen und intensiven Kontakt zueinander pflegen. Trotzdem gibt es genügend Ausweich- und Rückzugsmöglichkeiten, um zu verhindern, dass die Muttersau den Wurf erdrückt. "Das widerfährt etwa zehn Prozent der Ferkel", sagt Isabel Hennig-Pauka, die Leiterin der Vetmed-Klinik für Schweine.

Antibiotikaeinsatz senken

Das soll in Medau anders sein: "Die Sterberate müsste unter dem Durchschnitt liegen, das ist unsere Hypothese. Mit den hohen Hygienestandards wollen wir verhindern, dass Krankheiten in den Tierbestand eingeschleppt werden", sagt Hennig-Pauka. Zudem werden die Tiere geimpft. Spezielle Futtermittel, die Prä- und Probiotika enthalten, sollen mit dem Ziel getestet werden, das Immunsystem bereits bei den Muttersauen zu stimulieren und den Antibiotikaeinsatz zu verringern. Im Teststall, der flexibel ausgestattet werden kann, wollen die Forscher verschiedene Haltungskonzepte gegenüberstellen und auswerten.

Noch befinden sich die ersten 140 Jungsauen unter Quarantäne in Geburtsvorbereitung. Nach drei Monaten, drei Wochen und drei Tagen Tragezeit werden die ersten Würfe am 24. Oktober erwartet, sagt Doris Verhovsek, Tierärztin am Gut Medau. "Es ist alles beinhart geplant." Nach vier Wochen "Stillzeit" bei der Muttersau kommen die Schweinchen für sieben bis zehn Wochen in die Kinderstube, die Ferkelaufzucht. Mit 30 Kilo wechseln sie in den Maststall. Ab etwa 100 Kilo können sie an einen Schlachtbetrieb verkauft werden.

"Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass Wirtschaftlichkeit wesentlich ist. Das romantische Bild des glücklichen Schweins darf nicht die Rahmenbedingungen überlagern", räumte Hammerschmid ein. Ob viele Betriebe dem Muster folgen werden, bleibt angesichts des hohen Kostendrucks in der Branche fraglich. Die Forschungsergebnisse sollen jedenfalls in die Etablierung neuer, artgerechterer Systeme einfließen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 2.10.2013)