Man soll der Literatur nicht im Wege stehen: Martin Kolozs, Verleger und Autor. 

Foto: Kolozs

Angefangen hat alles in Innsbruck und mit einer vergriffenen Sammlung illustrierter Trakl-Gedichte, die die Studenten Martin Kolozs und Bernd Schluchter vor gut einem Jahrzehnt wieder auflegten. Die Ernsthaftigkeit und Offenheit der beiden Bibliophilen sprach sich herum. Zahlreiche Autorenmanuskripte wurden ihnen zugetragen - und so entschlossen sich Kolozs und Schluchter vor genau zehn Jahren, in Innsbruck den Kyrene-Verlag zu gründen.

Gleich das erste Buch des Verlages, Helmuth Schönauers Posse Bürger "Meister Metzgerin", eine Abrechnung mit der Stadtregierung, sorgte für Aufsehen. Seit 2005 führt der 1978 geborene Kolosz, der selbst auch als Autor und Dramatiker tätig ist, den Verlag allein weiter (Schluchter hat seinen eigenen (Limbus-)Verlag gegründet). Beweglich ist der Kyrene-Verlag, dessen zehnjähriges Bestehen diese Woche rauschend begangen wurde, nicht nur im Programm, sondern auch geografisch geblieben. Seit 2010 firmiert der Verlag, der weiterhin auf Tiroler Autorinnen und Autoren setzt, in Wien.

STANDARD: Das Verlegen von Büchern ist ein hartes Geschäft in einer Branche, Stichwort E-Book, die sich im Umbruch befindet.

Kolozs: Interessant ist vor allem die Schnelligkeit, mit der dieser Umbruch von statten geht. Als wir vor drei Jahren auf der Buch Basel ausgestellt haben, hieß es dort, die deutschsprachigen Länder würden, was das E-Book betrifft, ca. zehn Jahre hinter dem amerikanischen Mark herhinken. Nun sind wir aber schon nach drei Jahren eben dort, wo wir laut Prognosen erst in sieben Jahren sein sollten. Dass es durch neue Technologien einen Umbruch geben wird, war klar und nachvollziehbar. Das E-Book hat gewisse Vorteile, auch für kleine Verlage. Es wäre daher der falsche Weg, es zu verteufeln. Natürlich ist das E-Book nicht jedermanns Sache, es bringt massive Veränderung im Leseverhalten mit sich. Aber es scheint ein Bedürfnis danach zu geben, sonst würde das Angebot nicht angenommen.

STANDARD: Trotzdem macht Ihr Verlag schöne, hochwertige Bücher, ist das nicht ein Widerspruch?

Kolozs: Das Buch wird niemals verschwinden. Als Kulturgut bleibt es, als Handelsgut allerdings macht es einen Wandel durch. Auch der Buchmarkt ist ein Handelsmarkt. Das heißt, wir müssen – auch – Bücher machen, die preiswert sind, die eine Mehrheit ansprechen und zuweilen Trends bedienen. Natürlich bedeutet beispielsweise ein Taschenbuch dem Hardcover gegenüber eine Qualitätsminderung. Die günstigere Kalkulation macht dafür eine größere Auflage möglich. Ähnliches gilt für das E-Book. Nichtsdestotrotz gib es eine kleine Gesellschaftsschicht, die weiter auf das hartgebundene Buch setzen wird. Nicht zuletzt, weil man nicht weiß, wie es mit der Speicherung digitaler Medien im Laufe der Zeit aussieht. Dazu kommt das Generationenproblem. Ich bin 35 und kam mit dem Internet erst am Ende meiner Schullaufbahn in Berührung. Alle, die damit aufgewachsen sind und für die der Umgang mit Computern und technischen Geräten von kleinauf selbstverständlich ist, werden das Manko des ein-Buch-nicht-Habens gar nicht kennen. Denen fehlt das gebundene Buch meist nicht.

STANDARD: Brauchen wir eine Buchpreisbindung?

Kolozs: Ich meine schon, wenn man nicht will, dass die Literatur entwertet wird. Für mich als Verleger, aber auch als Leser ist es keine Frage, dass ein Buch, das ein Handels- wie auch ein Kulturgut ist, seinen Preis hat und haben muss. Das ist doch ganz einsichtig. Aber vielleicht ist das eine Einstellungssache, und bestimmt hört man auch Gegenstimmen, jedoch aus meiner persönlichen Erfahrung und den Berichten der Länder, die keine Buchpreisbindung mehr haben, erscheint mir ein Verzicht darauf recht problematisch zu sein.

STANDARD: Es wird - auch in den Feuilletons - kaum mehr ein Unterschied zwischen Unterhaltungsliteratur und sprachlich avancierter Literatur gemacht.

Kolozs: Besagte Unterscheidung ist auf jeden Fall aufgelöst. Was auch damit zu tun hat, wie die Figur des Autors wahrgenommen wird. Der Autor konnte sich vor Jahrzehnten noch hinter sein Werk zurückziehen und wurde erst, wenn er wirklich berühmt war, zu einer Person öffentlichen Interesses. Heute hingegen ist es so, dass schon Leute, die auf einen Trend gesetzt haben und bei einem großen Verlag mit einem Debüt herauskommen, medial groß gespielt werden. Der Autor selbst ist zur Massenware geworden. Und dementsprechend ist es auch egal, was er schreibt. Die Trennung zwischen populärer und hoher Literatur muss unter diesen Bedingungen fallen. Es wird nicht unterschieden, ob es sich um ein „Mädchenwunder" handelt, oder um einen renommierten Autor. Beide werden gleich beworben, angepriesen und verkauft. Die Kanäle, über die Informationen über ihre Bücher rausgeschossen werden, sind genau die gleichen. Es ist Facebook, es ist das Internet, es sind die Printmedien, es ist das Fernsehen. Ob ich jetzt dort als gestandene Autorin oder als Jungautor eingeladen werde, interessiert den Zuschauer nicht. Weil er nur weiß, das ist halt jemand, der über diesen Kanal abgespeist wird. Es handelt sich um eine Reaktion des Konsumenten auf die Art und Weise, wie Bücher verkauft werden. Sie müssen ja nur in die Buchhandlung gehen, dort liegt sogenannte Hochliteratur neben den Krimis, das ist alles ein Aufwasch.

STANDARD: Können nicht staatliche Förderungen Kleinverlagen gleich lange Spieße verschaffen?

Kolozs: Natürlich sind Förderungen notwendig, allerdings sollte man nicht zu sehr darauf setzten. Unter dem Strich ist Verlegersein trotz allem eine Art des Wirtschafttreibens. Das heißt, man muss – auch – Produkte herstellen, die am Markt Resonanz finden, oder eben nicht. Ist letzteres der Fall, muss man das Risiko selber tragen. Das große Problem von Kleinverlagen besteht darin, dass sie kaum Geld für Werbung haben. Und die ist heute oft das um und auf. Ich kenne genügend kleine Verlage, die von ihrer „Schreibqualität" her gleich gute Autoren haben wie Großverlage. Trotzdem liegen die Bücher von großen Verlagen, auch wenn sie von der Kritik schlecht wahrgenommen werden, überall auf. Mit Dingen wie diesen oder der zunehmenden Informationsflut, in der man unterzugehen droht, haben Kleinverlage zu kämpfen - nicht mit ihrer literarischen Qualität. Ich glaube, dass in diesen Kleinbiotopen oftmals sogar die bessere Literatur zu Hause ist. Literarische Qualität hat nichts mit verlegerischer Qualität zu tun. Aber ein Verlag ist mehr als Literatur, er ist eben auch ein Wirtschaftsunternehmen. Wer eine große Struktur hat, muss Bücher verkaufen, er kommt gar nicht darum herum.

STANDARD: Früher gab es die berühmte Mischkalkulation, das heißt einige erfolgreiche Bücher finanzierten den Rest des Programms.

Kolozs: Das wird einem heute sogar übel genommen. Einige glauben, es gäbe nur den Literaturverleger, der konstant im Minusbereich arbeitet, oder – auf der anderen Seite – den Publikumsverleger, der möglichst viel Geld mit möglichst schlechter Qualität macht. Die Wahrheit liegt dazwischen, wir brauchen Autoren, die marktgefällig schreiben. Das heißt nicht, dass es sich dabei um schlechtere Literatur handelt, sie ist halt nur marktgefälliger. Es geht nicht um eine Hierarchie, sondern um eine Schnittmenge, die einmal mehr im Markt drin ist und einmal weniger. Verleger sind Ermöglicher von Literatur, sollten sich aber auch nicht zu sehr selbst ausbeuten.

STANDARD: Sie scheinen trotz des harten Geschäfts guter Dinge zu sein?

Kolozs: Ich habe es mir ja selbst ausgesucht. Wenn ich einen Beruf wie Autor oder Verleger ausübe und immer unglücklich bin, dann muss ich halt etwas anderes machen, oder mich damit abfinden. Wenn ich in einem kleinen Verlag bin, kann ich nicht erwarten, dass ich Unmengen an Büchern im Jahr verkaufe. Ein Buch ist in dem Bereich, in dem wir arbeiten, eine Art Visitenkarte. Wenn ein Autor glaubt, dass das Schicksal an seine Tür klopft, nur weil einmal jährlich ein Buch von ihm erscheint, dann setzt er aufs falsche Pferd. Der deutschsprachige Buchmarkt hat circa 18.000 Neuerscheinungen pro Jahr. Ob es eines mehr oder weniger gibt, fällt keinem auf. Und da sind wir wieder bei der Figur des Autors und wie er sich selbst sieht, beziehungsweise wie er von außen wahrgenommen wird.

STANDARD: Der Autor ist tot hat es einst geheißen. Er scheint heute lebendiger denn je.

Kolozs: Das glaube ich auch. Die Frage ist nur: welche Art von Autor. Jener Autor, von dem das Klischee sagt, er sitze still in seinem Kämmerchen und leide vor sich hin, den gibt es wahrscheinlich nicht mehr. Der Autor ist heute eine Art Ich-AG, die – in der Wahl seiner Mittel unzimperlich - versucht, an sein Ziel zu kommen. Manche nehmen sich zum Beispiel einen Agenten. Ich kenne eine Menge junger Autoren, die mit einem arbeiten, wie es bisher eher in den USA üblich war. Es ist vollkommen klar, dass der Autor so selbst zum Produkt wird.

STANDARD: Ist es nicht frustrierend, wenn Autoren, die man aufgebaut hat, zu großen Verlagen wechseln, die eventuell sogar Vorschüsse zahlen?

Kolozs: Ich habe all meinen Autoren gesagt, sollte jemand auf sie zukommen, würde ich sie aus den Verträgen hinauslassen. Die Frage ist immer, was die Motivation ist, Verleger zu sein. In erster Linie natürlich die Liebe zur Literatur. Ich würde den Autor auch deshalb aus dem Vertrag lassen, weil ich der Meinung bin, man sollte der Literatur – der Möglichkeit, dass gute Geschichten, gute Texte an die Öffentlichkeit kommen – nicht im Wege stehen. Natürlich kann es menschlich gesehen eine Verletzung sein, wenn ein Autor geht. Aber nur, wenn es nicht offen kommuniziert wird. Ich wäre dann vom Menschen enttäuscht. Ich binde also keine Autoren, jeder muss wissen, was er tut. (Stefan Gmünder, Album, DER STANDARD, 28./29.9.2013, Langfassung)