Ob ich eine Kristallkugel für den Ausgang der Nationalratswahl hätte, wurde ich gestern auf FM4 gefragt. Antwort: Ich habe zwei, die sehr unterschiedliche Szenarien voraussagen.

In der ersten, etwas größeren Kugel ist zu sehen, dass SPÖ und ÖVP trotz schmerzhafter Verluste die absolute Mehrheit an Stimmen oder zumindest an Mandaten behalten. In diesem Fall würde die alte Koalition wiederauferstehen, mit gleichem oder ähnlichem Personal so weitermachen wie bisher - und mit der gleichen unglücklichen Dynamik, durch die fast jeder Reformvorschlag der einen Partei vom Partner blockiert wird. Daran kann sich nichts ändern, das liegt in der Natur einer Links-rechts-Koalition und dem Charakter der beiden Parteien.

Wir hätten fünf weitere Jahre Stagnation auf hohem Niveau.

Keine stabile Regierung in Sicht

Im Szenario der zweiten, etwas kleineren Kristallkugel (Wahrscheinlichkeit nach meiner Einschätzung etwa ein Drittel) fallen die Regierungsparteien erstmals unter die absolute Mehrheit, vor allem wegen der Schwäche der ÖVP und ihres katastrophal geführten Wahlkampfs.

Die Folge wäre wohl blankes Chaos. Denn es gibt keine Dreierkoalition, die eine halbwegs stabile und funktionierende Regierung verspricht.

Das Team Stronach ist wegen seines Programms und der Persönlichkeit des Parteigründers genauso wenig koalitionsfähig wie die FPÖ, die weder regieren kann noch will (die für sie so schlechte Erinnerung an Schwarz-Blau ist noch zu stark).

Rot-Schwarz-Grün wäre höchst unglücklich

Die rot-schwarz-grüne Koalition wäre eine höchst unglückliche ménage à trois. SPÖ und Grüne würden zu Recht versuchen, eine linkere Politik durchzusetzen; die ÖVP würde blockieren oder verzweifeln. Und wenn dann einige doch über eine Alternative mit FPÖ und Stronach zu sinnieren beginnen, würde das das Koalitionsklima weiter vergiften.

Eine Koalition mit der ÖVP und dem BZÖ würde, sollte es im Nationalrat bleiben, die SPÖ vor große Probleme stellen; das BZÖ würde die Regierung stark nach rechts ziehen, und so nett Josef Bucher auch im Fernsehen wirkt, er bleibt der Erbe Jörg Haiders.

Am ehesten würden noch die Neos als Mehrheitsbeschaffer funktionieren; sie könnten sich vermittelnd zwischen SPÖ und ÖVP stellen. Doch dafür müssten sie erst den Einzug schaffen.

Ende der Zweiten Republik

Wenn SPÖ und ÖVP die absolute Mehrheit verlieren, wäre die Zweite Republik, wie wir sie kennen, am Ende. Eine neue Ära würde anbrechen mit ständigen Turbulenzen und viel Unsicherheit, politisch genauso wie wirtschaftlich.

Wenn keine funktionierende Koalition zustande kommt, sind der einzige Ausweg Neuwahlen. Doch das strukturelle Problem der österreichischen Demokratie - dass es links der Mitte keine Mehrheit und rechts der Mitte zu viele unzuverlässige Protestparteien gibt - würde weiter bestehen.

Da ist im Vergleich die Aussicht auf weitere fünf Jahre Stagnation gar nicht so schlecht. (Eric Frey, derStandard.at, 28.9.2013)