Im Klangturm in St. Pölten konnten sich Besucher in bunte Hauben voller Alltagssounds begeben, an anderen Stationen in der Stadt wurde experimentiert.

Foto: STANDARD/Corn
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St. Pölten ist selbsterklärend. Möchte man vom Bahnhof ins Zentrum, kommt man nicht um die Fußgängerzone herum. Supermarkt, Bekleidungshaus, Elektrogroßmarkt, alles da. Wenn in einer Vitrine der Verein der Hausbesetzer über seine Aktivitäten informiert, weiß man gleich, dass man sich verlesen hat: Hausbesitzer natürlich! Am Rathausplatz gibt es neben Schleckeis jetzt auch Frozen Joghurt.

St. Pölten hat nicht nur eine Gegenwart, St. Pölten hat Zukunft. Das begreift man spätestens, wenn um die barocke Pestsäule plötzlich junge Menschen biegen, die einen Handkarren mit der Aufschrift "Geophysik" ziehen. Was soll denn das, bitte? Sie tragen knallgrüne T-Shirts mit der Aufschrift "European Researchers' Night", aber nein, Infomaterial darüber haben sie nicht.

Die hält dafür die nette Frau in der Tourismusinformation bereit. So druckfrisch ist die Broschüre, dass sie selbst noch nicht hineinschauen konnte. "Destination future" heißt die Veranstaltung, die am letzten Freitag die Innenstadt von St. Pölten zum einzigen österreichischen Beitrag zur European Researchers' Night machte.

Workshops, Spiele, Shows

Bei dieser europaweiten Nacht der Wissenschaft werden in mehr als 300 Städten in allen EU-Mitgliedstaaten aktuelle Forschungsergebnisse auf möglichst innovative und unterhaltsame Art und Weise präsentiert. Ziel ist es, eine breite Bevölkerungsschicht mit Forschung in Verbindung zu bringen. Deswegen hat sich die FH St. Pölten als Veranstalter entschieden, die diversen Workshops, Installationen, Spiele und Shows nicht an der Fachhochschule selbst, sondern im städtischen Raum stattfinden zu lassen. 3000 Besucher, so das ehrgeizige Ziel, sollten an diesem Tag bei freiem Eintritt erreicht werden. Wie viele letztlich kamen, wurde nicht bekanntgegeben.

Der Forschungstag beginnt um 15 Uhr, aber am frühen Nachmittag lassen sich noch nicht viele Interessierte an den insgesamt zehn Stationen blicken. Im ehemaligen Autohaus Wesely hat die Medientechnikerin Astrid Drechsler einen "Acoustic Playground", also einen Klangspielplatz, eingerichtet. Im "Soundgarten" können Kinder und unternehmungslustige Erwachsene auf einem Stück Kunstrasen Musik machen, indem sie von Blume zu Blume springen, die jeweils mit einem anderen Sound unterlegt sind.

In der Installation "Hand.werk" werden gleich daneben Klänge aus einer Werkstatt wie jene vom Schmiedehammer konserviert und können von den Besuchern auf einem Schlagzeug abgespielt werden. Es gibt "Feuer-, Wasser- und Eisensounds", die in einen neuen Kontext gesetzt werden. Diese und die Arbeit "Laut.leise", wo es um unsere individuelle Lärmwahrnehmung geht, entstanden in dem FH-Forschungsprojekt "Klänge der Regionen" (siehe Interview). Daneben gibt es für alle Interessierten eine Einschulung für Camcorder und Fotokameras, die man auch ausborgen darf, um seinen eigenen Clip über die Researchers' Night zu drehen.

Der Klangturm im St. Pöltener Regierungsviertel ist für Drechsler "das schönste Beispiel, dass man auch das beste akustische Design auf Dauer nicht aushält. Geräusche, die wir selbst nicht steuern können, stören uns am meisten." Diesen und andere Aspekte hat sie in den "Klanggeschichten" bearbeitet. Alltagsgeräusche wurden zu neuen Geschichten montiert, die man sich jetzt im Klangturm anhören kann. "Wir haben bewusst keine Sprache integriert", sagt Drechsler, "nur die Geräusche sollen sprechen."

Glockenspiele

In der Installation "Glocken. Spiel" steuert jeder durch seine Bewegung im Raum den Sound von Kirchenglocken aus verschiedenen niederösterreichischen Gemeinden. Beim "Klangmemory" müssen jeweils zwei gleiche Geräusche gefunden werden, was zwei männlichen Besuchern vor allem im Fall eines startenden Traktors gefällt.

In der ehemaligen Synagoge unweit des Regierungsviertels öffnet das Institut für jüdische Geschichte Österreichs die Türen für die Researchers' Night und erinnert an aus Österreich vertriebene und ermordete jüdische Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Eine Klanginstallation von Hannes Raffaseder, dem Rektor der FH St. Pölten, lädt zum Verweilen ein. "Das macht schon einen Effekt. Die Leute werden ruhig, wenn sie reinkommen", sagt Direktorin Martha Keil. "In Niederösterreich gab es einmal 15 Kultusgemeinden, jetzt sind nur zwei Männer jüdischen Glaubens übrig", erzählt sie. Es ist kühl. Wer kalte Füße oder Hände bekommt, darf sich einen Tee nehmen.

Im Stadtmuseum präsentiert das "raiLAB" der FH-Studiengänge Eisenbahninfrastrukturtechnik Simulationssoftware, mit der Triebfahrzeugführer geschult werden. Wolfgang Ladinig erklärt am Simulator mit einer Engelsgeduld die komplexen Anforderungen: "Die Totmanntaste nicht vergessen!", erinnert er einen Buben, der beim Selbstversuch ganz schön ins Schwitzen kommt.

Ein Stockwerk höher erklärt ein Kurzfilm, wie ein Mikrofluidic-Chip zur Isolation von zirkulierenden Tumorzellen verwendet wird. Diese lösen sich vom Haupttumor und gelangen in den Blutkreislauf. So befallen sie entfernte Organe und bilden oft tödliche Metastasen. Der im Rahmen des niederösterreichischen "Life Science Call" entwickelte Chip soll helfen, dies zu verhindern. Wer will, kann selbst versuchen, in einem kleinen Experiment die Technologie zu verstehen.

Einen Raum weiter wird die Atemgasdiagnostik zur Früherkennung von Lungenkrebs mittels Hundeschnauze vorgestellt. Auch hier erklärt ein Kurzfilm die wichtigsten Inhalte. Wer es genauer wissen will, kann später noch zum "Science Slam" ins Cinema Paradiso gehen, wo Forscherinnen und Forscher ihre Inhalte in sechs Minuten auf der Bühne darstellen. Doktor Klaus Hackner hat dafür eigens einen Stoffhund mitgebracht. Ob das nicht eine unmögliche Verkürzung komplexer wissenschaftlichen Inhalten sei, will eine Besucherin wissen. Darauf Hackner: "Wir wissen zwar nach sechs Minuten die Antwort nicht, aber wir würden uns sonst nicht einmal die Frage stellen." (Tanja Paar, DER STANDARD, 2.10.2013)